Mittwoch, 27. August 2025

Buchrezension: Romy Hausmann - Himmelerdenblau

Inhalt:

Seit dem 7. September 2003 ist Julie Novak verschwunden. Die Familie ist daran zerbrochen. Nur ihr Vater Theo hört nicht auf, nach ihr zu suchen. Als sich Julies Verschwinden zum zwanzigsten Mal jährt, nimmt die Podcasterin Liv Kontakt zu Theo auf. Sie sei auf eine neue Spur gestoßen. Doch wenn er die Wahrheit erfahren will, muss er sich beeilen, bevor seine fortschreitende Demenz alles mit Dunkelheit überzieht. Wer zum Teufel hat ihm seine Tochter genommen? Warum hat Julies Ex-Freund Daniel das Schlafzimmer seiner verstorbenen Mutter so sorgfältig verschlossen? Und gibt es etwas Grausameres als die Ungewissheit über das Schicksal des eigenen Kindes? 

Rezension:

Die 16-jährige Julie Novak verschwand am 7. September 2003 spurlos aus ihrem Elternhaus in Berlin-Grunewald. Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums möchte ein True Crime-Podcast über den Cold Case berichten und zu diesem Zweck auch Julies Vater interviewen. Dieser war ein bekannter Herzchirurg an der Charité und ist inzwischen an Demenz erkrankt. Trotz seiner Erkrankung hat er Julie nie vergessen und die Hoffnung nicht aufgegeben, sie wieder zu sehen. Seine jüngere Tochter Sophia, die sich um ihn kümmert, möchte die alten Wunden nicht wieder aufreißen und ist gegen das Interview und eine erneute Medienberichterstattung.
Als mutmaßlicher Täter stand damals Julies Ex-Freund Daniel, der einige Jahre älter als seine Freundin war, im Fokus der Ermittlungsbehörden, bis davon ausgegangen wurde, dass Julie freiwillig gegangen ist. Auch Julies Vater hielt Daniel für verdächtig. Er arbeitet als Altenpfleger, hat den Makel eines möglichen Mörders oder Entführers jedoch nie ablegen können.
Liv und Phil, die für den Podcast verantwortlich sind, hoffen, dass sie mit ihrer Sendung dem Fall einen neuen Impuls geben und vielleicht sogar zur Aufklärung des Falles beitragen können. Bei ihren Recherchen stoßen sie auf Ungereimtheiten, als sie widerrechtlich das inzwischen unbewohnte Haus der Novaks betreten.

Der Roman wird aus verschiedenen Perspektiven der handelnden Personen geschildert, wobei nicht alle gleich zu durchschauen sind. Besonders prägnant ist die Sicht des Vaters Theo, der zumal den Bezug zur Realität verliert und Erinnerungen mit der Gegenwart vermischt. Seine Perspektive ist von Wortfindungsstörungen und Wiederholungen geprägte und ist ein gelungener Versuch, sich in die Denkweise eines an Demenz erkrankten Menschen hineinzuversetzen.

Liv, die selbst eine schwierige Kindheit hatte und Parallelen spürt, da während der Ermittlungen der Verdacht eines Missbrauchs oder Gewalt im Hause Novak aufkam, ist schon bald sehr tief in das Schicksal der Familie involviert. Ihr geht es nicht mehr nur um eine Steigerung von Hörerzahlen, sondern um Aufklärung, was mit Julie passiert ist. Dabei schließt sie bald nicht mehr aus, dass sie tatsächlich noch am Leben sein könnte.

Die Geschichte ist spannend und wendungsreich und greift passend zum True Crime-Podcast einzelne Elemente wahrer Verbrechen auf. Je mehr Details durch die Recherchen der Podcasterin ans Licht kommen, desto undurchsichtiger wird das Szenario um das Verschwinden der Teenagerin. Dafür sorgen auch die andauernden Perspektivwechsel und die Unberechenbarkeit der Charaktere. Deren Gefühle sind hingegen denkbar nachvollziehbar geschildert. Verzweiflung über ein ungewisses Schicksal, Wut über falsche Verdächtigungen und übergriffige Berichterstattungen, Hunger nach Erfolg und Bestätigung, Rachegelüste und der Wunsch nach Rehabilitation prägen die Handlungen der Charaktere.
Keinen von ihnen lässt die Vergangenheit los, was mitunter zu undurchdachten Aktionen führt.

