Freitag, 29. November 2024

Buchrezension: Robert Harris - Abgrund

Inhalt:

In London hat die 26-jährige Venetia Stanley – aristokratisch, klug, unbekümmert – eine Affäre mit Premierminister H. H. Asquith, einem Mann, der mehr als doppelt so alt ist wie sie. Er schreibt ihr wie besessen Liebesbriefe und teilt ihr die heikelsten Staatsgeheimnisse mit. 
Während Asquith das Land unfreiwillig in den Krieg gegen Deutschland führt, untersucht ein junger Geheimdienstoffizier die widerrechtliche Enthüllung streng geheimer Dokumente – und plötzlich wird aus einer intimen Affäre eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit, die den Verlauf der politischen Geschichte verändern wird. 

Rezension:

England im Jahr 1914 vor Ausbruch des Großen Krieges, Premierminister Herbert Henry Asquith mit einer außerehelichen Affäre mit einer Adeligen, die halb so alt ist wie er, eine intime Korrespondenz, ein möglicher Geheimnisverrat, ein Ermittler auf der Spur: "Abgrund" hat alle Zutaten eines spannenden Spionageromans und wird als "historischer Politthriller" angekündigt, kann diese Erwartungen jedoch nicht erfüllen. 

In "Abgrund" vermischt der Autor historische Wahrheiten über den Ausbruch des Ersten Weltkrieges und die Rolle, die England als Gegner Deutschlands zum Schutz des Partners Frankreich einnahm sowie die intimen Details der Beziehung zwischen Asquith und Venetia Stanley mit einer fiktiven Geschichte über den Scotland Yard-Sergeant Paul Deemer, der für das Kriegsministerium engagiert wurde, um deutsche Spione aufzudecken. 

Erschreckend ist allein die Tatsache, dass ein politisch versierter Premierminister Interna aus Kabinettssitzungen, Kriegsstrategien und geheim eingestufte Nachrichten brühwarm an seine Geliebte weitergibt oder so einfältig und unbedacht ist, unverschlüsselte Telegramme - wenn auch zerrissen - in der Öffentlichkeit wegzuwerfen und der naive Glaube, dass die Affäre gänzlich unbeachtet bleiben könnte. 

Darüber hinaus wird die Geschichte ermüdend langweilig erzählt. Weder wiegt der Geheimnisverrat so schwer, da die Empfängerin tatsächlich Stillschweigen bewahrt, noch ist ihre intime Beziehung, die sich auf gemeinsame Fahrten mit dem Auto, Spaziergänge zu zweit oder offizielle Anlässe in Gesellschaft beschränkt, sonderlich prickelnd. Die Briefe des Premierministers sind die eines liebeskranken älteren Gentleman, der eine tiefe Sehnsucht und Abhängigkeit zu seiner Geliebten zum Ausdruck bringt, wobei die Briefe immer erwartungsvoller und besitzergreifender werden. Auch die fiktiven Ermittlungen des Scotland Yard-Beamten, der hinter den heiklen Briefverkehr kommt, aber selbst mit den Beweismitteln wenig unternehmen kann, können dem Roman keine Spannung verleihen. 

"Abgrund" mag ein gut recherchierter historischer Tatsachenbericht sein, der mit fiktiven Ermittlungen aufgepeppt wird, ist aber mit 500 Seiten blumig formulierten Liebeszeilen, die den Premierminister im weiteren Verlauf des Romans als verantwortungslosen Schwächling aussehen lassen, und politischen Debatten zu Kriegsstrategien zu redundant und ausschweifend erzählt. 
Abgründe, Nervenkitzel und Erotik oder den Anschein eines spannenden Spionageromans sucht man vergebens. 

Mittwoch, 27. November 2024

Buchrezension: Tríona Walsh - Nachtwald

Inhalt:

Butler Hall, ein düsteres, etwas verfallenes Herrenhaus im Westen Irlands. Nach Monaten ohne Kontakt trifft Lizzie hier wieder auf ihre Familie, um die Hochzeit ihrer Mutter zu feiern. Lizzie hat einiges wiedergutzumachen und ist fest entschlossen, dass dieses Wochenende ein Erfolg wird. Doch bereits das Haus von George, dem neuen Ehemann ihrer Mutter, ist anders als erwartet: Butler Hall liegt mitten in einem dunklen Wald, selbst die Straße dorthin ist so zugewachsen, dass das Haus nur zu Fuß erreicht werden kann. Trotzdem findet noch jemand den Weg durch den Wald – und dieser Gast wird nicht einfach wieder weggehen. Ein albtraumhaftes Wochenende beginnt, während dem ein Geheimnis nach dem anderen ans Licht kommt. Und danach ist nichts mehr so, wie es vorher war. 

Rezension: 

Nach einem Aufenthalt in einer Entzugsklinik trifft Lizzie nach langer Zeit wieder auf ihre Mutter und ihren Bruder. Ihre Mutter ist frisch verheiratet und möchte ihren Kindern an diesem Wochenende ihren neuen Mann George vorstellen. Sie verbringen die Zeit auf Butler Hall, einem altehrwürdigen Anwesen, das abgelegen in einem Wald liegt und schon lange im Familienbesitz der Butlers ist. 
Am ersten Abend stößt ein ungebetener Gast zu ihnen, der das so harmonisch geplante Familienwochenende stört. Als am nächsten Morgen eine Leiche gefunden wird und irritierende Entscheidungen getroffen werden, wird Lizzie allmählich klar, dass etwas nicht stimmt und von den Anwesenden jeder etwas zu verbergen hat. 

"Nachtwald" hat die klassischen Zutaten eines Locked-Room-Szenarios: ein altes Haus, ein dunkler Wald, eine übersichtliche Anzahl an Personen, ein Toter, kein Handyempfang und damit keine Möglichkeit, Hilfe zu holen. Trotz eines altbekannten Settings ist der Roman keines falls langweilig, sondern weiß schon aufgrund des Prologs mit zwei Frauen auf der Flucht zu fesseln. 

Die Stimmung, als die Familie zusammenkommt, ist angespannt. Lizzie hat durch ihr Alkohol- und Drogenproblem ihre Mutter und ihren Bruder enttäuscht und Vertrauen verspielt, die überstürzte Hochzeit ihrer Mutter nach nur sechs Monaten des Kennenlernens von George macht argwöhnisch und Liam verhält sich reichlich seltsam. George wirkt aufgesetzt euphorisch und seine Tochter und ihr ebenfalls frisch gebackener Ehemann Hudson auffällig entspannt. Jeder macht sich im Verlauf des ersten Abends verdächtig und könnte am nächsten Morgen ein Motiv für einen Mord haben. 

Die Geschichte ist raffiniert, die Wendungen sind überraschend und nicht plump. Es ist schwierig zu durchdringen, was in den handelnden Personen vor sich geht, selbst als allmählich Geheimnisse gelüftet und Lügen offenbart werden. 

