Mittwoch, 30. März 2022

Buchrezension: Colleen Hoover - Für immer ein Teil von dir

Inhalt:

Fünf Jahre nach dem tragischen Unfalltod ihrer großen Liebe Scott kehrt Kenna an den Ort des Geschehens zurück. Ihr einziger Wunsch: endlich ihre vierjährige Tochter Diem, die bei Scotts Eltern lebt, in die Arme zu schließen. Gleich am ersten Abend trifft sie auf Ledger, der erste Mann, zu dem sie sich seit Scotts Tod hingezogen fühlt – und er sich umgekehrt auch zu ihr. Doch dann stellt sich heraus, dass Ledger Scotts engster Freund seit Kindertagen war. Und dass er geschworen hat, dass die ihm unbekannte Mutter, die Schuldige am Tod seines Freundes, niemals eine Rolle in Diems Leben spielen wird. 

Rezension: 

Nach fünf Jahren Gefängnisaufenthalt möchte Kenna ihre Tochter Diem wiedersehen, die sie direkt nach der Geburt in die Obhut der Eltern ihres verstorbenen Freundes Scotty geben musste. Sie ist Schuld an dem Unfalltod, bei dem ihr Freund ums Leben kam und leidet noch immer an dem schweren Fehler, den sie in der Unfallnacht begangen hat. 
Im Heimatort ihres Freundes trifft sie bereits am ersten Abend auf Ledger, Scottys besten Freund, der sich wie ein Onkel rührend um die aufgeweckte Diem kümmert. Er verhindert zunächst, dass Kenna Diem wiedersehen kann, doch dann kommt er Kenna näher und befindet sich unweigerlich in einem Gefühlschaos und einem Strudel aus Lügen und Geheimnissen, Wut und schlechtem Gewissen. 

"Für immer ein Teil von dir" wird abwechselnd aus der Perspektive der beiden Hauptfiguren Kenna und Ledger erzählt. 
Kenna ist eine junge Frau, die als Kind selbst von ihrer Mutter vernachlässigt wurde und nun nichts lieber möchte, als ihre Tochter zu sehen. Sie weiß jedoch auch, wie viel Schuld sie in sich trägt und dass Diem in ihrer gewohnten Umgebung gut aufgehoben ist. 
Ledger ist wütend auf Scottys Freundin, die Schuld an seinem Tod ist und möchte ihr den Umgang mit Diem verweigern - auch um Scotty Eltern zu schützen. Als er sie jedoch näher kennenlernt, beginnt er an seinem Entschluss zu zweifeln. 
Das Gefühlschaos auf beiden Seiten ist sehr eindringlich dargestellt. Beide Positionen kann man verstehen und sich in die Charaktere sehr gut hineinversetzen. 
Die sehr schnell in Gang getretene Liebesgeschichte ist vorhersehbar und verkompliziert das Drama weiter. Für meinen Geschmack war ihre Liebe zu körperlich und sexuell aufgeladen und weniger von echten Gefühlen begleitet. Sie vermittelte eher den Eindruck, Spannungen abzubauen, als sich emotional näher zu kommen. 

Trotz ihrer Vorhersehbarkeit ist die Geschichte spannend, auch wenn ich mir von der langen Unklarheit über die Unfallnacht einen größeren Überraschungseffekt erwartet hatte. Auch wird die erste Begegnung zwischen Kenna und Diem etwas in die Länge gezogen, was im Mittelteil dafür sorgt, dass sie Geschichte nur sehr langsam vorankommt. 
Das Buch ist emotional und voller Dramatik und sorgt mit einer komplizierten Liebesgeschichte für das gewisse Etwas. Es ist ein Buch über Trauer und Schuld, aber mehr Emotionen und die ein oder andere Wendung hätte dem Roman mehr Tiefe gegeben. Auch wirkte mir Kenna phasenweise viel zu passiv und ohne Eigeninitiative. Sie ließ sich von "Saubermann" Ledger zu viel bieten und durch die Liebesgeschichte geriet dabei der Kampf um Diem zu sehr in den Hintergrund. Die Fragen, wie es mit der Familie weitergeht und welche Auswirkungen das plötzliche Auftreten einer Mutter für das Kind hat, bleiben unbeantwortet. 
Der eingängige Schreibstil der Autorin, die berührenden Dramen und die Hoffnung auf ein Happy End sorgen jedoch zweifelsohne für schöne Lesestunden. 