Die Folgen von Ungewissheit und Ungerechtigkeit sowie wozu der Mensch fähig ist, um die eigene Haut zu retten, werden eindrücklich dargestellt. Jeder Charakter ist belastet, was für eine durchgängig düstere Stimmung sorgt. Ziel des Podcasts ist Gewissheit statt einem offenen Ende und das ist auch das, was die/ den LeserIn in Atem hält. Gerade für Theo, dessen klare Momente gezählt sind, hofft man, dass er Frieden finden kann. 

Montag, 25. August 2025

Buchrezension: Michaela Beck - Das Laute im Leisen

Inhalt:

Weimar 1979. Als Renée zum Architekturstudium zugelassen wird, kann sie ihr Glück kaum fassen. Die Plätze sind heiß begehrt, die Zulassungsbedingungen hoch. Von Beginn an ist unter ihren Mitstudierenden ein Mädchen, das sie besonders fasziniert. Uta, die Tochter des erfolgreichen Rostocker Stadtarchitekten, ist das größte Zeichentalent des Jahrgangs und mit unbändiger Energie und überbordender Fantasie gesegnet. Renée, die aus einfachen Verhältnissen kommt, lässt sich nur zu gern von ihr zeigen, wie scheinbar unüberwindliche Grenzen zu sprengen sind. Doch etwas stimmt nicht in dieser Freundschaft. Über Uta scheint ein Schatten zu liegen, der immer größer wird. 

Rezension: 

Renée hat einen der begehrten Architektur-Studienplätze erhalten und freut sich, dass sie weit von zu Hause weg in Weimar studieren kann. Dort ist sie zunächst ernüchtert, als sie sich mit drei biederen Sächsinnen ein Zimmer teilen muss, lernt jedoch ihre Kommilitonin Uta kennen, die mutig und unkonventionell ist, gerne im Mittelpunkt steht und nichts auf die Meinung anderer gibt.
Renée ist fasziniert von Uta und lässt sich komplett von ihr vereinnahmen. Der Wunsch nach einer Freundschaft zu ihr lässt sie komplett blind dafür werden, dass Uta selektiv ist und es ihr auch Renée gegenüber an Ehrlichkeit und Loyalität mangelt. Obwohl Renée mehrfach von Uta verletzt wird, macht sie sich Sorgen um ihre Freundin, die etwas vor ihr zu verbergen scheint, das ursächlich für ihr unberechenbares Verhalten sein könnte.

Der Roman wird aus der Perspektive von Renée geschildert und handelt einerseits von der Freundschaft der beiden ungleichen jungen Frauen und gibt andererseits lebendige Einblicke in das Studentenleben in der DDR zu Beginn der 1980er-Jahre.

Renée erscheint im Umgang mit Uta naiv und lässt sich zu viel gefallen. Sie ordnet sich Uta unter und verhält sich vorsichtig aus Angst sie zu verärgern. Streits enden in Schweigen, Aussprachen finden nicht statt. Eine Wut über das Betragen Utas weicht zunehmend Sorge, denn Uta verhält sich nicht nur übermütig, sondern gefährlich.

Neben der spannungsgeladenen Freundschaft ist der Alltag als Student und Studentin lebendig dargestellt. Man begleitet Renée über mehrere Semester, die nicht nur das praxisorientierte Studium, sondern auch Exkursionen sowie die Verpflichtungen als DDR-BürgerIn wie eine Schulung zur Zivilverteidigung umfassen. Der Zeitgeist der späten 1970er- und frühen 1980er-Jahre ist spürbar, auch wenn die Merkmale der autoritären Herrschaft der SED-Diktatur und die damit verbundenen Einschränkungen nicht in ihrer vollen Tragweite in Erscheinung treten.

Deutlicher wird, was Uta fehlt und wie belastend ihr Schicksal für sie und ihre Umgebung ist. Dabei erscheint fraglich, wie viel eine Freundschaft aushalten kann und ob ihr Ende nicht unausweichlich ist.
"Das Laute im Leisen" ist ein dramatischer und einfühlsamer Roman über das Erwachsenwerden, über Freundschaft und Selbstentfaltung, der die 1980er-Jahre als StudentIn in der DDR lebendig werden lässt. 

