Montag, 31. März 2025

Buchrezension: Lucy Gilmore - Die Bibliothek der geborgten Herzen

Inhalt:

Die Bibliothekarin Chloe hat auf dem Flohmarkt einen kleinen Schatz gefunden: eine alte, seltene Ausgabe eines Buches von Henry Miller. Als sie nach Hause kommt, trifft sie zufällig auf ihren seltsamen Nachbarn Jaspar, der das Buch entdeckt und ihr einen astronomischen Preis dafür anbietet. Chloe lehnt ab, nun umso neugieriger auf den Inhalt. Sie fängt an zu lesen und entdeckt auf den Seiten handschriftliche Notizen zweier Personen, die sich offenbar sehr geliebt haben. Ihre Neugier ist geweckt: Chloe begibt sich auf eine literarische Schatz- und Spurensuche in ihrer Bibliothek und findet bald ein zweites Buch mit Notizen... Wer waren die Liebenden, und was hat ihr Nachbar Jasper damit zu tun? 

Rezension: 

Chloe Sampson arbeitet in der Bibliothek in der Kleinstadt Colville und hat dort im Keller eine seltene Ausgabe des Romans "Wendekreis des Krebses" aus den 1960er-Jahren gefunden, in welche Anmerkungen von offenbar zwei Liebenden geschrieben wurden. Sie sucht nach weiteren Exemplaren mit ähnlichen Notizen, um die Kommunikation der beiden weiter zu verfolgen. Als ihr mürrischer alter Nachbar Jasper Holmes ihr einen Scheck in Höhe von mehreren tausend Dollar für das Buch ausstellt, wird ihr klar, dass Jasper ein sehr persönliches Interesse daran hat. 
Trotz ihrer Geldsorgen, die Chloe als Verantwortliche für ihre drei Geschwister hat, löst sie den Scheck nicht ein und versucht herauszufinden, was mit den beiden tragischen Liebenden geschehen ist, für die es offenbar kein romantisches Happy End gab. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und wird aus mehreren Perspektiven der handelnden Personen erzählt. 
In der Gegenwart hat es die 24-jährige Chloe nicht einfach, die ihr Studium aufgegeben hat, um sich um ihre drei Halbgeschwister zu kümmern, die ihre Mutter im Stich gelassen hatte. Chloe kommt finanziell kaum um die Runden und wird von der Verantwortung erdrückt, die es ihr nicht erlaubt, ein unabhängiges Leben zu führen. Zudem hat sie noch regelmäßig Ärger mit ihrem griesgrämigen Nachbarn, der keine Menschenseele näher an sich heranlässt. 
Das ändert sich mit dem Fund mehrere Bücher und den Liebesbotschaften, die darin enthalten sind und eine geheimnisvolle Affäre enthüllen. Jasper zeigt sich untypisch hilfsbereit, als er seine Tür für Chloes Geschwister öffnet und sie begibt sich neugierig geworden auf eine literarische Schnitzeljagd. 

Rückblenden in die Vergangenheit in das Jahr 1960 zeigen, wie es zu den Randnotizen in den Büchern gekommen ist und wie sich die Liebe zwischen Jasper und Catherine entwickelte, die keine Zukunft hatte. 

Die Geschichte ist durch die Perspektivenwechsel und Erinnerungen an vergangene Zeiten abwechslungsreich geschildert. Durch die etwas verschrobenen Charaktere, die witzigen Dialoge und die feine Ironie, die das Buch durchzieht, ist der Roman humorvoll geschrieben. Trotz vieler amüsanter Szenen entwickelt das Buch aber auch eine Tragik und hat ernsthafte Untertöne auf beiden Zeitebenen. 
Es handelt von einer Liebesgeschichte, die - anders als in den romantischen Romanen, die Jasper gerne liest - nicht mit einem Happy End endete. Es geht um einsame Seelen und um eine unerwartete Freundschaft, um schmerzhafte Erfahrungen, Verbitterung, geplatzte Träume und schwere Entscheidungen, aber auch um Zusammenhalt, Hoffnung, Versöhnung und den individuellen Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit. 
Die Charaktere sind liebevoll und individuell gezeichnet und auch wenn man wahrlich nicht jede Entscheidung nachvollziehen kann, macht genau das den Reiz der Geschichte aus, die damit weniger vorhersehbar wird, als man in dem Genre annehmen möchte. 

"Die Bibliothek der geborgten Herzen" ist ein äußerst charmanter, tragikomischer Roman, der zeigt, wie Bücher Menschen zusammenbringen können und dass man die Hoffnung auf ein glückliches Ende - wie es in so vielen Romanen vorgelebt wird - nicht aufgeben sollte. Bezug genommen wird dabei auf verschiedene Klassiker der Literatur, wobei es nicht notwendig ist, die Geschichten im Detail zu kennen. Die Botschaften erschließen sich beim Lesen ganz von selbst. Eine Übersicht über die erwähnten Romane findet sich als Literaturliste im Anhang. 

Freitag, 28. März 2025

Buchrezension: Lucy Clarke - The Surf House: Du bist im Paradies. Doch das Paradies ist tödlich.

Inhalt:

Mit einer Auszeit in Marokko will Bea ihr Leben neu sortieren. Doch nach einer gefährlichen Begegnung in den engen Gassen Marrakeschs sind Geld und Ausweis weg. Dass sie trotzdem einen Job ergattert, scheint wie ein Wink des Schicksals: Die Belegschaft eines Surfhotels an den endlosen, goldenen Sandstränden des Landes nimmt sie mit offenen Armen auf. Das Meer ist kristallklar, am Abend taucht die Sonne die roten Klippen in ein magisches Licht. Surfer und Yogis gehen ein und aus. Doch es dauert nicht lange, bis die Idylle Risse zeigt. Bea kommen Gerüchte über eine spurlos verschwundene Urlauberin zu Ohren. Dann spült die Brandung die Leiche eines Gastes an. Und Bea muss sich fragen, wem sie noch trauen kann. 

Rezension: 

Nach einem Fotoshooting in Marrakesch schmeißt das unglückliche britische Model Bea Williams ihren Job hin und wird anschließend in den Gassen der marokkanischen Stadt von zwei Männern überfallen. Eine fremde Frau kommt ihr zu Hilfe und bietet ihr einen Unterschlupf in ihrem Guest House an der Küste des Atlantiks in Mallah an. Ohne Reisepass und ungewiss über ihre Zukunft ist Bea froh, in dem Surf House unterzukommen und fühlt sich dort am Meer frei wie nie. Gegen Kost und Logis hilft Bea Marnie mit den Gästen aus, doch der Überfall zieht weitreichende Folgen nach sich.
Als sich ein solventer Amerikaner in einem Studio des Gästehauses einquartiert, der auf der Suche seiner Schwester ist, die vor einem Jahr bei Marnie gewohnt hatte, beschließt Bea ihm zu helfen. Gemeinsam fördern sie Ungereimtheiten über Savannahs Aufenthalt und anschließende Abreise zutage, die zeigen, dass Bea niemandem hier trauen kann.

Der Roman handelt in der Gegenwart ab September in Marrakesch und dem fiktiven Küstenort Mallah, der sich als Surf Hotspot für Urlauber und Aussteiger entpuppt hat. Darüber hinaus gibt es einzelne Rückblenden in das Jahr zuvor, als sich die amerikanische Tramperin Savannah am selben Ort wie Bea aufgehalten hat und letztlich spurlos verschwand.

Bea hat unter dem Druck ihrer Mutter erfolgreich gemodelt, ist um die Welt gereist und hat keinen Ort, den sie Zuhause nennen kann. In Mallah fühlt sie sich geborgen, nicht mehr eingeengt in ein Leben, das nicht zu ihr passt und liebt es, die Meeresluft zu atmen und auf den Wellen zu reiten. Das Surferparadies ist für sie der Inbegriff von Freiheit, doch der Friede ist trügerisch. Bea wird erpresst, eine Frau in ihrem Alter wird vermisst und einer der Gäste kommt beim Surfen ums Leben. Die Polizei erscheint korrupt und auch in dem Gästehaus, wo Surfer aus aller Welt ein- und ausgehen und abends feiern, weiß Bea bald nicht mehr, wem sie trauen kann.