Montag, 28. März 2022

Buchrezension: Brooke Harris - Alles beginnt mit dir

Inhalt:

Die 15-jährige Kayla und ihre Mutter Heather sind unzertrennlich. Seit Jahren bilden sie ein unschlagbares Duo, das gemeinsam lacht, Friends schaut und Cupcakes backt. Doch als Kayla stürzt und ins Krankenhaus muss, bricht für Mutter und Tochter eine Welt zusammen. Denn sie werden mit einer schrecklichen Nachricht konfrontiert: Kayla hat Knochenkrebs. Plötzlich rückt die gesamte Patchworkfamilie zusammen – Kaylas Vater, seine neue Frau Charlotte und die gemeinsame Tochter Molly. Und während alle um Kaylas Leben bangen, hat diese vor allem einen Wunsch: das Glück für ihre Mutter finden. 

Rezension: 

Kayla ist 15 Jahre alt und eine begeisterte Basketballspielerin. Sie lebt zusammen mit ihrer Mutter Heather, zu der sie ein inniges Verhältnis pflegt. Als ihre Knieschmerzen nicht mehr zu ignorieren sind, muss Kayla nach einem Sturz ins Krankenhaus. Die Diagnose ist niederschmetternd: Kayla hat Krebs. 
Um die beste Behandlung zu erhalten, wird Kayla in ein Krankenhaus in Dublin verlegt, weshalb Kaylas Vater Gavin seiner Exfreundin Heather anbietet, zu ihm und seiner Familie zu ziehen, damit Heather in ihrer Nähe sein kann. Es ist für alle eine schwierige Situation, denn die Sorge um Kayla, deren Krebs spät erkannt wurde, ist groß und die Nerven von Mutter, Vater und Stiefmutter liegen nachvollziehbar blank. 

Wenn ein Kind an Krebs erkrankt, ist dies besonders schlimm, weshalb diese Geschichte emotional ist und zu Herzen geht. Dabei wird jedoch nicht unnötig auf die Tränendrüse gedrückt und detaillierte Ausführungen zu Symptomen oder der Behandlung und ihren Nebenwirkungen gemacht. 
Der Roman handelt insbesondere von dem Zusammenspiel der Figuren und die Probleme, die sich für die unfreiwillige Patchworkfamilie ergeben. 

Heather sorgt sich um ihre Tochter Kayla, verbringt viele Stunden im Krankenhaus und möchte sie vor allen Gefahren und Unwägbarkeiten schützen. Auch nach Rückschlägen hofft sie auf weitere Behandlungsmöglichkeiten. Ihr Exfreund Gavin und sie kommen sich durch die Krankheit der gemeinsamen Tochter unweigerlich näher und sie verbringen viel gemeinsame Zeit. Das schürt die Eifersucht von Charlotte, die zwar Kayla auch lieb hat und sich um sie sorgt, aber dennoch davon getroffen ist, dass sich ihre Ehemann von ihr zurückzieht. Zudem macht sie sich Sorgen darum, dass die vierjährige Molly unter der Situation leiden könnte oder vielleicht sogar als Stammzellenspenderin für ihre Halbschwester fungieren müsste. Auch sie möchte nur ihre Tochter schützen. 
Kayla leidet Schmerzen und hat Angst nie wieder Basketball spielen zu können. Im Krankenhaus ist es eintönig und langweilig. Sie scheint allerdings keine Angst vor dem Tod zu haben und den Ernst der Lage am Anfang nicht zu überblicken. Nach wochenlangen Strapazen hat sie kaum noch Hoffnung auf Genesung und denkt über die Zukunft ihrer Mutter nach. Sie möchte sie glücklich sehen und entwickelt einen Plan, womit sie auf die Hilfe von Freunden und Familie angewiesen ist. Insbesondere ihr bester Freund Aiden und auch Charlotte stehen ihr bei. 