Freitag, 22. August 2025

Buchrezension: Sarah Adler - Maybe this is how it starts

Inhalt:

Romantikerin Millie hat eine Mission: Sie will die Frau finden, in die sich ihre ältere beste Freundin vor fast achtzig Jahren verliebte. Doch eine Computerpanne legt den Flugverkehr lahm, und so muss sie wohl oder übel mit Hollis Hollenbeck im Auto mitfahren, einem zynischen Schriftsteller, der die ewige Liebe für ein Märchen hält. Auf ihrer langen Reise quer durch die USA stellt Millie fest, dass Hollis ihre Gesellschaft mehr genießt, als er zugibt. Denn obwohl er Romantik angeblich für Unsinn hält, tut er alles für den Erfolg ihrer Suche. Und je näher sie ihrem Ziel kommen, desto mehr ahnt Millie, dass es bei dieser Reise vielleicht auch um ihre eigene Liebesgeschichte geht. 

Rezension: 

Millies Freundin Rose ist im Alter von 98 Jahren gestorben, ohne ihre erste große Liebe jemals wiedergesehen zu haben. Millie möchte ihr Versprechen einlösen und Elsie zusammen mit Briefen und drei Löffeln Asche von Rose besuchen, um ihr zu sagen, dass sie sie ein Leben lang nicht vergessen hat. Doch Millies Flug nach Miami wird gestrichen und die Zeit drängt, denn Elsie ist 101 Jahre alt und in einem Hospiz in Key West untergebracht.
Auch Hollis Hollenbeck, den Millie flüchtig kennt, sitzt am Flughafen fest und bietet Millie an, sie mit dem Auto mitzunehmen, bevor sie sich einem Fremden anvertraut. Zusammen unternehmen sie einen turbulenten Roadtrip, denn nicht nur ihre Charaktere sind völlig unterschiedlich, auch wird ihre Reise von der ein oder anderen Panne begleitet, wobei die zwei sich unaufhaltsam näher kommen.

"Maybe this is how it starts" ist eine Liebesgeschichte, die sich erwartbar entwickelt und dabei in typischerweise mit den Tropen "Grumpy meets Sunshine", "Opposite Attract" und "Forced Proximity" spielt. Ex-Kinderstar Millicent Watts-Cohen und der Schriftsteller Hollis Hollenbeck begeben sich aufgrund einer Computerpanne zunächst widerwillig auf eine gemeinsame Fahrt von DC nach Florida, um schon bald zu merken, wie sehr sie einander körperlich anziehen.

Rose und Elsie haben sich 1944 in Key West während ihres Einsatzes für die Armee kennengelernt und sich in einander verliebt, es jedoch nicht gewagt, ihre offen Liebe zu leben. Durch ein Missverständnis endgültig getrennt, ist es Millie, die über 70 Jahre später herausfindet, dass Elsie noch am Leben ist.

Der Roman konzentriert sich im Wesentlichen auf Millie und Hollis, die auf ihrer aberwitzigen Reise schon bald das Bett teilen und nicht die Finger voneinander lassen können. Die Charakterzeichnung wirkt dabei wenig g
laubwürdig, lässt sich Romantikerin Millie doch ohne zu zögern auf eine vermeintlich unverbindliche Bettgeschichte ein, während Hollis, der nicht an die Liebe glaubt, zärtliche Gefühle für Millie entwickelt und alles dafür gibt, dass sie ihr Ziel erreicht. Beide Hauptfiguren sind auf ihre Weise nervtötend. Plappermaul Millie verhält sich peinlich, ist hysterisch und überdreht und wurde nicht umsonst von Rose als "albernes Huhn" bezeichnet. Der vorgeblich zynische Schriftsteller ist hingegen ein überfürsorglicher Reisegefährte mit gewissen Vorzügen, der am Ende die rosarote Brille auf hat.

Letztlich kann keine der beiden Liebesgeschichten überzeugen. Rose und Elsies Geschichte wird auf nur wenigen Seiten abgehandelt, so dass man von beiden Frauen keine Vorstellung erhält, geschweige denn aktiv miterlebt, wie sich ihre Leben entwickelt haben. Stattdessen steht die Reise mit Pannen und skurrilen Begegnungen im Vordergrund, die ihre peinlichen Höhepunkte in wimmernden und knurrenden Bettszenen hat.

Der Roman um die Frage, ob es die ewige Liebe gibt, ist unterhaltsam, aber wenig überraschend und weitaus weniger charmant und originell, als gedacht.