Die Geschichte ist eine Mischung aus Thriller und Drama vor malerischer Kulisse. Durch die bildhaften Beschreibungen wird man unmittelbarer nach Marokko versetzt, hat das Meer und die Wüstenlandschaft vor Augen, spürt die Sehnsucht der Figuren nach selbst bestimmten Leben in Freiheit und den Adrenalinrausch beim Surfen.
Geschildert wird eine Spurensuche, wobei Vergangenheit und Gegenwart durch offenkundige Parallelen geschickt miteinander verbunden werden. Es entsteht eine andauernde unterschwellige Spannung und das Gefühl einer drohende Gefahr bei der Suche nach Wahrheit.
Neben der Erpressung, die Bea zwingt zu bleiben und ihre selbst gewählte Freiheit doch wieder begrenzt, sind es die Nachforschungen zu der vermissten Amerikanerin und die Geheimnisse, die Beas neue Freunde bergen, die fesseln.

Die gefährliche Spurensuche ist wendungsreich und gipfelt in einem Drama, das eine Verkettung falscher und verzweifelter Entscheidungen entschlüsselt und aufzeigt, wozu Menschen bereit sind, um ihre Träume und Geheimnisse zu schützen. 

Mittwoch, 26. März 2025

Buchrezension: Rebekka Frank - Stromlinien

Inhalt:

Enna und Jale sind in den Elbmarschen zu Hause. Sie leben im Rhythmus von Ebbe und Flut, beobachten Kormorane und Austernfischer – und zählen die Tage, bis ihre Mutter Alea aus der Haft entlassen wird. Doch als es endlich so weit ist, verschwindet nicht nur Alea spurlos, sondern auch Jale. Entschlossen durchkämmt Enna auf der Suche nach ihnen das Alte Land, ohne zu ahnen, dass dieser Weg sie für immer verändern wird. 

Rezension: 

Die 17-jährigen Zwillingsschwestern Enna und Jale leben bei ihrer schweigsamen Oma Ehmi in einem Dorf an der Lühe im Alten Land. Gespannt zählen sie die letzten Tage und Stunden hinunter bis ihre Mutter Alea aus dem Gefängnis entlassen wird. Sie kennen ihre Mutter nur als Insassin und wissen noch nicht einmal, warum sie zu einer so hohen Haftstrafe verurteilt wurde. Als der Tag der Entlassung gekommen ist, erscheint Alea nicht am vereinbarten Treffpunkt und auch Jale ist spurlos verschwunden. Während ein Boot sinkt und die Polizei nach Alea als mutmaßlich Schuldiger sucht, sucht Enna verzweifelt nach ihrer Schwester, der sie so nah war und die doch Geheimnisse vor ihr hatte.

Der Roman wird in der Gegenwart im August 2023 aus der Perspektive der unangepassten Enna geschildert, die nicht nur aufgrund der Inhaftierung ihrer Mutter schon immer eine Außenseiterin war. Sie kann nicht verstehen, wo ihre Schwester ohne sie hingegangen ist, macht sich Sorgen und sucht sie mit Hilfe eines Mitschülers, der sich als treuer Freund herausstellt. Während ihrer Suche zwischen Verzweiflung und Wut erfährt sie endlich den Grund für die Haft ihrer Mutter und warum sich ihre Oma und Großtante entzweit haben.

Daneben gibt es gleich mehrere Erzählstränge der Vergangenheit, die wenige Monate zuvor, Mitte der 1980er, Ende der 1970er und bis ins Jahr 1923 zurückreichen und dabei Ereignisse schildern, die die Leben der Vorfahren von Enna und Jale geprägt haben und aufgrund der Schuld und der Geheimnisse, die sie auf sich geladen haben, bis in die Gegenwart wirken und für neue Konflikte sorgen, die Enna noch nicht versteht.

Die Geheimnisse werden nur sehr allmählich gelüftet. Lange tappt man als Lesender im Dunkeln und fragt sich, wie die einzelnen Erzählstränge zusammenhängen und was die handelnden Personen in der Vergangenheit getan haben. Die Undurchsichtigkeit sorgt zwar für Spannung, aber auch für eine Unruhe, da viele Details unnötig lange im Verborgenen bleiben und die Handlung in der ersten Hälfte des Romans kaum voranschreitet und mit vielen Fragezeichen belegt ist.
Erst als sich im zweiten Teil die Handlungsstränge verknüpfen und bisher Unausgesprochenes offenbart wird, können die Geschichte und die Figuren auch Emotionen wecken und entfalten passend zur Elbströmung einen Lesesog.

Die Geschichte ist voller Dramatik und falscher Entscheidungen, wobei man sich mehr als einmal fragt, warum die Protagonisten so handeln wie sie es tun. Auch wenn es Erklärungen durch vorangegangene Traumata und schreckliche Tragödien gibt, die mitunter historische Vorbilder haben, stören die ewigen Geheimnisse den Lesefluss und lassen mitunter an der Glaubwürdigkeit der Figuren zweifeln.

Neben den folgenschweren Geheimnissen handelt der Roman von schwierigen Schwesternbeziehungen, von Buße, Einsamkeit, Vergeltung und dem engen Band einer Familie. Die Geschichte besticht durch bildhafte Naturbeschreibungen, die für Atmosphäre sorgen und wird mit sanfter Melancholie erzählt. Es ist ein Familiendrama, das seine Wurzeln tief in der Vergangenheit hat und von einer fatalen Verkettung von Fehlentscheidungen handelt, die den Roman am Ende fast zu einem Thriller werden lassen. 

Montag, 24. März 2025

Buchrezension: Kira Mohn - Note to myself: Liebe ist keine Option


Inhalt:

Alice ist fertig mit der Welt – genauer: mit ihrem Freund, seit Neuestem: Ex-Freund. Weil sie deshalb ein wenig die Fassung verliert, landet ihre Matratze dummerweise auf dem Kopf des völlig unbeteiligten Lennon. Bei einem gemeinsamen Drink schaltet der dann ziemlich schnell von zurecht sauer auf zunehmend hingerissen. Doch Alice hält ihr Leben mit Listen im Griff, und im Moment ist gerade "Alles, was ohne Männer mehr Spaß macht" angesagt. Aber Lennon lässt nicht locker und taucht immer wieder in der Kinderbuchhandlung auf, in der Alice arbeitet. Als er es schafft, noch einen Blauwal ins Spiel zu bringen, zeigen sich auf einmal Wege aus der Friendzone. 

Rezension: 

Alice wurde von ihrem Freund, mit dem sie drei Jahre zusammen war, betrogen und möchte sich deshalb erst einmal auf sich konzentrieren und nicht so schnell eine neue Beziehung eingehen. Sie hat jedoch nicht mit Lennon gerechnet, den sie unmittelbar nach der Trennung von Bennet kennenlernt und der sich mächtig ins Zeug legt, um sie davon zu überzeugen, dass nicht alle Männer Schweine sind. 
Probleme in Sachen Männer hat auch Alices beste Freundin Zara, in deren Buchhandlung in Manhattan Alice arbeitet. Ihr Loveinterest Fred ist so schüchtern, dass sie einfach nicht an ihn herankommt. Alices Kollege Tobey sabotiert hingegen seine eigene Beziehung. Er scheut  Liebeszuneigungen in der Öffentlichkeit und riskiert damit die Trennung von Matt. 

"Note to myself: Liebe ist keine Option" ist der erste Band einer Liebesromanreihe mit dem Schauplatz New York. 

Trotz des Betrugs und der unmittelbar daran anschließenden Trennung beginnt der Roman amüsant und unterhaltsam. Der Schreibstil ist lebendig und das Setting mit dem süßen Kinderbuchladen, in dem Alice nicht nur arbeitet sondern auch gleichzeitig mit ihrer besten Freundin zusammen sein kann, passt zudem gut zu dem Feel-Good-Roman. 