Die Ausgangslage ist ein Familiendrama, das sich aufgrund der drohenden Gefahr zu einem Psychothriller entwickelt. Geschickt werden falsche Fährten gelegt und die klaustrophobische Atmosphäre unterstreicht die Hilflosigkeit der Figuren, die sich gegenseitig nicht trauen können und dem abgelegenen Ort nicht so einfach entkommen können. 
Die Motive der Täter werden am Ende schlüssig erklärt, die Gewalteskalation gleicht jedoch einem etwas überzogenem Showdown, auch wenn bei einem Thriller nicht verwunderlich ist, dass aus Geltungssucht und Gier über Leichen gegangen wird. 


Montag, 25. November 2024

Buchrezension: Emily Houghton - Last Time We Met

Inhalt:

Im Alter von dreizehn Jahren sind die besten Freunde Eleanor und Fin unzertrennlich. Überzeugt davon, dass das immer so bleiben wird, schließen sie einen Pakt: Sie wollen zusammen zur Uni gehen, immer in der Nähe des anderen wohnen und heiraten, wenn sie mit 35 noch Single sind. 
Eleanor und Fin haben seit fünfzehn Jahren nicht mehr miteinander gesprochen. Das Leben ist ihnen dazwischen gekommen, und sie sind beide weit von dem entfernt, wovon sie vor all den Jahren geträumt haben.
Durch tragische Umstände tritt Fin wieder in Eleanors Leben. Seit ihrer letzten Begegnung hat sich alles verändert. Ist es zu spät, um ihre Verbindung zu kitten? Oder gibt es eine Chance für die beiden, ihr Versprechen doch noch zuhalten? 

Rezension: 

Eleanor und Fin waren in ihrer Kindheit und Jugend die besten Freunde. Ihre Gegensätze glichen sich perfekt aus. Während Fin spontan war und seine Meinung nicht hinter dem Berg hielt, war Eleanor organisiert und zurückhaltend. Ihre Wege trennten sich, als Fin nach der Schulzeit London verließ, um zu reisen und sich letztlich in L.A. niederließ.
Fünfzehn Jahre später kehrt Fin zurück, als seine Mutter im Sterben liegt. Eleanor wurde drei Monate zuvor von ihrem Langzeitfreund verlassen. 
Bei der Hochzeit einer gemeinsamen Freundin treffen Fin und Eleanor erstmals nach langer Zeit aufeinander, aber die Stimmung ist unterkühlt. Dabei hatten sie sich als Teenager sogar vertraglich darauf geeinigt, im Alter von 35 Jahren zu heiraten, sollten beide ungebunden sein. 

Auch wenn das Buch eine Friends-to-Lovers-/ Second-Chance-/ Marriage-Pact-Romance schreibt, entwickelt die Geschichte sich nicht ganz so romantisch wie man erwarten könnte, ist sie doch von einigen betrüblichen Themen wie Alkoholismus, Betrug, Krankheit, Tod, Trauer und emotionalem Missbrauch geprägt. Zudem findet zu Beginn keine und auch später nur wenig Interaktion zwischen Eleanor und Fin statt. 

Die Mehrheit der Kapitel handeln in der Gegenwart. Die einzelnen Rückblenden in die Vergangenheit der gemeinsamen Jugend sind nur kurze Ausschnitte. Darin wird zwar deutlich, dass die beiden mit den Jahren mehr Gefühle für einander hegten als nur Freundschaft, jedoch sehr lange nicht, woran ihre Bindung zerbrochen ist und warum sie den Kontakt nicht gehalten haben. So ist auch das Wiedersehen verhalten und wenig herzlich, wobei Fin allerdings von Eleanors Familie mit offenen Armen empfangen wird. 

Während Fin seine Mutter, zu der er auch den Kontakt abgebrochen hatte, widerwillig und mehr aus Pflichtgefühl besucht, wird Eleanor von einer Freundin zu Dates gedrängt, obwohl die Trennung von ihrem Freund noch weit zurück liegt. Die Erinnerungen an diese Beziehung sind jedoch unschön, so dass irritierend ist, dass Eleanor ihren Freund nicht selbst verlassen hat und so leidet. Auch die andauernde Trauer um den Vater ist etwas zu präsent. 
Darüber hinaus erscheinen die Szenen im Pflegeheim nicht immer realistisch - sowohl in Bezug auf das Verhalten der dementen und todkranken Mutter als auch der eigentümlichen Fotoshootings, zu denen Fotograf Fin genötigt wird. 

Erst nach mehreren zurückhaltenden Treffen zeigt sich, dass Eleanor und Fin überhaupt noch so etwas wie Freundschaft empfinden. Echte Nähe ist nicht zu spüren, ein klärendes Gespräch findet nur im Ansatz statt und dann braucht es am Ende reichlich Drama bis sich die beiden besinnen. 

Auch wenn die Geschichte nicht ganz rund ist, ist sie abwechslungsreich und unterhaltsam und kann zudem emotional berühren. Dass beide Hauptfiguren ein Trauma in sich tragen und Angst vor Verletzungen haben, ist deutlich zu spüren. Deshalb ist die Stimmung fast durchgehend melancholisch statt von Wiedersehensfreude geprägt. Lange bleibt offen, was zwischen den beiden ehemaligen besten Freunden steht und ob ihr kindlicher Pakt ein gutes Omen war. Romantische Gefühle erwartet man allerdings vergebens. 


Freitag, 22. November 2024

Buchrezension: Ruth Ware - Das Chalet: Mit dem Schnee kommt der Tod

Inhalt:

Ein Luxus-Chalet in den französischen Alpen mitten im tiefsten Winter. Die Mitarbeiter eines erfolgreichen Social-Media-Start-ups haben sich hier eingemietet, um über das Übernahmeangebot eines großen Unternehmens zu diskutieren. Die Stimmung ist angespannt. Alle hier haben etwas zu verlieren. Und manche viel zu gewinnen. Dann beginnt das Grauen: Ein Mitglied der Gruppe nach dem anderen wird ermordet oder verschwindet. Nach einem Lawinenabgang ist das Chalet von der Außenwelt abgeschnitten, es gibt keinen Handyempfang. Der Killer muss einer der Gäste sein. 

Rezension: 

Zehn Mitarbeiter eines App-Startups haben für eine Woche ein Chalet in den Alpen gebucht. Statt ausgelassener Urlaubsstimmung in einem Luxus-Resort ist die Atmosphäre in den verschneiten Bergen angespannt, denn es gibt Pläne, das Unternehmen zu verkaufen und nicht alle Gesellschafter sind damit einverstanden.
Schon beim ersten Skiausflug verschwindet eines der Gründungsmitglieder, weitere folgen oder werden offensichtlich getötet. Da das Chalet nach einer Lawine von der Außenwelt abgeschnitten ist, muss der Täter unter den wenigen Gästen und den zwei Mitarbeitern des Chalets ein. Niemandem ist mehr zu trauen, was zu Angst und unüberlegten Entscheidungen führt. 

"Das Chalet" ist ein typischer Whodunit-Locked-Room-Thriller in verschneiter Umgebung.
Der Roman wird in kurzen Kapiteln aus der Sicht einer unscheinbaren Teilhaberin des Startups und einer der Angestellten des Chalets geschildert.