Durch die Perspektivenwechsel erhält man Einblick in die Gefühlswelten aller Hauptfiguren, wobei Kayla und die beiden Frauen die entscheidenden Rollen spielen. Es fällt damit leicht, sich in ihre schwierigen Situationen hineinzuversetzen und Verständnis für Wut, Trauer und Eifersucht aufzubringen. 
Die Geschichte berührt und hat mir insbesondere aufgrund der besonderen Personenkonstellation gefallen, die einer typischen Krebsgeschichte einen neuen Drive gibt und nicht die Krankheit sondern die Figuren in den Mittelpunkt rückt. Das Buch liest sich leichtgängig und ist trotz der Tragik der Geschichte weniger dramatisch als erwartet. 

Samstag, 26. März 2022

Buchrezension: Hans Walker - Bergers unverhoffte Reise

Inhalt:

Deutschland, Anfang 1970: Willy Brandt ist Bundeskanzler, das Album "Abbey Road" von den Beatles stürmt die Charts - und der 22-jährige Student Max aus der süddeutschen Provinz erhält ein ungewöhnliches Angebot: Ein Jahr lang soll er als Hauslehrer die Kinder einer deutschen Familie in Indonesien unterrichten. Aber schon die Überfahrt nach Asien wird zu einem großen Abenteuer, geprägt von den Mitreisenden, ihren Emotionen, Dramen und Geheimnissen. Da ist neben den zwei lebhaften Schülern von Max auch deren Mutter, für die er mehr als nur freundschaftliche Gefühle empfindet. Da sind der Schweizer Schriftsteller mit Schaffenskrise und ein holländisches Ehepaar, das trotz der Nähe an Bord immer weiter auseinanderdriftet. Da ist vor allem die geheimnisvolle, sehr attraktive Gräfin, von der sich Max gleichzeitig hingezogen und abgestoßen fühlt. Doch im Laufe der vierwöchigen Passage entwickelt sich zwischen ihm und der deutlich älteren Adeligen etwas, das sein Leben für immer verändert. 

Rezension:

Im Jahr 1970 befindet sich das Frachtschiff "Holsatia" auf dem vierwöchigen Weg von Rotterdam in den Indischen Ozean nach Asien. Psychologiestudent Max Berger hat das Angebot seiner gut zehn Jahre älteren Bekannten Anne Stoll angenommen, ihre Kinder Alex und Lotte als Hauslehrer in Medan in Indonesien zu unterrichten. Bereits an Bord des Schiffes, das nur acht Passagiere befördert, ist die Stimmung zwischen Max und Anne angespannt, denn er empfindet mehr für sie als nur Freundschaft. 
Auch die weiteren Mitreisenden, darunter das holländische Ehepaar Julia und Henk de Boer, die ihren Sohn Kees in Malaysia besuchen möchten, Gräfin Bettina Orsini-Burgstedt auf dem Weg nach Jakarta zu ihrem Ehemann und der Schweizer Buchautor Urs Leuthenbacher auf dem Weg nach Singapur, bergen ihre Geheimnissen und persönlichen Konflikte. 

Durch Gespräche untereinander und Erinnerungen an Vergangenes erfährt man die jeweiligen Geschichten hinter den Passagieren. Sie handeln insbesondere von Beziehungskonflikten und unausgesprochenen Wahrheiten. Jeder von ihnen scheint auf dem Weg nach Asien auch zu einer Reise zu sich selbst zu sein. Während sie zu Beginn noch wenig von sich Preis geben, kommen sich die Passagiere im Laufe der Reise auf begrenzten Raum unweigerlich nahe und öffnen sich. Einerseits fällt es ihnen leichter, Fremden gegenüber unausgesprochene Wahrheiten zu offenbaren, andererseits erhofft sich manch einer mehr Zwischenmenschliches von dem Kontakt. 