Dass die Geschichte in Bezug auf Alices Liebesleben vorhersehbar ist, ist nicht weiter störend. Bei einem Liebesroman dieser Art ist schließlich der Weg das Ziel. 
Die Umsetzung ist jedoch nur teilweise gelungen. Ein Leben mitten in Manhattan passt nicht wirklich zu den jungen Protagonisten, die allesamt nicht im Finanzsektor arbeiten. Zudem merkt man schon allein an der falschen Schreibweise der Straßenbezeichnungen ("23th Street"), dass das Buch nicht von einer Amerikanerin geschrieben ist. Ein Kleinstadtsetting, da sich ohnehin alle kennen (selbst in Restaurants und Bars werden die Charaktere namentlich begrüßt), wäre stimmiger. 
Der Gegensatz Bennet: Red Flag, Lennon: Green Flag wird bis ins Absurde ausgereizt. Während Betrüger Bennet sich reichlich dumm ins Abseits manövriert, ist der gut aussehende Lennon mit seinen unaufhörlichen romantischen Überraschungen für Alice einfach nur aalglatt. 
Die Nebenhandlungen wie Tobeys Beziehungsprobleme, Freds Schüchternheit oder der Wettbewerb von Macy`s werden uninspiriert mit Alices Geschichte verbunden. Ein Fokus auf nur einen weiteren Aspekt hätte dem Roman mehr Tiefe geben können. Gerade die Spendenaktion wäre eine Möglichkeit gewesen, dass sich Alice und Lennon auf andere Art und Weise näher kommen als nur das Umgarnen von Lennon.

"Note to myself" beginnt humorvoll und ist mit Alices Listen vor jedem Kapitel ein origineller Aufhänger, aber die Liebesgeschichte kommt ohne jegliche Gefühle aus und das Verhalten der Charaktere ist im weiteren Verlauf so überzogen, dass die Geschichte in ihrem Kern wenig authentisch wirkt. Gelungen ist jedoch die Darstellung der Freundschaft von Alice und Zara, denn die beiden sind bedingungslos für einander da. Zudem ist im Ansatz auch zu erkennen, dass  

Freitag, 21. März 2025

Buchrezension: Jayne Cowie - After Dark

Inhalt:

Seit die Bewegungsfreiheit von Männern gesetzlich stark eingeschränkt wird, können Frauen sich endlich sicher fühlen. 
Trotzdem hat Sarah Angst, als ihr Mann aus dem Gefängnis entlassen wird. Denn sie ist der Grund, aus dem er verhaftet wurde. Und er ist wütend auf sie. 
Die siebzehnjährige Cass hält die Vorsicht, die ihre Mutter Sarah Männern gegenüber walten lässt, für übertrieben. Sie ist in einer für Frauen unbeschwerten Zeit aufgewachsen und freut sich darauf, dass ihr Vater aus dem Gefängnis freikommt. So gefährlich, wie Sarah behauptet, ist er nicht. Oder doch? 
Helens größter Wunsch ist es, ein Kind zu bekommen. Daher zieht sie schneller mit ihrem Freund zusammen, als ihr Bauchgefühl es ihr rät. Es wird schon gut werden. Immerhin liebt sie ihn. 
Eine dieser drei Frauen wird sterben. Durch die Hand eines Mannes. 

Rezension:

Im Jahr 2023 wurde gesetzlich die Ausgangssperre für Männer zwischen 19 Uhr und 7 Uhr in Großbritannien eingeführt. Zur Kontrolle müssen alle Männer und Jungen ab 10 Jahre eine elektronische Fußfessel tragen. Das System hat sich seit Jahren etabliert. Frauen können nun endlich wieder sicher und angstfrei auch nachts auf den Straßen sein - bis eine Frauenleiche in einem Park gefunden wird. 
Pamela, die kurz vor dem Ruhestand steht, nimmt die Ermittlungen auf. Das Gesicht der Frau ist grauenvoll zugerichtet und an der Leiche werden DNA-Spuren eines Mannes gefunden. Schon aufgrund der körperlichen Gewalteinwirkung kann sich Pamela nicht vorstellen, dass die Frau von einer anderen Frau getötet wurde. Ihr Ermittlungsansatz gerät allerdings ins Hintertreffen, denn es kann nicht sein, was nicht sein darf. 
Vier Wochen zuvor arbeitet Sarah als Controllerin im Frauenschutzamt. Sie fürchtet die Entlassung ihres Ex-Ehemannes aus dem Gefängnis und ist mit der Erziehung ihrer siebzehnjährigen Tochter Cass überfordert, die rasend vor Wut auf ihre Mutter ist. 
Helen ist Lehrerin und unterrichtet Frauengeschichte. Sie träumt davon Mutter zu werden und ist der Meinung mit Tom endlich den richtigen Partner gefunden zu haben. Ihre Freundin Mabel ist hingegen skeptisch und auch Helen spürt nach der Bewilligung der Lebensgemeinschaft, dass Tom doch nicht so perfekt ist. 

"After Dark" ist eine Dystopie, die ungefähr 20 Jahre in der Zukunft handelt. Sie wird in der Gegenwart aus der Ich-Perspektive der Ermittlerin Pamela geschildert, die noch weiß, wie das Land vor der Ausgangssperre für Männer aussah und im Gegensatz zu ihren jüngeren Kolleginnen eine unvoreingenommene Sicht auf die Ermittlungen hat. 

Vier Wochen vor dem Leichenfund werden die Lebensumstände abwechselnd aus den Perspektiven von Sarah, Cass und Helen geschildert. Auf diese Weise erhält man einen umfassenden Einblick in ein Land, in der Männer nachts eingesperrt werden und in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden, was massive Auswirkungen auf den Arbeitsalltag und die Gesellschaft hat. 
Die Geschichte ist abwechslungsreich und lebendig und es fällt nicht schwer, sich eine derartige Situation nach einer entsprechenden Gesetzesänderung vorzustellen. Auch ist anhand der Darstellung aus vier unterschiedlichen Perspektiven anschaulich dargestellt, wie die Frauen sich fühlen, wie sie sich mit einem solchen System auseinandersetzen, es widerspruchlos akzeptieren, es unterstützen oder dagegen rebellieren. 
Die Ereignisse in der Vergangenheit erzeugen gleichzeitig eine fesselnde Spannung, welcher Zusammenhang zu der toten Frau besteht und welche der Frauen aus welchem Grund sterben musste. 

Die Ausgangssituation ist originell und die Umsetzung gelungen. Die Geschichte ist eindringlich und spannend aufgebaut und stimmt nachdenklich, ob man selbst als Frau in einer solchen Welt leben möchte. Sicherheit um jeden Preis? Und kann es eine 100%ige Sicherheit überhaupt geben? 

Mittwoch, 19. März 2025

Buchrezension: Morgan Dick - Mickey und Arlo: Zwei Schwestern. Sieben Therapiestunden. Ein Problem.

Inhalt:

Als die 33-jährige Mickey die Nachricht vom Tod ihres Vaters erhält, ist sie nicht sonderlich getroffen. Sie ist ohne ihn aufgewachsen, zeit ihres Lebens ist er ein Fremder geblieben. Umso überraschender, dass er ihr ein Vermögen hinterlassen hat. Der kuriose Haken dabei: Mickey muss sieben Therapiesitzungen absolvieren, bevor das Erbe freigegeben wird. Und so schlägt sie bei der Therapeutin Arlo auf, nicht ahnend, dass sie ihrer eigenen Halbschwester gegenübersitzt. Auch Arlo weiß nicht, wer sich hinter der neuen Patientin verbirgt, und schon bald befinden sich die beiden auf einem Kollisionskurs, der sie entweder zerstören oder retten wird. 