Die Mitarbeiter des Social Media-Unternehmens werden als arrogant und unsympathisch dargestellt. Unter ihnen könnte jeder ein Mörder sein. Nachdem sich die Zahl der Überlebenden reduziert hat, ist bald zu ahnen, wer ein falsches Spiel treibt, was 100 Seiten vor Schluss mit der Enttarnung bestätigt wird. Sodann beginnt ein Kampf ums Überleben, so dass die Spannung nicht abflacht. Das Setting in der Kälte, ohne Strom und ohne Möglichkeit, Hilfe zu kontaktieren, trägt zu einer ungemütlichen, klaustrophobischen Atmosphäre bei.

"Das Chalet" ist ein solider und durchaus spannender Thriller für die kalte Jahreszeit, jedoch sind die Charaktere arg flach und austauschbar. Hat man während der Handlung Zweifel, dass das Motiv des Täters oder der Täterin weit hergeholt ist, wird man am Ende doch noch überrascht und eines besseren belehrt.  

Mittwoch, 20. November 2024

Buchrezension: Anna Liebig - Winterträume in New York

Inhalt:

Eigentlich liebt Marie Weihnachten über alles. Nach der Trennung von ihrem Langzeitfreund Lukas ist der Countdown bis zum Fest aber geprägt von Liebeskummer. Um auf andere Gedanken zu kommen, macht sie bei einem Gewinnspiel mit, bei dem eine Reise nach New York verlost wird. Und Marie hat Glück! Kurz darauf fliegt sie nach Manhattan, um vor dem Rockefeller Center Schlittschuh zu laufen und im festlich dekorierten Kaufhaus Macy’s Geschenke für ihre Liebsten zu besorgen. Doch hier treten unerwartet Komplikationen auf – Jack zum Beispiel, ein Angestellter im Elfenkostüm, der Maries Gefühlswelt ganz schön durcheinanderbringt. Wird dieses Weihnachten vielleicht doch noch zum Fest der Liebe? 

Rezension: 

Marie ist Ende 20 und wohnt, seitdem sie von ihrem Verlobten verlassen wurde, wieder im Kinderzimmer in der Wohnung ihrer Eltern. Der Liebeskummer und die wenig erfolgreiche Wohnungssuche deprimieren sie, weshalb sie sich von einer Freundin überreden lässt und bei einem Radiogewinnspiel mitmacht. Die beiden haben Glück und gewinnen eine Reise nach New York. Dort ankommen ist Marie allerdings vom Pech verfolgt und kann die Rückreise nicht wie geplant antreten. Allein und unbeholfen ist sie froh, dass sie Jack näher kennenlernt, ein Weihnachtself, mit dem sie im Macy`s zusammengestoßen war. Fürsorglich nimmt er sich ihrer an, als Marie befürchten muss, nicht mehr vor Weihnachten zurück nach Frankfurt zu kommen. 

Nachdem mir "Das Winterkarussell" der Autorin gut gefallen hatte, hatte ich mir auch von "Winterträume in New York" eine liebenswerte Weihnachtsgeschichte erwartet, die sich aber eher als vorweihnachtlicher Alptraum (lesbar als Adventskalender mit 23 Kapiteln + Nachwort) entpuppt hat. 

Marie ist keine sympathische Figur. Sie ist arrogant, unselbstständig und naiv und jammert, ohne Eigeninitiative zu zeigen. Die anderen Protagonisten sind bestenfalls blass oder holzschnittartige, stereotype Figuren. 
Nach einem bereits holprigen Beginn in Frankfurt entwickelt sich die Geschichte in New York City reichlich unrealistisch, ist gespickt mit Logikfehlern (zwischen New York und Frankfurt gibt es keine Zeitverschiebung) und voller Pleiten, Pech und Pannen, dass so gar keine positive, weihnachtliche Stimmung aufkommen mag. 
Die Dialoge sind unnatürlich und altmodisch formuliert. Maries Gedanken sind wie die einer spießigen Alten, ihre Reaktionen auf ihre Unglücke jedoch wie die einer Teenagerin. 

Nachdem die typischen Sehenswürdigkeiten New Yorks abgeklappert wurden, taucht Marie in das "echte" New York ein. Die Themen abseits des Wetters, die die Autorin mit Maries Aufenthalt vermischt, sollen der Geschichte mehr Gehalt geben, passen aber mit der Einsamkeit von Städtern, Obdachlosigkeit, Rassismus und dem amerikanischen Gesundheitswesen nicht wirklich zu einer Weihnachtsgeschichte und bleiben im Zusammenhang mit reichlich Gutmenschentum zudem nur oberflächlich aufgezählt. 

Die Liebesgeschichte entwickelt sich nach kurzen Begegnungen und wenigen Gesprächen zwischen Marie und Jack rasend schnell. Die baldige vertrauliche Nähe zwischen den beiden Fremden ist kaum nachvollziehbar. 

Auch wenn man bei romantischen Winter- / Weihnachtsgeschichten nicht den Anspruch auf nüchterne Realität hat und wohlwollend zum träumen verleitet wird, fehlt dieser Geschichte jedweder Charme und Magie für ein Weihnachtsmärchen mit Happy End. 

Montag, 18. November 2024

Buchrezension: Charlotte Link - Einsame Nacht (Die Kate-Linville-Reihe, Band 4)

Inhalt:

Mitten in den einsamen North York Moors fährt eine junge Frau allein in ihrem Wagen durch eine kalte Dezembernacht. Am nächsten Morgen findet man sie ermordet auf, in ihrem Auto, das fast zugeschneit auf einem Feldweg steht. Es gibt eine Zeugin, die beobachtet hat, dass ein Mann unterwegs bei ihr einstieg.
Ihr Freund? Ein Fremder? Ihr Mörder?
Kate Linville beginnt mit ihren Ermittlungen und ist schnell auf einer Spur, die in die Vergangenheit führt, zu einem Cold Case, in dem Caleb Hale damals ermittelt hat und der nie gelöst werden konnte. 

Rezension:

Eine junge Frau wird ein paar Tage vor Weihnachten erstochen in ihrem Auto aufgefunden. Wenige Stunden zuvor war von einer Zeugin beobachtet worden, wie ein unbekannter Mann das Auto angehalten und zu der Frau eingestiegen war. Sie gibt ihre Beobachtung aber auch nicht nach Zeitungsberichten über den Mord an die Polizei weiter. 
Detective Sergeant Kate Linville, die gerade den Tod einer älteren Frau untersucht, die von ihrer Pflegekraft alleingelassen wurde, übernimmt die Ermittlungen unter einer ihrer neuen Vorgesetzten Detective Inspector Pamela Graybourne der North Yorkshire Police. Dabei wird sie nach der Auswertung von Fingerabdrücken auf Parallelen zu einem Verbrechen aufmerksam, das sich neun Jahre zuvor ereignet hatte und nicht aufgeklärt werden konnte. 