Im Zentrum der Handlung steht Hauslehrer Max, aber auch die anderen Passagiere lernt man mit der Zeit besser kennen und verstehen. Jeder dieser inneren Konflikte ist auf seine Weise interessant, auch wenn er nur in aller Kürze abgehandelt werden kann, denn das Buch fasst im Vergleich zur Zahl der Charaktere nur wenige Seiten. Die Probleme und zwischenmenschlichen Konflikte können deshalb nur angerissen werden, was gut zu der zeitlich und räumlich begrenzten Schiffsreise passt, bleiben damit aber auch etwas oberflächlich und ohne dass es für alles eine zufriedenstellende Lösung geben kann. 

Ich mochte die Atmosphäre auf dem Schiff und dass auch die Crew, die sich fürsorglich um ihre wenigen Passagiere kümmert, nicht außen vor bleibt. Zudem erfährt man durch Max' Unterricht, der die Überfahrt des Schiffes in ihn integriert, mehr über die Abläufe, Technik und die Aufgaben der Besatzung. 

Der Blick hinter die Fassade der Passagiere mit ihren Geheimnisse, die sich allmählich offenbaren, ist gelungen. Weiterhin wird durch die Dreierkonstellation mit Max, Anne und Bettina Spannung erzeugt, da ihre Gefühlswelten unsicher sind und keine klaren Grenzen gezogen werden. Kein Charakter ist unsympathisch oder eindimensional, weshalb man unvermeidbar mit ihnen hofft, dass sie auf ihrer inneren Reise zu einer Entscheidung und zu mehr Glück und Zufriedenheit finden sowie zwischenmenschliche und persönliche Konflikte lösen können. 

Freitag, 25. März 2022

Buchrezension: Olivier Norek - Das versunkene Dorf

Inhalt:

Bei der Festnahme eines Drogendealers erleidet die Kommissarin Noémie Chastain eine schwere Schussverletzung: Fortan ist eine Hälfte ihres Gesichts entstellt. Weil man ihr nicht mehr zutraut, ein Team zu führen, wird sie gegen ihren Willen aus Paris in die Provinz verbannt: Nach beschaulichen Wochen taucht auf dem See eine Tonne mit einem längst verwesten Leichnam auf, wodurch Noémie auf die Vorgeschichte Avalones stößt: Vor 25 Jahren wurde das Dorf evakuiert, überflutet, die Bewohner mussten dem neu geschaffenen Stausee weichen und wenige Kilometer entfernt im neuen Avalone leben. Doch drei Kinder kamen damals nicht mit. 

Rezension: 

Bei dem Versuch einen Drogendealer festzunehmen, wird Capitaine Noémie Castain durch eine Schussverletzung in das Gesicht schwer verletzt. Nach wenigen Wochen der Regeneration möchte sie ihren Dienst bei der Pariser Kriminalpolizei wieder antreten, leidet jedoch an Albträumen und scheitert jedoch an einer Schießübung. Auch der Polizeichef möchte die gezeichnete Polizisten nicht mehr im Außendienst sehen, da er ihr die Leitung eines Teams nicht mehr zutraut. Sie wird deshalb befristet in ein kleines Dorf in Südfrankreich versetzt, um zu prüfen ob der Polizeistandort dort rentabel ist oder geschlossen werden kann. Kurz vor Abschluss ihres Berichts, der in Ermangelung schwerer Straftaten negativ ausfällt, wird eine Leiche im See des Dorfes gefunden. Es stellt sich heraus, dass das Dorf Avalone vor 25 Jahren geflutet wurde und kurz zuvor drei zehnjährige Kinder verschwunden, vermeintlich entführt worden sind. 
Capitaine Noémie Castain bleibt vor Ort um den Cold Case, der bei den Einwohnern tiefe Narben hinterlassen hat, aufzuklären. 