Rezension: 

Mickey erfährt aus der Zeitung, dass ihr Vater verstorben ist. Er hatte sie und ihre Mutter vor 25 Jahren verlassen und eine neue Familie gegründet. Sie erinnert sich an ihn als einen herrischen Alkoholiker und hat, wenn überhaupt, nur Abscheu für ihn übrig. Da erfährt sie, dass er ihr ein Vermögen vermacht hat - unter der Bedingung, dass sie sieben Therapiesitzungen absolviert. Widerwillig geht sie zu der vorgeschlagenen Therapeutin, denn nach der Beurlaubung als Vorschullehrerin ist das Geld knapp.
Was sie nicht weiß ist, dass es sich bei ihrer Therapeutin um ihre Halbschwester Arlo handelt. Auch diese ist zunächst unwissend und trauert um einen Vater, den sie bis zum Schluss liebevoll umsorgt und gepflegt hat. Umso irritierter ist sie, als sie erfährt, dass weder sie noch ihre Mutter in seinem Testament bedacht sind. Sie möchte herausfinden, wohin das Geld gehen soll und warum und erfährt dabei von Mickey, die das Alkoholproblem ihres Vaters geerbt hat.

"Mickey und Arlo" wird abwechselnd aus den Perspektiven der beiden Halbschwestern geschildert, die bis zu ihrem Aufeinandertreffen in der ersten Therapiestunde noch nie begegnet sind.
Beide haben unterschiedliche Erinnerungen an den toten Vater, wobei Arlo seine schlechten Seiten bisher ausgeblendet hat und die sich mit dem Verlust des Erbes bahnbrechen.
Ihr Vater war über Jahrzehnte Alkoholiker und ist letztlich an den Folgen davon gestorben. In Mitleidenschaft hat er zwei Ehefrauen und Töchter gestürzt, die nicht nur unter der Co-Abhängigkeit, sondern auch unter seinen Ausfallerscheinungen und seiner Gewalt leiden mussten.

Nach seinem Tod geraten Dinge in Gang, die zu Kontrollverlust und falschen Entscheidungen seitens beider Schwester führen. Neben der Trauer und der Wut handelt der Roman dabei vom Leben als Alkoholiker, denn Mickey hat die Kontrolle über ihren Alkoholkonsum verloren, auch wenn sie sich dies bisher nicht eingestehen wollte und die Menschen deshalb auf Distanz hält.

Die Geschichte ist durch die wahnwitzige Idee des Vaters, bei der man sich fragt, ob er posthum Wiedergutmachung leisten oder eine Annäherung seiner beiden Töchter herbeiführen möchte, ein wenig skurril. Die Menschen darin sind fehlerbehaftet und machen Dinge, die sie später bereuen.
Die Geschichte ist abwechslungsreich und unterhaltsam und lässt tief in die Gefühlswelt der beiden Hauptfiguren blicken, auch wenn sie selbst eine Mauer um sich gebaut haben und niemanden zu nah an sich heran lassen.

Neben den schmerzhaften Erinnerungen und den Problemen, mit denen sich beide Frauen konfrontiert sehen, gibt es einige amüsante Situationen, die der Erzählung die Schwere nehmen. Es ist ein tragikomischer Roman, der auf authentische Weise zeigt, wie zerstörerisch ein überhöhter Alkoholkonsum ist - für sich und für Angehörige - und wie schwierig es ist, sich eine Sucht einzugestehen und dagegen vorzugehen. Es ist eine eigenwillige und trotzdem glaubwürdige Geschichte, die neben Suchtverhalten von toxischen Familienstrukturen handelt, wobei man trotz aller Schwierigkeiten niemals die Hoffnung auf ein für alle versöhnliches Ende aufgibt. 

Montag, 17. März 2025

Buchrezension: Louise Pelt - Die Anatomie der Einsamkeit

Inhalt:

Journalistin Olive träumt von der ganz großen Geschichte - und davon, endlich ein Zuhause zu finden. Zwar ist sie in einer liebevollen Familie aufgewachsen, aber sie wird das Gefühl nicht los, dass ihr etwas fehlt, um wirklich glücklich zu sein. Können ausgerechnet die Nachforschungen zu dem alten, scheinbar wertlosen Kompass ihrer Großmutter Olive aus ihrer Einsamkeit führen? 
Zwanzig Jahre zuvor führt Claire ein Leben auf der Überholspur. Aber die Nachricht vom Tod ihrer Schwester Iris wirft sie aus der Bahn. Sie flieht Hals über Kopf auf die kleine Felsinsel, auf der Iris lebte. Dort findet Claire haufenweise Zeichnungen - darunter auch eine von einem alten, scheinbar wertlosen Kompass. 

Rezension: 

Als in den Medien von einem spektakulären Leichenfund in Hamburg berichtet wird, wird auch die Journalistin Olive in London darauf aufmerksam, denn der Kompass, der bei der Leiche gefunden wurde, gleicht dem Kompass, den Olive von ihrer Großmutter Poppy als vorgezogenes Erbe erhalten hatte. Über die Bedeutung hatte Olive nie weiter nachgedacht und kann ihre Großmutter, die inzwischen pflegebedürftig und dement ist, nicht mehr fragen. Frustriert von ihrer beruflichen Situation, in der ihr nicht mehr als das Verfassen von Horoskopen zugetraut wird, ergreift sie die Chance für eine eigene, persönliche Story und begibt sich mit dem Fotografen Tom nach Deutschland, um mehr über die Geschichte ihrer Großmutter herauszufinden. 
Zwanzig Jahre früher ist Claire in New York als Anwältin erfolgreich und hat das Angebot erhalten, Partnerin einer renommierten Kanzlei zu werden. Der Erfolg trifft sich allerdings mit privaten Tragödien - die Trennung von ihrem Lebensgefährten und der überraschende Tod ihrer Schwester Iris. Zu ihr hatte sie seit Jahren keinen Kontakt mehr und dennoch verlässt sie überstürzt New York und fährt zu der Insel, auf der Iris zurückgezogen gelebt hat. Sie weiß nicht genau, was sie dort erhofft zu finden, stößt aber schon bald auf versteckte Hinweise ihrer Schwester, während sie selbst mit der Einsamkeit zurecht kommen muss.  

Nach einem dramatischen Prolog im Jahre 1950 taucht man direkt in die Geschichten von Olive und Claire in den Jahren 2000 und 2022 ein. Beide Erzählstränge sind von einer Melancholie und Einsamkeit geprägt. Olive und Claire wohnen in der Großstadt und sind trotzdem allein. Ihre Partner sind unzuverlässig, Claire hat keine Familie und Olive erträgt es nicht, zu ihrer Familie zu fahren, um ihre hilfsbedürftige Großmutter zu sehen, zu der sie so ein enges Verhältnis hatte. Beide Frauen sehen sich mit Einschnitten in ihrem Leben konfrontiert und erhalten durch die Recherchen zur Schwester bzw. Großmutter die Chance, mehr über sich selbst herauszufinden. 

Die Geschichte ist einfühlsam aus wechselnden Perspektiven der beiden Hauptfiguren geschildert, wobei der Zusammenhang bis auf die Erwähnung des Kompasses im Klappentext lange nicht ersichtlich ist. Der Bezug zum dramatischen Prolog wird hingegen früher erkennbar und ist eng mit der Großmutter Olives verbunden. Zwischen den Kapiteln gibt es zudem eine Reihe an Gedichten, die in 1940er-Jahren in Dänemark und Deutschland verfasst worden sind. Die Bedeutung erschließt sich peu à peu und empfand ich als originellen Kunstgriff im Vergleich zu Tagebucheinträgen, die man so häufig in Romanen verwendet. 

Die Geheimnisse, die beide Familien umgeben, der plötzliche Tod von Iris und die Vergangenheit, über die Poppy nicht sprechen konnte, erzeugen eine Grundspannung, die bis zum Ende aufrechterhalten wird. Während in Bezug auf Poppy schon aufgrund des historischen Hintergrunds zu ahnen ist, in welche Richtung etwaige Schuldfragen gehen könnten, ist die Geschichte von Iris und Claire weniger durchsichtig. 
Da beide Hauptfiguren jedoch viel mit sich selbst beschäftigt sind, grübeln und auch Angst davor haben, was sie bei ihren Recherchen aufdecken könnten, ist die Geschichte ein wenig zögerlich und hat deshalb phasenweise ihre Längen. Dennoch kann man sich stets sehr gut in beide Frauen und ihre Sorgen und Sehnsüchte einfühlen. 