"Einsame Nacht" ist der vierte Band der Reihe um Detective Sergeant Kate Linville. Der Fall ist in sich abgeschlossen, jedoch ist es aufgrund des Bezugs zu Band 3 "Ohne Schuld", durch den der Mord aus dem Sommer endgültig durch den Fund der Leiche aufgeklärt wird und aufgrund des persönlichen Werdegangs der Protagonisten sinnvoll, die Vorgängerromane zu kennen. 

Wie alle Bände zuvor ist auch "Einsame Nacht" aus mehreren Handlungssträngen mit unterschiedlichen Figuren aufgebaut, bei denen zunächst nicht ganz klar ist, wie diese zusammenhängen könnten. Neben dem Blick auf mögliche Täter und die Ermittlungen gibt es einige wenige Kapitel aus der Sicht des Täters, die Aufschluss über sein Motiv ergeben, jedoch nicht die Identität enthüllen, so dass insbesondere aufgrund des brutalen Prologs, der ein Jahre zurückliegendes Martyrium schildert, weiterhin spekuliert werden kann. 

Auffallend und irritierend ist, dass sich die Frauen - mutmaßliche Täterinnen oder Opfer - allesamt eigenartig verhalten, einsam und beziehungsunfähig sind. Auch hier kann gemutmaßt werden, ob es sich um Auswirkungen von Schuld oder Trauma handelt. 
Parallelen gibt es dabei zu den beiden Ermittlerinnen, die keine Ausnahme machen und ebenfalls mit ihren inneren Dämonen, ihrer Einsamkeit und gestörten (Paar-)beziehungen zu kämpfen haben. Von Kate Linville ist das Duckmäusertum als "graue Maus" bereits bekannt, Pamela Grayhound tritt zwar selbstbewusst auf, fühlt sich in ihrem Privatleben jedoch auch unzulänglich. 
Private Ausflüchte werden jedoch nur am Rande erwähnt, weshalb der Fokus auf den Morden liegt, die sich nach und nach ereignen und den Ermittlungen, die durch die Sabotage von Tätern und Zeugen erschwert werden. 

Durch die vielen Komponenten des Romans wird es trotz knapp 600 Seiten auf keiner Seite langweilig. Zudem zeichnen sich beide Ermittlerinnen nicht nur durch einen klugen Instinkt, sondern auch durch eigenmächtiges Verhalten aus, dass sie in Gefahr bringt und die Spannung noch einmal erhöht. 
Die Stimmung ist durchweg winterlich, düster und melancholisch. Das wird auch durch Einblick in Caleb Hales Leben unterstrichen, der seinen Dienst quittiert hat und dem Alkohol nach wie vor nicht entsagen kann. 

Band 4 ist spannend aufgebaut und wendungsreich, jedoch nicht so undurchsichtig, dass die Hintergründe der Verbrechen nicht zu erahnen sind. Der eigentliche Zusammenhang aus Mobbing, Kränkung, Rache und Gewalt wird jedoch erst am Schluss ersichtlich. 
Der Roman ist vielschichtig, das Motiv des Täters - trotz des verheerenden Gewaltexzesses - nachvollziehbar, aber die zum Teil arg dummen Aktionen so manches Verdächtigen wirken doch etwas weit hergeholt. 

Freitag, 15. November 2024

Buchrezension: Beate Sauer - Glücklich sind die Mutigen (Die Fernsehschwestern, Band 3)

Inhalt:

Die aufstrebende junge Schauspielerin Joan Vordemfelde bringt alles mit, was man in ihrer umkämpften Branche braucht: Talent, Schönheit, den Willen zum Erfolg. Doch wer es ganz nach oben schafft und wer nicht, das bestimmen immer noch Männer. Das muss Joan bitter erfahren, als sie mit einem berühmten Regisseur arbeitet, der ihre Bewunderung für ihn grausam missbraucht. Doch die Frauen der Familie Vordemfelde halten zusammen: Gemeinsam stellen sie sich dem Establishment der mächtigen Fernsehbranche – und bekommen Unterstützung von unerwarteter Seite. 

Rezension: 

"Glücklich sind die Mutigen" ist nach "Wunder gibt es immer wieder" und "Morgen ist ein neuer Tag" Band 3 der "Fernsehschwestern"-Saga und der Abschluss der Trilogie. Wie schon nach Band 1 erfolgt auch nach Band 2 ein größerer zeitlicher Sprung. Er handelt zwanzig Jahre später und versetzt die/ den LeserIn direkt zu Beginn des Romans mit dem Fall der Berliner Mauer in das Jahr 1989.

Eva Vordemfelde heiratet den Regisseur Chris, nachdem dieser einen Herzinfarkt erlitten hat und zieht mit ihm gemeinsam nach München, um die anstrengende Pendelei zwischen Deutschland und Kalifornien zu beenden. Doch zurück in Deutschland hat Eva auch mit Ehemann Nr. 3 nicht das Glück gepachtet.
Ihre jüngere Schwester Franka, die als Journalistin tätig ist, genießt ihre Unabhängigkeit, auch wenn sie immer wieder an Frieder, den Vater ihrer Tochter, denken muss, der viel zu früh tragisch ums Leben gekommen war. Als Alleinerziehende hat sie es trotz der Unterstützung ihrer Mutter Annemie nicht leicht gehabt und noch heute leidet ihre Tochter Joan darunter, hinter der Karriere ihrer Mutter zurückstehen zu müssen.
Frankas Zwillingsschwester Lilly ist noch mit Anfang 40 als Ansagerin im Fernsehen beliebt und tut auch alles dafür, mit dem Schönheitsideal mithalten zu können. Ihren Ehemann Rudolf begehrt sie schon lange nicht mehr und sucht sich Befriedigung in wechselnden Affären.

Durch ihren Vater geprägt, wissen die drei "Fernsehschwestern" wie hart und ungerecht die Film- und Fernsehbranche sein kann. Als Frauen haben sie jedoch auch noch mit den patriarchalen Strukturen zu kämpfen und sehen sich sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Als Lilly und Joan auf unterschiedliche Weise selbst betroffen sind, halten die Frauen der Familie eng zusammen und erhalten auch Unterstützung von den Männern innerhalb der Familie. So hat Vater Axel als gechasster Fernsehmoderator noch eine Rechnung mit einem Kontrahenten offen.

Das Finale der Trilogie ist wie die Bände zuvor anschaulich und lebendig erzählt und fängt den Zeitgeist der späten 1980er- und frühen 1990er-Jahre - mit Schulterpolstern, Walkman, Hans Meiser und RTLplus - passend ein.
Auch wenn die Pause zwischen Band 2 und 3 wieder groß war und in der fiktiven Geschichte über ein Jahrzehnt vergangen ist, findet man sich durch geschickt platzierte Einschübe, die die Erinnerung auffrischen, wieder in das Leben der Familie Vordemfelde ein. Historische Ereignisse und reale Persönlichkeiten werden passend mit der Geschichte der Frauen verbunden, die als Journalistin oder Fernsehmoderatorin naturgemäß ein Interesse an Politik und Gesellschaft haben.