"Das versunkene Dorf" ist eine Mischung aus Drama und Kriminalroman. Zunächst steht das persönliche Schicksal von Noémie im Vordergrund, die verständlicherweise unter ihrem entstellten Gesicht leidet und von ihren Vorgesetzten als polizeiuntauglich angesehen wird. 
In dem Dorf Avalone begegnet man der gestandenen Pariser Kommissarin jedoch überwiegend mit Respekt und nach einer öden Anfangszeit kann Noémie nach dem Bergen einer Leiche wieder zeigen, was in ihr steckt. Ihre Narben treten dadurch in den Hintergrund. 
Die Charaktere sind zwar etwas stereotyp, passen aber zu dem abgelegenen Dorf. Hier kennt jeder jeden, die Polizeibeamten sind provinziell und der Bürgermeister offen rassistisch. 

Der Fall um die verschwunden Kinder ist spannend aufgebaut und das überflutete Dorf, das unter dem See neben dem neu aufgebauten Zwillingsdorf liegt, birgt so manches Geheimnis. Die Ermittlungen sind authentisch dargestellt, die Personen lebensnah. Auch Noémies Entwicklung wirkt glaubwürdig, die Liebesgeschichte, die ihr zusätzlich Mut und Hoffnung gibt, hätte es für meinen Geschmack für diesen Roman nicht benötigt. Die spannende Schilderung der Aufklärung des Cold Cases und die geheimnisvolle und die unweigerlich gespenstische Atmosphäre, die sich durch die verlassenen Dorfruinen unter der Oberfläche des Sees verbergen, können für sich allein überzeugen. 

Mittwoch, 23. März 2022

Buchrezension: Julia von Lucadou - Tick Tack

Inhalt:

Bevor sie sich auf die U-Bahngleise legt, kündigt Mette, 15, in TikTok-Videos ihr Vorhaben an. Niemand reagiert – gerettet wird sie trotzdem. Der Selbstmordversuch verwirrt ihr privilegiertes Umfeld: Bislang hat sie professionell die Leistung des hochbegabten Kindes abgeliefert – Mettes Strategie, um unter dem Radar einer Welt zu bleiben, deren Verlogenheit sie frustriert. Dann lernt sie Jo kennen, zehn Jahre älter, brillant und voller Wut, ein Verbündeter. Als Anti-Influencer hat er sich ein Following aufgebaut und rekrutiert Mette für den Kampf gegen den Mainstream. Ein Spiel beginnt, dessen Regeln sie nicht durchschaut. 

Rezension: 

Almette Odenthal ist 15 Jahre alt, als sie sich auf die U-Bahngleise am Hansaring in Köln legt und nur mit Glück gerettet wird. Zuvor hatte sie ihr Vorhaben in TikTok-Videos angekündigt. Nach dem Selbstmordversuch steigen ihrer Followerzahlen, worauf Jo, der Halbbruder einer Klassenkameradin von Mette aufmerksam wird. Er selbst ist zehn Jahre älter, exmatrikulierter Student und erfolgreicher Blog. In ihm steck noch mehr Wut als in Mette, die sich von ihren Eltern nichts sagen lässt und sich sogar gegenüber ihrer besten Freundin verletzend verhält. 
Obwohl sie ein intelligentes Mädchen mit hervorragenden Zensuren ist, merkt sie nicht, wie sie von Jo manipuliert wird, der für seinen Kampf gegen Konformität und Mainstream Mette ausnutzt und zu fragwürdigen Aktionen überredet, die sie auf Social Media posten. 