Die Geschichte handelt von verdeckten Familiengeheimnissen, die bis in die Gegenwart wirken und nachfolgende Generationen beeinflussen sowie von Vergebung, aber auch von der Einsamkeit, die selbst Personen umgibt, die fest im Leben stehen sowie von Selbstakzeptanz und Selbstfindung. Trotz der ruhigen Erzählweise ist man gebannt, alle Geheimnisse zu entschlüsseln und zu erfahren, ob es 2022 zu einem Aufeinandertreffen der Beteiligten kommt, um die Tragik der Vergangenheit ein wenig zu kompensieren. Und auch wenn ich die Geschichte um den Kompass etwas konstruiert fand und sie mir von zu vielen Zufällen geprägt war, ist er als Symbol den richtigen Weg zu finden, treffend gewählt - für alle, die auf der Suche nach Erkenntnissen, Wahrheit oder einer neuen Richtung sind. 

Freitag, 14. März 2025

Buchrezension: Ingar Johnsrud - Echokammer (Ein Fall für Benjamin & Tong, Band 1)

Inhalt:

Während die Wahl des norwegischen Parlaments immer näher rückt, herrscht bei der Terrorabwehr höchste Alarmbereitschaft: Es gibt Hinweise auf einen bevorstehenden Anschlag. Im Verdacht steht eine Gruppe rechtsnationaler Extremisten, die im Besitz einer großen Menge Rizin sein sollen. Doch was genau haben die Terroristen damit vor?
Die Anti-Terror-Ermittler Liselott Benjamin und Martin Tong versuchen fieberhaft, den Anschlag zu vereiteln. Währenddessen geht der Wahlkampf in die heiße Phase. Die Spitzenkandidatin der Arbeiterpartei sieht sich auf der Zielgeraden zur Machtübernahme – und nimmt dafür zunehmend zweifelhafte Mittel in Kauf.
Mittendrin: Jens Meidell, ihr juristischer Berater. Je tiefer er sich in die politischen Ränkespiele verstrickt, umso mehr gerät er mit dem Rücken zur Wand: Wie weit ist er bereit zu gehen: um der Partei zurück an die Macht zu verhelfen? Um die Demokratie vor rechten Umsturzplänen zu retten? Und vor allem: um seine eigenen dunklen Geheimnisse ein für alle Mal zu begraben? 

Rezension: 

Wenige Wochen vor den Parlamentswahlen in Norwegen ist der Wahlkampf in der heißen Phase angelangt. Die stellvertretende Vorsitzende der Arbeiterpartei, Christina Nielsen, hat den Polizeijurist Jens Meidell als Berater in ihr Team geholt und hat als selbst ernannte norwegische Patriotin große Chancen auf das Amt als Ministerpräsidentin. Jens missbilligt ihren Flirt mit dem politisch rechten Rand und ihre moralisch umstrittenen Methoden im Umgang mit den sozialen Medien, steht persönlich jedoch aufgrund seiner dunklen Vergangenheit unter Druck und wird mit seinem Geheimnis erpresst. 
Zur gleichen Zeit werden zwei Prepper von Terroristen entführt, die mit Anschlägen drohen. Die Polizistin Lieselott Benjamin und der Terrorexperte Martin Tong arbeiten in der Antiterroreinheit des PST zusammen und versuchen die Terroristen und ihre Unterstützer zu identifizieren und den Anschlag zu verhindern. Die Zeit ist knapp, denn die Terroristen haben ein Ultimatum gestellt, sind im Besitz von biologischen Waffen und zeigen bereits mit Gewalttaten, wie ernst die Lage ist. 
Inmitten des Wahlkampfes muss der Staat mit voller Härte durchgreifen, um Schlimmeres zu verhindern und die Demokratie zu schützen. 

"Echokammer" ist der Auftakt einer Thrillertrilogie um die beiden Ermittler Lieselott Benjamin und Martin Tong. Im Vergleich zu anderen Kriminalromanen spielt das Privatleben der beiden Hauptfiguren keine Rolle. Der Fokus liegt klar auf den beiden Erzählsträngen Politik und Polizeiarbeit. Ein Countdown, der die Wochen und Tage bis zu den Parlamentswahlen herunterzählt, erzeugt Spannung, ob eine Katastrophe bis dahin verhindert werden kann.  

Die politische Seite ist überwiegend aus der Perspektive des politischen Beraters und Sohn einer bekannten Politikerin der Arbeiterpartei, Jens Meidell, geschildert. Ein Blick hinter die Kulissen zeigt den Wahlkampf und mit welch durchaus umstrittenen, rigorosen Methoden vorgegangen wird, um die Wähler zu beeinflussen und an die Macht zu kommen. 
In dem Zusammenhang wird auch der Rechtsruck des Landes offensichtlich, wie es in vielen europäischen Staaten derzeit der Fall ist. Das Szenario mutet deshalb realistisch an und zeigt auf erschreckende Weise wie paktiert wird und wie der Einfluss der sozialen Medien auf die Gesellschaft genutzt wird. 

Der zweite Erzählstrang handelt von den Ermittlungen der Polizei, die den ehemaligen Nachrichtendienstler Martin Tong reaktiviert hat, um von seiner Expertise zu profitieren. Während schon bald zwei Verdächtige im Raum stehen, ist nicht bekannt, wie weit verzweigt, dass Terrornetzwerk sein könnte. Klar sind jedoch die finanziellen und politischen Forderungen, die unter dem Druck von Anschlägen mit Rizin erzwungen werden sollen. Der Staat kann und möchte sich nicht erpressbar machen, kann aber auch nicht das Risiko von unzähligen Toten durch einen Giftgasanschlag in Kauf nehmen. 
Auch diese Einflussnahme von (Rechts-)terroristen, um politische Ziele zu erlangen sowie die Ermittlungen der Polizei sind authentisch dargestellt. Die Gefahr ist spürbar und es ist leicht vorstellbar, dass eine solche Situation auch in Deutschland jederzeit möglich ist. 

Auch wenn die Bedrohungslage ein realistisches Szenario darstellt, empfand ich die Aufklärung nicht durchgängig plausibel. Einerseits spielte der Faktor Zufall bei der Vorhersehung der Taten eine zu große Rolle, andererseits waren mir die Schlussfolgerungen der Ermittler zu sehr aus der Luft gegriffen. Eingängiger empfand ich den schmutzigen, bitterbösen Wahlkampf, wobei die Methoden bis an die Spitze des Erträglichen getrieben werden. 

"Echokammer" ist vor dem Hintergrund eines drohenden Terroranschlags und dem Wettlauf mit der Zeit spannend aufgebaut und hat durch den Wahlkampf zudem eine brandaktuelle politische Komponente. Der Thriller spiegelt in weiten Teilen die Realität wieder bzw. welches Drohszenario Terroristen aufbauen können und ist deshalb besonders beängstigend. Für einen Reihenauftakt bleiben die Hauptfiguren allerdings blass und marginal. Der Epilog verspricht eine nahtlose Fortsetzung mit einem erneuten Terrorfall. 

Mittwoch, 12. März 2025

Buchrezension: Katharina Fuchs - Vor hundert Sommern

Inhalt:

Als Lena mit ihrer Mutter Anja die Wohnung der Großmutter ausräumt, entdeckt sie den Nachlass von Anjas Großtante Clara, über deren Leben stets der Schatten von etwas Unausgesprochenem lag. Im Berlin der 1920er Jahre interessiert sich die junge Clara kaum für Politik. Selbst als 1933 alle Zeichen auf Sturm stehen, gestattet sie dem idealistischen Revolutionär Aleksei im Hinterzimmer ihres Hundesalons geheime Treffen abzuhalten – ohne zu ahnen, in welche Gefahr sie sich und ihre Familie bringt. Hundert Jahre später muss sich Lena der Vergangenheit stellen, um ihre eigene Zukunft zu gestalten. Sie erkennt, dass Scham und Schuld aus längst vergangener Zeit ihre Familie bis heute prägen. Schließlich treffen Mutter und Tochter Entscheidungen, die niemand in ihrer Familie versteht … Einfühlsam und authentisch erzählt Katharina Fuchs die Geschichte ihrer Großtante Clara und lässt die Leser zugleich eine beliebte Figur aus Zwei Handvoll Leben wiedersehen – ihre Oma Anna. 