Die Darstellung erfolgt aus wechselnden Perspektiven und da man alle Figuren bereits über mehrere Jahrzehnte begleitet, ist die Sicht aus drei Generationen auch nicht zu viel oder bleibt zu oberflächlich.

Liebe, Familie, Karriere und die Probleme, die Frauen mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben haben sowie die Schwierigkeiten, sich als Frauen zu emanzipieren und sich in einer Männerdomäne durchzusetzen, sind die prägenden Themen der Trilogie. Dieser Band handelt vor allem von der dunklen Seite des Filmwesens in Form von psychischer und physischer Gewalt am Set, woran die sensible Joan fast zerbricht. 
Darüber hinaus spielen die Albträume von Mutter Annemie, die sich als Erinnerungen herausstellen, seit Band 1 eine Rolle und bilden einen anderen geheimnisvollen Erzählstrang. Dieser mag aber nicht so recht zum Rest der Geschichte passen, ist in Band 3 von vielen Zufällen geprägt und hätte weiter ausgebaut sicher Material für einen eigenen Roman gegeben.

Band 3 erzählt erneut von der Stärke und Wahrhaftigkeit der Frauen und zeichnet ein anschauliches Bild der damaligen Zeit. Der Roman ist jedoch weniger emotional, dramatisch und spannend als Band 1 und 2. Er schließt die Familiensaga, in der die Frauen stets für ihre Freiheit und ihr Glück kämpfen mussten, zufriedenstellend ab und lässt keine Fragen mehr offen.


Mittwoch, 13. November 2024

Buchrezension: Petra Johann - Der Buchhändler

Inhalt:

Erik Lange wagt einen Neuanfang, indem er in einer fremden Stadt eine Buchhandlung übernimmt. Sein neues Leben beginnt vielversprechend – bis ein kleines Mädchen verschwindet. Eine Suchaktion wird gestartet, die erfahrene Kriminalhauptkommissarin Judith Plattner nimmt ihre Ermittlungen auf. Auch Erik hilft bei der Suche – genauso wie alle im Ort. Doch nach und nach verdichten sich die Hinweise, dass jemand aus dem Umfeld für das Verschwinden des Mädchens verantwortlich ist. Auch Erik gerät in Verdacht – mit fatalen Folgen. 

Rezension: 

Erik Lange ist in die bayerische Kleinstadt Neukirchen gezogen, um die dortige Buchhandlung zu übernehmen und einen Neuanfang zu wagen. Die Trennung von seiner Tochter macht ihm zu schaffen, aber unabhängig davon fühlt er sich in seinem neuen Zuhause wohl und hat schnell erste Bekanntschaften geschlossen. 
Einige Wochen nach seinem Umzug verschwindet ein neunjähriges Mädchen, mit dessen Vater sich Erik angefreundet hatte. Die hübsche Theresa hat in der Nacht von Freitag auf Samstag ihr Elternhaus verlassen und ist nicht zurückgekehrt. 
Kriminalkommissarin Judith Plattner, die selbst vor einem Jahr einen schweren Schicksalsschlag erlitten hat, übernimmt die Ermittlungen zusammen mit ihrer jungen Kollegin Pia Meyer. Die Befragungen im Umfeld der Familie sind wenig aufschlussreich. Als sie Theresas "Geheimnis" entdecken und anschließend der Verdacht auf Erik fällt, Theresa etwas angetan zu haben, wird ein Stein ins Rollen gebracht. Erik hat ein Motiv, aber Beweise gibt es keine. 

"Der Buchhändler" ist zunächst mehr Krimi als Thriller, denn über zwei Drittel des Romans stehen die Ermittlungen und der Einblick in das Stadtviertel Schönblick im Vordergrund, wo Theresa vermisst wird. Der Roman wird aus der Ich-Perspektive von Erik und einem neutralen Beobachter geschildert. Erik wirkt grundsolide, wobei anfangs nicht klar ist, was in der Vergangenheit vorgefallen ist, dass ihn zu dem Schritt gezwungen hat, seinen Heimatort zu verlassen. 

Durch die polizeilichen Befragungen im Umfeld der Familie des vermissten Kindes, das sich fast ausschließlich auf die kleine Nachbarschaft beschränkt, wo man freundschaftlich miteinander verbunden ist, erhält man einen Blick hinter die Fassade. Kompromittierende Details werden aufgedeckt und Verdächtigungen ausgesprochen, die jedoch nicht unmittelbar im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Theresa zu sehen sind. Von ihr fehlt jede Spur und je mehr Zeit vergeht, desto unwahrscheinlicher wird es, sie lebend zu finden. 

Nachdem Erik als möglicher Täter in den Mittelpunkt gerückt ist, entwickelt der Roman eine andere Dynamik und lässt mit Schrecken an den brutalen Prolog denken. Aus Angst, Verzweiflung und Wut nehmen die Angehörigen des Opfers den Fall selbst in die Hand. 

Die Ermittlungen der Polizei sind authentisch dargestellt und auch wenn sie zäh und scheinbar unergiebig sind, wird es auf keiner Seite langweilig. Das kleine Stadtviertel am Waldrand ist bildhaft beschrieben und die einzelnen Personen individuell gestaltet. 
"Der Buchhändler" ist damit ein spannender Mix aus Milieustudie und Kriminalroman mit späten Thrillerelementen, der einen Blick hinter die Fassade richtet und zeigt, wie stark Menschen von ihren Emotionen geleitet werden. Bis zum Schluss bleibt spannend zu erfahren, was mit Theresa geschehen ist und ob sie entgegen aller Erwartungen lebendig nach Schönblick zurückkehren wird. 

Montag, 11. November 2024

Buchrezension: Sophie White - Hot Mess

Inhalt:

Für Lexi könnte es nicht besser laufen. Der Podcast, den sie zusammen mit ihrer besten Freundin moderiert, geht durch die Decke, ihr Freund hat ihr einen Antrag gemacht. Doch passt dieses Leben überhaupt noch zu ihr? Joanne ist einsam. Sie hat gerade ein Baby bekommen, und ihre Freundinnen verstehen nicht, dass die langen Partynächte nun vorbei sind. Claire fühlt sich ausgeschlossen. Im Whatsapp-Chat mit ihren alten Schulfreundinnen ist es seltsam ruhig. Was nur eines bedeuten kann: Es gibt eine neue Gruppe, ohne sie. Als sich die Wege der drei Frauen kreuzen, müssen sie entscheiden: Um welche Freundschaft lohnt es sich zu kämpfen? Und welche lassen sie für immer los? 

Rezension: 

Claire, Lexi und Joanne sind drei Frauen um die 30, die mit den Höhen und Tiefen weiblicher Freundschaften zu kämpfen haben. Claire fühlt sich nach einer psychischen Krise im letzten Jahr von ihren Freundinnen, der "Bitch Bubble", ausgeschlossen. Ihre beste Freundin Aifric heiratet und sie gehört nicht zu den Brautjungfern. Lexi hat zusammen mit ihrer besten Freundin Amanda einen Podcast, der sich zum populärsten in Irland entwickelt hat. Doch mit Erfolg und immer mehr Sponsoren steigt auch der Druck, interessanten Content zu posten. Dabei ist Amanda abgebrühter und nahezu hemmungslos, was Lexi bei einem Live-Auftritt brutal zu spüren bekommt. Joanne ist gerade Mutter geworden und hadert mit ihrer neuen Rolle. Als ihre Elternzeit unfreiwillig verlängert wird, droht die Situation zu Hause zu eskalieren. Sie hegt Mordgedanken gegen ihren Freund und fühlt sich von ihren Freundinnen missverstanden und alleingelassen.

Der Roman wird abwechselnd aus der Sicht einer der drei Hauptfiguren erzählt. Auch wenn die Lebenswirklichkeit mit Promistatus und fanatischen Hochzeitsplanerinnen nicht alltäglich und manche Szene humorvoll übertrieben ist, sind ihre Geschichten lebensecht und authentisch. 
Durch den einnehmenden und lebendigen Schreibstil fällt es leicht, sich in die Lagen von Claire, Lexi und Joanne hineinzuversetzen und sich ihnen nahe zu fühlen. Wie sich Freundschaften verändern, ist eindringlich dargestellt und auch, wie schwer es ist, in den Dreißigern Freundschaften zu schließen und gar eine beste Freundin zu finden. 
 
Neben dem Auseinanderleben aufgrund sich verändernden Umstände durch unterschiedliche Berufe oder Familiengründungen handelt der Roman von der Angst, nicht zu genügen, von toxischen Freundschaften, Freundschaften, die einseitig sind, nicht guttun oder gar feindselig sind. Abgrenzung, das Bedürfnis nach red flags und die Notwendigkeit von Self Care und Mental Health sowie Fluch und Segen von Social Media spielen in allen Handlungssträngen eine wesentliche Rolle. Dabei ist der Blick auf psychische Erkrankungen sehr empathisch und plastisch und zu spüren, dass die Autorin eigene Erlebnisse verarbeitet.

Der Roman ist einerseits tragisch und zeigt brutal und ungeschönt ehrlich Ängste auf, ist aber andererseits auch in vielen Episoden wunderbar witzig dargestellt. 
Durchgehend unterhaltsam und liebenswert frech wird es auf knapp 600 Seiten niemals langweilig, insbesondere als sich die Wege der drei Frauen auf der Suche nach neuen Freundschaften kreuzen. 

Freitag, 8. November 2024

Buchrezension: Roberta Recchia - Endlich das ganze Leben

Inhalt:

Rom, 1980er Jahre: es ist ein ruhiges, zufriedenes Leben, das die Familie Ansaldo führt. Der Alltag dreht sich um den Feinkostladen, in dem Marisa, Stelvio und ihre Tochter Betta arbeiten. Den Sommer verbringen sie seit Jahren in ihrem kleinen Haus am Meer. Aber als Betta nachts auf dem Weg zu einem Strandfest ums Leben kommt, ändert sich alles: der einst so harmonische Zusammenhalt der Familie bekommt Risse und niemand ahnt, welches Geheimnis Bettas Cousine Miriam belastet. Erst eine unwahrscheinliche Freundschaft eröffnet neue Hoffnung. 

Rezension: 

Marisa und Stelvio Ansaldo lernen sich unter unglücklichen Umständen Mitte der 1950er-Jahre kennen, verlieben sich in einander und gründen eine Familie. Sie haben ein inniges, vertrauensvolles Verhältnis und führen gemeinsam einen Feinkostladen in Rom, den bereits Marisas Eltern aufgebaut haben. Regelmäßig verbringen sie ihre Urlaube am Meer, wo es ihrer Tochter Betta aufgrund ihres Asthmas besser geht.
1980 wird Betta Opfer eines grausamen Verbrechens, das das Leben von Marisa in ein Davor und ein Danach teilt. Unfähig gemeinsam zu trauern und die Tat zu verarbeiten, für die kein Schuldiger ermittelt werden konnte, beginnt die Familie zu zerbrechen. Betroffen von der Tragödie ist auch insbesondere Bettas Cousine Miriam, die den Sommerurlaub mit ihren Verwandten verbracht hat. Niemand merkt, was wirklich mit Miriam los ist, die sich abkapselt und ihren Schmerz mit Medikamenten betäubt. Der erste, der ihr wirklich hilft, ist ausgerechnet der Straßendealer Leo. Gemeinsam versuchen sie auf den rechten Weg zu gelangen, doch Miriams Trauma sitzt tief.

"Endlich das ganze Leben" erzählt eine tragische Familiengeschichte. Allein die Familie Ansaldo hat mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, aber auch die weiteren handelnden Personen, denen die Familie begegnet, haben schwere Päckchen zu tragen. Der Roman beinhaltet eine Vielzahl von belastenden Themen wie ungewollte Schwangerschaft, Tod, Vergewaltigung, Trauer, Depression, Suizid, Alkoholismus, Tablettensucht, Essstörung, versteckte Homosexualität, Diskriminierung, Mobbing und Fragen der Geschlechtsidentität, was die Dramatik ins Unermessliche steigert. Jedoch fehlt es an einer tiefer gehenden Auseinandersetzung, so dass im Wesentlichen der Umgang mit der Trauer in den Fokus rückt und was ein Verlust und ein ungesühntes Verbrechen mit einer Familie machen.

Der Schreibstil ist im Vergleich zu den dramatischen Ereignissen nüchtern und sachlich. Manche Passagen lesen sich durch die reine Faktendarstellung wie ein Zeitungsbericht. Die Figuren bleiben auf Distanz, ihre Gefühle und Beweggründe sind nicht immer nachvollziehbar. Insbesondere die Männer der unteren Schicht, Stelvio und Leo, die als Helden die gefallenen (reichen) Mädchen beschützen, wirken unglaubwürdig, ihre so intensive Liebe zu Frauen, von denen sie nur die Probleme kennen, viel zu geschönt.

Der Zeitsprung von 1956 in das Jahr 1980 erfolgt abrupt und ohne Zusammenhang von Marisas und Stelvios Liebesgeschichte hin zu dem schrecklichen Unglück. Anschließend muss man zusehen, wie sich Miriam zugrunde richtet. Die Erzählung ist damit zu fragmentarisch und lückenhaft. Die einzelnen Handlungsstränge werden nicht flüssig miteinander verknüpft. Auch die zum Teil recht simplen Lösungen der Problembewältigung überzeugen nicht.

Die Geschichte ist sehr dramatisch und stellt sich wichtigen Themen, die sowohl spannend als auch berührend hätten sein können. Der Roman ist jedoch viel zu überladen mit Unglücken, versucht damit Emotionen zu wecken, erinnert jedoch mit den klischeehaften Charakteren und ihren jeweiligen Konflikten an eine Seifenoper.

Mittwoch, 6. November 2024

Buchrezension: Lisa Jackson & Nancy Bush - Last Girl Standing: Wer wird überleben?