Rezension: 

Nachdem Elisabeth Brand im Alter von 94 Jahren in ein Seniorenheim gezogen ist, räumen ihre Tochter Anja und ihre Enkelin Lena die Wohnung in Berlin aus. Dabei finden sie auch Dinge von Elisabeths Tante Clara, die in den 1920er-Jahren als Flaschenspülerin für die Brauerei "Berliner Kindl" angefangen, später als Hundesitterin für den Brauereisohn gearbeitet, bis sie sich mit einem Hundesalon selbstständig gemacht hat.
Neugierig auf Claras Lebensgeschichte, stellt Lena ihrer körperlich gebrechlichen, aber geistig noch fitten Oma Fragen. Anfangs zögerlich erzählt Elisabeth schließlich gern von ihrer beherzten Tante, schweigt sich dabei aber über das Leben ihrer Mutter aus, die offenbar mit Clara in einen Streit geriet.
Während Anja und Lena mehr über ihre eigenen Wurzeln erfahren, ihre betagte Mutter und Großmutter aber nicht bedrängen möchten, haben sie selbst mit den Problemen der Gegenwart zu kämpfen. Anja hat ein Berufsangebot, das sie aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen scheut, anzunehmen und Lena hat mit ihrer sozialen Phobie zu kämpfen, die ihr das Studium in Berlin erschwert, weshalb sie sich am liebsten wieder bei ihren Eltern einquartieren möchte. Zeitgleich braucht auch ihre ältere Schwester Anabel elterliche Unterstützung, die als Content Createrin erfolgreich ist, dabei aber an ihre körperlichen Grenzen kommt.

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und wird in der Gegenwart im Jahr 2024 aus den Perspektiven von Anja und Lena erzählt, während die Vergangenheit hundert Jahre zuvor von Clara handelt.

Clara ist eine mutige junge Frau, die sich für ihre Mitmenschen engagiert, gegen Ungerechtigkeiten kämpft und beruflich ihren Weg geht. Sie steht zwischen zwei Männern und entscheidet sich letztlich für den bodenständigen liebenswerten, aber auch beeinflussbaren Willy und gegen den aufregenden Revoluzzer Aleksei.
Lena ist frisch an der Universität in Berlin und hat das Gefühl, nicht richtig dazu zu gehören. Halt gibt ihr ein Findelhund, der zu ihrem treuen Gefährten wird.
Anja steht vor der Entscheidung, erneut für die Familie beruflich zurückstecken zu müssen. Obwohl ihre Töchter erwachsen sind, sieht sie sich in der Pflicht und hat zudem ein schlechtes Gewissen ihrer Mutter gegenüber, die sie nicht zu Hause pflegt.

Auch wenn die Erzählebenen 100 Jahre trennen, gibt es Parallelen. Während in der Vergangenheit die Nationalsozialisten erstarken und im Jahr 1933 die Macht ergreifen, ist auch 2024 der Antisemitismus in Deutschland gegenwärtig. Zudem wirkt Lena inspiriert von dem Lebensweg ihrer Großtante.

Der Roman handelt von der zögerlichen Aufarbeitung der Familiengeschichte, wobei durch das unaufhörliche Schweigen lange hinausgezögert wird, worin das Familiengeheimnis liegt.
Während man über die schmerzhaften Erinnerungen spekuliert, taucht man in den Alltag der drei Frauen ein, der lebendig geschildert ist.
Die Frauen stehen vor verschiedenen Herausforderungen, haben mit Selbstzweifeln und Einsamkeit, aber auch mit herrschenden Strukturen zu kämpfen. Zivilcourage, Freundschaft und Frauensolidarität und selbstbewusst den eigenen Weg zu gehen, sind in Gegenwart und Vergangenheit wesentliche Punkte, die Mut machen.

Die Geschichte ist mit Liebe zum Detail erzählt, das beharrliche Schweigen und die Leugnung eines wesentlichen Teils der Familiengeschichte wollte mir jedoch nicht so recht einleuchten und ließ das vererbte Trauma dramaturgisch erzwungen aussehen. 

Montag, 10. März 2025

Buchrezension: Layne Fargo - The Favourites

Inhalt: 

Katarina Shaw weiß eins ganz sicher: Sie ist dazu bestimmt, olympische Eistänzerin zu werden. Als sie Heath Rocha – selbst aus armen Verhältnissen stammend – kennenlernt, findet sie in ihm den Partner, um diesen Traum zu verwirklichen. Aus den Kindheitsfreunden wird ein rebellisches Duo, das sich bis in die obersten Ränge der glitzernden Eissportwelt hochkämpft. Mit den Funken, die zwischen ihnen sprühen, und mit ihrer Achterbahnbeziehung jenseits der Eisfläche faszinieren sie die Fans. Die Welt könnte ihnen zu Füßen liegen – wäre da nicht der schreckliche Skandal, der sie alles kosten wird. 

Rezension:

Katarina Shaw stammt aus einfachen Verhältnissen und hat von klein auf davon geträumt, Eistänzerin zu werden. Mit Heath Rocha, der als Pflegekind von einer Familie in die nächsten geschoben wurde, findet sie einen Partner auf dem Eis und ihren besten Freund und Seelenverwandten. Nach dem Tod ihres Vaters wird der Wunsch größer, dem Zuhause zu entfliehen und so klammern sich Kat und Heath als Ausweg an den Eistanz und aneinander. Sie werden zu einem Liebespaar und mit hartem Training zu einem meisterhaften Eistanzpaar. Unter strenger Anleitung entwickeln sie sich weiter und werden zu Medaillenfavoriten. Doch Gefühle haben auf dem Eis und den Profimeisterschaften keinen Platz und werden dem Paar mehrfach zum Verhängnis und macht es zu einem schillernden Promipaar, das für Schlagzeilen sorgt. Erfolg und Niederlage, Liebe und Hass liegen dicht bei einander.
Noch Jahre später wird der dramatische Aufstieg und Fall des Paares von Insidern medienwirksam diskutiert.

Der Roman wird aus der Sicht von Kat, beginnend von ihrer Kindheit, erzählt und erstreckt sich über mehrere Jahre. Unterbrochen wird ihre eigene Geschichte durch Interviewfragmente von Konkurrenten, Juroren und Weggefährten, die Jahre später die Geschichte um das vielversprechende Eistanzpaar und ihre Partner rückblickend analysieren.
Während die Unterbrechungen der Geschichte zu Beginn etwas störend sind, heizen sie die weitere Erzählung sensationshungrig an, indem sie Andeutungen machen und vereinzelte Details vorwegnehmen, die die Dramatik und den Skandal einer Karriere erahnen lassen.

Unabhängig davon, ob man sich für den Eissport interessiert, ist die Geschichte mitreißend und packend. Die Leidenschaft für den Sport, die Anstrengung des Trainings, der Druck zu performen und das perfekte Bild nach außen abzugeben, ist anschaulich dargestellt. Gleichzeitig ist neben der tatsächlichen Obsession für den Eistanz spürbar, welches Geschäft dahinter steckt und dass es in erster Linie darum geht, zu funktionieren, wenn man Erfolg haben möchte. Der Ehrgeiz ist riesig, aber gleichzeitig auch der Konkurrenzdruck und die Eifersucht.
Sowohl Kat und Heath, für die der Erfolg im Eistanz einen Start in ein neues Leben bildete, als auch für das Zwillingspaar Bella und Garrett Lin, die aus dem Schatten ihrer erfolgreichen Mutter heraustanzen müssen, ist der Eistanz alles und die Gefühle, die ihnen dazwischen funken, werden einerseits zu einem Aufputschmittel, andererseits aber auch zum Auslöser ihrer schwersten Niederlagen. 

Die Charaktere sind vielschichtig gezeichnet und machen i
m Verlauf der Jahre, die man die Figuren begleitet, einen authentischen Reifeprozess durch. Keiner der vier Hauptfiguren ist perfekt, jede hat ihr Geheimnis oder verfolgt eine persönliche Agenda, was die Geschichte unvorhersehbar macht und ihr immer wieder neue Impulse gibt.
Wenn das Privatleben die sportliche Ereignisse in den Schatten stellt, wird das Interesse der Medien geweckt. Die Gerüchteküche in der Öffentlichkeit brodelt, was auch gewollt ist, um die Leidenschaft auf dem Eis zu transportieren, ungewollt jedoch in einem Enthüllungsbericht gipfelt, der fatale Folgen hat.

Die Mischung aus Hochleistungssport, Training bis zur Erschöpfung, körperlichen Schmerzen, die Obsession und der Hunger nach Erfolg zusammen mit den leidenschaftlichen Gefühlen, der Liebe, Eifersucht und Manipulation, die die Protagonisten antreibt, bildet eine abwechslungsreiche und fesselnde Geschichte voller Spannung und Emotionen.
Der Eistanz stellt dabei einen glamourösen Rahmen dar, während der Roman allgemeine Themenkomplexe aufgreift, mit denen sich jeder identifizieren kann. Er handelt von der Leidenschaft für eine Sache und die Opfer, die man bereit ist, dafür zu bringen sowie davon, an seine Träume zu glauben und sie zu leben. Am Ende stellt sich für jeden die Frage, welche Prioritäten zu setzen sind und ob der Zweck die Mittel heiligt. 

Freitag, 7. März 2025

Buchrezension: Charlotte Lucas - Luzie in den Wolken

Inhalt:

Gabriel Bach, ein ausgebrannter Bestsellerautor in der Krise, sitzt an der Elbe, als ein roter Luftballon vorbeifliegt, an dem ein Zettel befestigt ist. Darauf steht: "Liber Got, mein Papa ist bei dir im Himell - kannst du mir nicht bite einen neuen schikken? Von ganzem Hertzen, deine Luzie in den Wolken." Als Gabriel diese Worte liest, kommt ihm zum ersten Mal seit Langem wieder eine Idee, die eine Lawine von Ereignissen in Gang setzt, die nicht nur sein eigenes, sondern auch das Leben von Luzie und ihrer Mutter Miriam völlig auf den Kopf stellen wird. 

Rezension: 

Der Bestsellerautor Gabriel Bach leidet sowohl unter einer Sinnkrise als auch einer Schreibblockade und steht unter dem Druck des Verlages, einen neuen Liebesroman zu veröffentlichen. Als er einen roten Ballon mit einer Postkarte findet, auf der eine Luzie ihren Herzenswunsch, dem nach einem neuen Vater, geschrieben hat, erhält Gabriel die erhoffte Inspiration für sein neues Buch. Emotional berührt von der traurigen Karte, sorgt Gabriel zunächst dafür, dass Luzie den Wettbewerb mit der am weitesten entfernten Postkarte gewinnt und nimmt für die Recherche seines Buches sukzessive mehr Raum im Leben von Luzie und ihrer Mutter Miriam ein, verstrickt sich dabei immer tiefer in ein Lügenkonstrukt, um seine Identität zu verbergen.

"Luzie in den Wolken" wird abwechselnd aus der Perspektive von Gabriel und Miriam erzählt und handelt im Kern im Zeitraum von drei Monaten von September bis Dezember. Gabriel schleicht sich als Buchhalter Ben in Miriams Leben, um mehr Input für sein Buch zu erhalten. Dabei geht er jedoch nicht nur eigennützig vor, sondern freundet sich mit der alleinerziehenden Mutter an, die Inhaberin eines Second Hand-Ladens in roten Zahlen ist. Miriam mag den sympathischen Buchhalter, der nicht nur einen Raum bei ihr anmietet und sie bereitwillig in ihrem Laden vertritt, sondern sich auch ihre siebenjährige Tochter gut mit Ben versteht. 

Die dialoglastige Geschichte mit zahlreichen Alltagsszenen aus dem Second Hand-Laden und dem Leben mit einem kleinen Kind sind lebendig und unterhaltsam geschildert. Die beiden Hauptfiguren Gabriel und Miriam sind authentisch dargestellt und mit ihren Empfindungen leicht vorstellbar. Die siebenjährige aufgeweckte Luzie und Miriams beste Freundin, die Astrologie begeisterte und loyale Becka, bereichern den Plot. 

Trauer und Depression sind eingangs dominant, jedoch im Verlauf der Geschichte schnell vergessen oder nicht vordergründig. Der Roman ist vielmehr optimistisch, hoffnungsvoll und warmherzig, auch wenn im Hintergrund Gabriels Lügengerüst schwelt. 

Trotz der abwechslungsreichen und lebendigen Darstellung ist die Geschichte vorhersehbar und bietet im Hinblick auf das Grundgerüst aus Liebe und Lüge wenig Überraschendes. Auch ist das Engagement Gabriels überzogen, mit großem Aufwand und finanziellem Einsatz verbunden und in der Intensität gar nicht nötig, um Platz in Miriams Leben zu erhalten. So verliert die Geschichte an Glaubhaftigkeit und bleibt in Bezug auf die ernsten Themen eher zurückhaltend. Gerade Gabriels familiärer Hintergrund oder auch Miriams Erinnerungen an ihren Mann hätten dem Roman in einer ausführlicheren Darstellung mehr Emotionen und Tiefe verliehen. Am Ende geht es mit einem Zeitsprung in März und September des Folgejahres im Vergleich zur sehr detaillierten Erzählweise zuvor recht schnell, um die Geschichte zu einem Ende zu bringen. Alle Probleme sind letztlich wie von Zauberhand gelöst. 

So ist "Luzie in den Wolken" ein unterhaltsamer Wohlfühlroman über Freundschaft, Liebe und Familie, aber auch Verlust und Reue, der weniger berührend ist, als erwartet. Die Geschichte ist lebendig und einfühlsam, mit besonders liebevoll gezeichneten Figuren (es gibt sogar ein Wiedersehen mit Charakteren aus "Dein perfektes Jahr"), aber am Ende doch etwas sehr märchenhaft.  

Mittwoch, 5. März 2025

Buchrezension: Kate Eberlen - Everlast: Sich zu verlieben ist nur der Anfang

Inhalt:

Alles beginnt wie im Märchen: Tess und Gus verlieben sich im Italienurlaub Hals über Kopf ineinander. Sie möchten heiraten und könnten glücklich bis ans Ende ihrer Tage leben. Doch das wahre Leben ist kein Märchen. Zurück im verregneten London beginnt für die beiden eine Reise, die sich das Leben nennt. Kummer und Freude warten auf sie, ihre Verbindung wird vielfach auf die Probe gestellt. Gus durchleidet eine schwere Depression, Tess muss ihre ganze Energie für ihre autistische Schwester aufbringen. Über allem schwebt die ständige Unsicherheit, ob Tess ihre Krebserkrankung wirklich überwunden hat. Wird ihre Liebe stark genug sein, um die Herausforderungen ihres komplizierten Lebens gemeinsam zu meistern? 

Rezension: 

Tess und Gus kommen zum ersten Mal in einer Kirche in Florenz miteinander ins Gespräch und merken erst dann, dass es schon unzählige Gelegenheiten gegeben hat, an denen sie sich näher hätten kennenlernen können. Wie das Schicksal so will, war ihre erste Begegnung schon vor 16 Jahren in Florenz. Sie verbringen gemeinsame Tage in der Toskana und verlieben sich ineinander, träumen sogar davon, gemeinsam nach Italien zu ziehen. 
Zurück in London ist es schwer, die unbeschwerte Urlaubsfreude zu bewahren und in den Alltag mitzunehmen. Sowohl Tess als auch Gus haben, ihre Päckchen zu tragen, haben Trauer und Ablehnung erlebt und müssen unteren den Herausforderungen ihres Lebens ihre Liebe bewahren. 