Inhalt:

In der Schule waren sie als die Fantastischen Fünf bekannt – eine Mädchen-Clique, so bewundert wie gefürchtet. Ihre gemeinsame Zeit endete jäh, als eine von ihnen bei der Abschlussparty ums Leben kam. Ein Unfall beim Schwimmen in den Stromschnellen? Einige Jahre später stirbt der zum selben Jahrgang gehörende ehemalige Highschool-Schwarm Tanner nach einer brutalen Messerattacke. 
Erst 5, dann 4... macht ein Serienkiller Jagd auf die Mitglieder der ehemaligen Highschool-Clique? 
Detective Chris McCrae hat den Verdacht, der Mord an Tanner könnte mit den ungeklärten Todesfällen in der ehemaligen Mädchen-Clique zu tun haben. Denn bei dem Schwimmunfall war es nicht geblieben. Ein weiteres Mitglied der Gang kam ums Leben. McCrae vermutet, dass er bis zu jener schicksalshaften Abschlussparty zurückgehen muss. Was ist damals zwischen Tanner und den anderen passiert? Da stirbt eine weitere der Fantastischen Fünf. 

Rezension: 

Amanda, Bailey, Carmen, Delta und Zora waren zu Schulzeiten als die "Fantastischen Fünf" bekannt, eine schöne, aber auch eingebildete und arrogante Mädchenclique, die andere bewusst ausschloss. Die hübsche Delta, die aus etwas einfacheren Verhältnissen als die anderen stammte, hatte das große Los gezogen und war mit Tanner zusammen, für den (fast) alle heimlich geschwärmt haben.
Während ihrer Abschlussparty kam nach einer dummen Aktion von Tanner eine der Freundinnen ums Leben und eine von ihnen wollte nicht an einen Unfall oder gar Selbstmord glauben.
Zehn Jahre später trifft sich die Abschlussklasse von 2005 zum Klassentreffen wieder und am Ende des abends ist erneut eine von ihnen tot.
Die drei übrigen finden sich fünf Jahre später am Krankenbett von Tanner ein. Tanner, der inzwischen mit Delta verheiratet ist, wurde bei einer Messerattacke schwer verletzt.
Detective Chris McCrae, der die Clique gut kennt und auch mit Tanner befreundet war, kann an keinen Zufall mehr glauben.

Die Geschichte wird aus wechselnden Perspektiven der verschiedenen Akteure erzählt, die auch innerhalb der Kapitel wechseln. Gleich zu Beginn ist es eine Menge an Protagonisten, die auf die/ den LeserIn einprasselt - die Gang, ihre Freunde, weitere Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen und Lehrer, Eltern und Stiefeltern - so dass man konzentriert lesen muss, um die Personen zu sortieren und den Überblick zu behalten.
Ein Fokus liegt auf der Dynamik unter den so genannten Freundinnen. Ihre Verbindung ist wenig herzlich und von Neid und Eifersüchteleien statt echter Zuneigung und Zusammenhalt geprägt. Schon vor dem Unfall während der Abschlussparty ist klar, dass die Freundinnen nicht ehrlich zu einander und auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind. Der Tod einer von ihnen ist ein Schock und macht deutlich, dass noch viel mehr Geheimnisse zwischen ihnen stehen.
Offenbar möchte jemand, dass sein Geheimnis gewahrt bleibt, weshalb weitere Menschen sterben müssen.

Spannend ist zu erfahren, was in der Partynacht tatsächlich passiert ist, was auch Jahre später noch so relevant ist, dass der oder die Schuldige etwaige Mitwisser mundtot machen muss.
Die Gedanken der Mädchen und Frauen um Tanner, die Affären und Eifersuchtsszenen ziehen das Buch am Anfang etwas in die Länge und hätten durchaus gestrafft werden können, ohne dass der Handlung wesentliche Elemente gefehlt hätten. Dass hier kein Charakter wirklich sympathisch ist und über Leichen gehen würde, ist auch so klar.
Die Spannung zieht nach der Messerattacke auf Tanner zunehmend an und die undurchsichtige Motivlage entfaltet eine mitreißende Mischung aus Thriller und Kriminalroman, die die/ den LeserIn lange im Dunkeln tappen lässt, was uns wer tatsächlich hinter der Mordserie steckt.

Montag, 4. November 2024

Buchrezension: Anna Claire - Die Glücksfrauen: Die Kraft der Bücher (Die Glücksfrauen-Saga, Band 2)

Inhalt:

Deutschland 1939: Die Zustände in Deutschland werden unerträglich, und die Jüdin Maria und ihre Familie wollen in letzter Sekunde flüchten. Doch inzwischen ist es fast unmöglich, das Land auf sicherem Weg zu verlassen. So wählen Maria und ihre Familie eine waghalsige und gefährliche Fluchtroute.
Brasilien 2023: Sandra führt eine Buchhandlung, die ihre Großmutter Maria gegründet hat. Als eine June aus New York sie kontaktiert und ihr von einem gemeinsamen Erbe erzählt, wird Sandra neugierig auf das Schicksal ihrer Großmutter. Sie schlägt June vor, mit ihr Marias Fluchtroute nachzureisen. Gemeinsam folgen die Frauen Marias Spuren und finden dabei mehr über die Geschichte heraus, die sie beide vereint. 

Rezension:

"Die Glücksfrauen - Die Kraft der Bücher" ist nach "Die Glücksfrauen - Der Geschmack von Freiheit" der zweite Band der Trilogie um die drei Freundinnen aus Berlin, die im Dritten Reich die Flucht ergreifen mussten und ihre drei Enkelinnen, die Jahrzehnte später mehr über die Vergangenheit ihrer Großmütter erfahren möchten, um ihr Erbe anzutreten. 

Der Aufbau des Romans ist analog zu Band 1. Im Fokus stehen statt Luise, die als erste die Flucht ergriff und nach Amerika emigrierte und June, die in Berlin wohnt, in diesem Band die Jüdin Maria, die in Brasilien eine neue Heimat fand und ihre Enkelin Sandra, die in Rio de Janeiro die Buchhandlung ihrer verstorbenen Großmutter führt. Auch wird in diesem Teil der Partner der Flüchtenden erneut als Schwachpunkt dargestellt, während die Frau entschlussfreudig und vorausschauend ist und zur Heldin mutiert.

Die Vergangenheit wird von 1936 bis 1943 erzählt und schildert eindringlich die Verschlimmerung der Situation für die jüdische Bevölkerung unter dem Erstarken der Nationalsozialisten und die Flucht von Maria und ihrer Familie, die im Jahr 1939 schon fast zu spät war. Ihr Weg bis nach Brasilien ist steinig und gefährlich, aber letztlich treffen sie immer wieder auf liebe Menschen, die ihnen behilflich sind und sich ihrer annehmen.

Parallel dazu versuchen June und Sandra über 80 Jahre später den Fluchtweg anhand Marias Tagebuch nachzuvollziehen. Sie möchten auf diese Weise die Nachkommen der dritten Freundin Anni ausfindig machen, die sie für das gemeinsame Erbe, ein Restaurant in New York, benötigen. Die Vorgehensweise er beiden Frauen erscheint jedoch arg konstruiert. Als Backpacker und mit knappen Reisebudget einfach mal so nach Europa reisen, um peu à peu anhand der Notizen Marias Fluchtstationen aufzusuchen statt zunächst das gesamte Tagebuch zu lesen, um sich auf wichtige Ziele zu fokussieren, die einen Hinweis auf Anni geben könnten, ist unglaubwürdig, insbesondere da June eigentlich eine logisch denkende Journalistin sein sollte. Auch dass an einer Stelle erwähnt wird, dass sie tatsächlich Anni suchen, ist bestenfalls naiv. Wie alt soll Anni inzwischen sein? 115 Jahre?

So liest sich die Geschichte etwas holprig, aber lebendig und bildhaft dank vielfältiger Ortsbeschreibungen von heute und damals. Auch die Spannung auf den abschließenden dritten Band der Reihe "Die Glücksfrauen - Das Geheimnis der Rosen" (ET: 31.01.2025) bleibt notgedrungen erhalten, denn aus Luises vermeintlichem Verrat und was die Freundinnen damals trennte, wird nach wie vor ein großes Geheimnis gemacht. Da Maria bereits dahinter gekommen ist und nur nicht darüber sprechen möchte, hätte auch die/ der LeserIn nicht mehr unbedingt im Dunkeln tappen müssen.
Die Idee hinter der Buchreihe mag ich wirklich gerne, aber Band 2 war mit von entschieden zu vielen glücklichen Zufällen (vielleicht daher die Bezeichnung "Glücksfrauen"?) und vor allem in der Gegenwart von zu viel Einfältigkeit der Figuren geprägt. 
Die Vorstellung, dass Bücher so viel Zuversicht und Kraft schenken können und gar eine heilsame Wirkung haben, mag romantisch anklingeln, ist jedoch sehr leidenschaftlich und überzeugend in dem Erzählstrang der Vergangenheit dargelegt. 

Freitag, 1. November 2024

Buchrezension: Anna Brüggemann - Wenn nachts die Kampfhunde spazieren gehen

Inhalt:

Regina ist eine typische Vertreterin der Nachkriegsgeneration, sie hatte bereits viele Möglichkeiten, sie konnte Psychologie studieren und von einer akademischen Laufbahn träumen, um dann doch der Familie zuliebe Abstriche zu machen. In ihre Töchter Antonia und Wanda setzt sie nun alle Hoffnungen. Antonia unterläuft diese konsequent, bricht ihr Studium ab und wird alleinerziehende Mutter. Wanda erfüllt alle in sie gesetzten Wünsche und manövriert sich in eine Essstörung, die von allen ignoriert wird. Ein Leben lang schwanken die Schwestern zwischen gegenseitiger Konkurrenz, Autonomie und dem Wunsch, noch über deren Tod hinaus von der Mutter anerkannt zu werden. 

Rezension: 

Bielefeld, 1998: Regina ist 50 Jahre alt, verheiratet und Mutter zweier fast erwachsener Töchter. Nachdem sie selbst zugunsten der Erziehung ihrer Kinder auf eine Karriere verzichtet hat, setzt sie all ihre Hoffnung auf ihren Nachwuchs, der es besser machen soll.
Die ältere Tochter Antonia hat gerade ihr Abitur bestanden und soll studieren, ist sich aber unschlüssig, was sie beruflich machen möchte. Wanda ist anderthalb Jahre jünger und steckt in den Abiturvorbereitungen. Beide gehen mit dem Druck der Mutter unterschiedlich um und leiden auf ihre Weise darunter. Während Antonia gerne im Hintergrund verschwindet und sich im Vergleich zu ihrer Mutter und jüngeren Schwester plump und unzulänglich fühlt und der Meinung ist, es ihrer Mutter nie recht machen zu können, ist Wanda der Augenschein der Mutter. Sie hat einen festen Freund, ist ehrgeizig und sportlich und trimmt sich selbst zu Höchstleistungen. Neben guten Noten zu haben, möchte sie möglichst dünn, um zu gefallen.
Unzufrieden mit ihrem Leben und dem, was sie (nicht) erreicht hat, merkt Regina, selbst Psychotherapeutin mit eigener Praxis, nicht, was sie ihren Töchtern antut, wie sie sie überfordert, verunsichert und letztlich krankmacht.

Der Roman wird im schnellen Wechsel aus den Perspektiven der drei weiblichen Hauptfiguren geschildert. Auf diese Weise kann man tief in Mutter und Töchter hineinblicken und ihre Gedankengänge, was sie über sich selbst und über andere denken, nachvollziehen. Die Geschichte erstreckt sich in drei Etappen über mehrere Jahre, so dass auch die Entwicklung der drei Frauen und ihre Beziehung zueinander anschaulich verfolgt werden kann.
Selbst wenn jede von ihnen mit ihren extremen Ansichten mitunter überspitzt dargestellt ist, wirken sie in dem Familiengefüge authentisch. Der Roman weckt damit unweigerlich Emotionen und lässt in Bezug auf die Figuren stetig zwischen Mitleid und Wut schwanken.
Regina ist derart dominant, dass ihr Ehemann als Mann und Vater nur eine Nebenrolle spielt. Sie ist die Matrone, die alle Geschicke lenkt, Entscheidungen trifft und ihren Töchtern ihre gutgemeinten Ratschläge und Ansichten aufzwingt. Dabei erscheint es öfter ungewollt komisch, dass sie Fehler, die sie bei anderen mokiert, selbst macht. Ihre treffsicheren, gemeinen Kommentare machen sprachlos.
Während Antonia einerseits auf Distanz zu ihrer Mutter geht, andererseits aber auch eine Sehnsucht nach Geborgenheit spürt, tut Wanda alles, um Reginas Ansprüche zu erfüllen und macht sich damit nicht nur seelisch, sondern auch körperlich kaputt.

Auch ohne große Dramen und laute Auseinandersetzungen zeigt die Geschichte eindrücklich, wie weit Wunsch und Wirklichkeit auseinanderliegen und welche Hoffnungen und Erwartungen auf nachfolgende Generationen übertragen werden und welche Folgen das für die gesamte Familiendynamik haben kann. Regina fühlte sich selbst von ihren Eltern ungeliebt und hat ihren Töchtern kein warmherziges Zuhause bieten können.

Intensiv und schmerzhaft werden die unterschiedlichen Beziehungen zwischen Mutter und Tochter und zwischen den beiden Schwestern dargelegt, die sich, entfacht von den Erwartungen der Mutter und dem Streben nach Anerkennung, im ständigen Vergleich zueinander sehen. Geprägt von einer überbehüteten, aber unfreien Kindheit können sich die Töchter selbst nach dem Verlassen des Elternhauses dem erdrückenden Einfluss der Mutter, die mit zunehmendem Alter unzufriedener und launischer wird, nicht entziehen.