"Everlast - Sich zu verlieben ist nur der Anfang" ist die Fortsetzung von "Miss you", erzählt jedoch eine ganz eigene Liebesgeschichte, weshalb die Romane auch unabhängig von einander zu lesen sind.  
Während die Mehrheit der Liebesromane vom Suchen und Finden der Liebe handelt und mit einem Happy End endet, beginnt "Everlast" mit dem Happy End und handelt davon, was danach kommt. Es ist insofern eine erwachsene Liebesgeschichte, die gut zum Alter der Protagonisten mit Mitte 30 passt, die schon einiges in ihrem Leben erlebt haben. 

Neben der Liebe, Romantik und der Hoffnung auf ein gemeinsames Leben handelt der Roman im Zeitraum von 2013 bis 2020 von vielen ernsten Themen wie Krebserkrankungen, Depressionen, Neurodivergenz und schwierigen familiären Beziehungen, weshalb die Geschichte beginnend mit dem Prolog schwermütig anmutet. Man sollte sich deshalb vom Cover in bunten Pastellfarben, das eine Sommerliebe suggeriert, nicht irreleiten lassen. 

Nach der Verliebtheit und Euphorie in Italien folgt das wirkliche Leben für Tess und Gus in London. Dort ist es weniger der Alltag, der sie einholt, sondern die Geschichte, die sie mit sich tragen. Als geschiedener Vater hat Gus seine Verpflichtungen und Tess ist nach einer Krebserkrankung in Remission und fühlt sich für ihre jüngere Schwester verantwortlich. Zudem sind beide unglücklich mit ihrer Berufswahl. Für die Liebe bleibt bei all den Sorgen, Problemen und Beeinflussung von Freunden und Verwandten kaum Raum, auch wenn Tess und Gus für einander da sind und ihre Liebe nicht aufgeben möchten. 

Durch wechselnde Sichten kann man sich in beide Leben und Gefühle sehr gut hineinversetzen, was durch die Ich-Perspektive noch verstärkt wird. Bei Tess und Guss kommen jedoch so viele psychische, physische und familiäre zusammen, dass die Geschichte viel mehr belastende als heitere, romantische Momente hat. Sie ist empathisch, aber auch sehr schwermütig und melancholisch, wobei auf übertriebene Dramatik verzichtet wird. 

Auch wenn diese Liebesgeschichte vielleicht realistischer als so manche Happy Ever After-Romanze ist, hätte ich mir dennoch mehr gemeinsame Glücksmomente für Tess und Gus gewünscht, die die vielen verpassten Chancen über 16 Jahre hinweg wieder wettgemacht hätten. Aber gerade weil den beiden so viele Hürden auferlegt werden, ist die Geschichte unwahrscheinlich vielfältig, führt an verschiedene Orte auf der ganzen Welt und - gäbe es den Prolog nicht - wäre sie zudem im Hinblick auf das Ende unvorhersehbar. 

Montag, 3. März 2025

Buchrezension: Liz Moore - Der Gott des Waldes

Inhalt:

Es ist August 1975, ein Sommer, der das Leben vieler Menschen in den Adirondack Mountains für immer verändern wird. Als Barbara eines Morgens nicht wie sonst in ihrer Koje im Sommercamp liegt, beginnt eine panische und groß angelegte Suche nach der 13-Jährigen. Das Verschwinden einer Jugendlichen im Naturreservat ist unter allen Umständen eine Katastrophe, aber Barbara ist keine gewöhnliche Camperin: Sie ist die Tochter der reichen Familie Van Laar, der das Camp und das umliegende Land in den Wäldern gehören. Und sie ist die Schwester von Bear, dem Jungen, der seit 14 Jahren vermisst wird. Kann das Zufall sein? Was wissen die anderen Kinder im Camp über Barbaras Verschwinden, und was verheimlichen die Angestellten, die im Schatten der Van Laars ihr Dasein fristen? Was hat der aus dem Gefängnis entflohene "Schlitzer" mit all dem zu tun und welche Geheimnisse hütet die Familie selbst? 

Rezension: 

Im August 1975 verschwindet ein 13-jähriges Mädchen während eines Sommerferienlagers spurlos in den Adirondack Mountains. Besonders brisant ist, dass Barbara die Tochter der wohlhabenden Familie Van Laar ist, die Eigentümer des Naturreservats sind und dass schon ihr Bruder seit 14 Jahren vermisst wird. 
Die junge Betreuerin Louise hätte auf Barbara aufpassen sollen, war jedoch in der Nacht ihres Verschwindens selbst mit anderen Dingen beschäftigt. 
Eine verzweifelte Suche nach der Ausreißerin, die schon früh gegen ihre Eltern rebelliert hat, beginnt und weckt unweigerlich Erinnerungen an den Sommer 1961. 
Während die Polizei ermittelt, drängt sich unweigerlich der Verdacht auf, dass die Familie Van Laar etwas zu verbergen hat und nie ein echtes Interesse daran hatte, das Verschwinden des achtjährigen Jungen aufzuklären. 

"Der Gott des Waldes " ist eine spannende Mischung aus Familientragödie und Kriminalroman, die aus verschiedenen Blickwinkeln erzählt wird. Auf dieses Weise erhält man einen umfassenden Einblick in die Angestellten im Camp, die mächtige Familie Van Laar, Helfende, Polizisten und die Kinder im Camp. Der Fokus rückt dabei insbesondere auf die weiblichen Figuren. Alice, Barbaras Mutter, ist gefangen in einer unglücklichen Ehe und hat den Verlust ihres Sohnes nicht verkraftet. Die 12-jährige Tracy ist ein schüchternes Mädchen, dass sich mit Barbara angefreundet hatte und mehr über sie weiß, als sie preisgeben mag. Daneben ist es die unkonventionelle T.J., eine der Zuständigen im Camp, die gegen einen Aufenthalt der aufmüpfigen Barbara im Camp war. Die Betreuerin Louise hat ihre eigenen Geheimnisse, warum sie ihrer Pflicht nicht nachgekommen ist, auf Barbara zu achten und gerät als erstes in Verdacht. Für die Ermittlungen zuständig ist unter anderem die junge Investigator Judy Luptack, die von den Angehörigen als Polizistin nicht ernst genommen wird und auch innerhalb der Polizeistrukturen als Frau einen schweren Stand hat. 

Neben den Ereignissen im Sommer 1975 sind die Rückblenden in die Vergangenheit, angefangen von den 1950er-Jahren bis zum tragischen Sommer 1961, zentral. In der Rückschau erfährt man mehr über die Familienverhältnisse der Van Laars und die Suche nach Sohn Bear. Dabei ist spannend zu erfahren, ob und wie das Verschwinden von Bear mit dem Verschwinden seiner Schwester in einem Zusammenhang stehen könnte. Parallel dazu verleiht die Flucht des "Schlitzers" aus dem Gefängnis, einem Sexualstraftäter und brutalen Serienmörder, ein ungutes Gefühl. 

Durch einen Zeitstrahl und die Benennung der Person zu Beginn der kurzen Kapitel überfordert die sprunghafte Erzählung nicht, sondern sorgt gezielt für Cliffhanger. Die Naturbeschreibungen sind bildhaft und machen die Umgebung des Naturreservats und das Anwesen der angesehenen Van Laars so gut vorstellbar wie die einzelnen Personen, die trotz ihrer Vielzahl fein gezeichnet sind. 

"Der Gott des Waldes" ist neben einer spannenden und tragischen Kriminalgeschichte eine lebendige Zeitreise in die 1950er-, 1960er- und 1970er-Jahre, in der die sozialen Ungleichheiten zwischen Arm und Reich sowie zwischen Mann und Frau deutlich zutage treten. Voller Empathie blickt die Autorin auf ihre Figuren und hält die Spannung durch zwei sich ähnelnde Vermisstenfälle und die Familie mit ihren verborgenen Geheimnissen in Vergangenheit und Gegenwart gleichbleibend hoch. 
Die Geschichte ist fesselnd und erschütternd zugleich, während sich immer mehr familiäre Abgründe auftun und sich die Puzzlestücke zur Klärung beider Vermisstenfälle vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Konventionen, patriarchaler Strukturen, Machtmissbrauch und Vorurteile, auftun.