Der Roman wird aus der Perspektive von Mette geschildert, die einen Selbstmordversuch überlebt hat und nun gezwungen ist, eine Psychotherapie zu machen. Wie schon von ihren Eltern und Lehrern, über die sie nur abfällig denkt und nicht ernst nimmt, hält sie auch von der Psychologin wenig. Sie flüchtet sich lieber in ihre Social Media-Accounts, die sie auf diversen Plattformen unter mehreren Pseudonymen pflegt, so dass sie offiziell nur ihre harmlose Seite zeigt. 
In ihr steckt eine Menge Wut, die nicht erklärt wird. Sie ist ein anstrengender pubertierender Teenager und strapaziert damit die Nerven der/ des Leser*in(s). Noch aufreibender ist es die Blogeinträge von Anonymous zu lesen, der seinen Followern unverhohlen seine wütenden Sätze an den Kopf wirft. Die Sätze sind kurz und abgehackt und werden zudem durch Gifs, Links und Hashtags unterbrochen, was ein flüssiges Lesen erschwert. 
Mit Beginn der Corona-Krise steigert sich seine Wut in gefährlichen Hass. Typische Plattitüden von Coronaleugnern, Querdenkern und Verschwörungstheoretikern werden zusammenhanglos aneinandergereiht. 
Mette gesellt sich zu den Maskenverweigerern, verstößt ihre beste Freundin und fokussiert sich auf Jo, der ihr schmeichelt. Sein wahres ich erkennt sie nicht und lässt sich von seinen Parolen einlullen. Sie glaubt an einen Kampf für Meinungsfreiheit und Freiheitsrechte gegen etablierte Medien und den Staat und schließt sich Jo und Gleichgesinnten an. Vor dem Hintergrund ihres Selbstmordversuchs drängt Jo sie zu einer weiteren gefährlichen Aktion. 

"Tick Tack" ist ein unbequemes, forderndes Buch. Während ich es zu Beginn noch stellenweise scharfsinnig und humorvoll fand und versuchte Sympathien für die selbstbewusste, unangepasste Mette zu finden, war ich wenig später versucht, den Roman nur noch quer zu lesen. Nicht nur die Protagonisten auch die Sprache ist anstrengend. Jugendsprache wird mit Sprache aus dem Social Media-Bereich vermischt, die mir zum Teil im Sprachgebrauch völlig unbekannt waren. Die Hauptfiguren Mette und Jo sind voller Sarkasmus und Hass, frech, überheblich und verletzend. Vorgeblich möchten sie die Welt besser machen, sind aber völlig verblendet und schießen über das Ziel hinaus. Sie flüchten aus der Realität und leben in ihrer eigenen Online-Fake-Welt. 

Auch wenn die Intention der Autorin am Ende deutlich ist und das Buch als Warnung vor Manipulation, Fakenews und Hasspostings verstanden werden kann, war mir das Buch viel zu einseitig und hasserfüllt. Ich konnte Mette, aus deren Sicht der Roman überwiegend geschrieben ist, nicht verstehen. Weder gibt es eine Erklärung für ihren Selbstmordversuch, noch für ihr Verhalten danach. Eigentlich soll sie intelligent, sein, aber andererseits durchschaut sie die offensichtliche Manipulation Jos nicht. 
Das Ende ist enttäuschend und viel zu einfach gelöst. Eine Auseinandersetzung mit den Konflikten, die zwischen Eltern und Kindern, Schülern und Lehrern oder mit der eigenen Wahrnehmung bestehen, findet nicht statt. Es wird offen dargelegt, welche Probleme die Digitalisierung und der zunehmende Gebrauch von Social Media bereiten können, die Hintergründe dafür und Lösungswege werden jedoch nicht aufgezeigt. Die Figuren bleiben abgesehen von ihrer Hasskappe blass und austauschbar. Ihre persönlichen Krisen erschließen sich nicht. 

Fazit: Der Roman behandelt aktuelle Probleme und ist im Ansatz gut, aber weder die Ausführung noch die Protagonisten haben mir gefallen. 

Montag, 21. März 2022

Buchrezension: Hannah Häffner - Nebelküste

Inhalt:

Nach dem dramatischen Ende ihrer Beziehung flieht die junge Franka in das verlassene Haus ihrer Großmutter an der Ostsee. Das Schicksal führt sie dort mit der charismatischen Iris und der stillen Oda zusammen, die beide ein dunkles Geheimnis hüten, das sie mit dem alten Haus verbindet. Während sich die drei fremden Frauen misstrauisch beäugen, entgeht ihnen, dass die eigentliche Bedrohung außerhalb der alten Mauern lauert. Denn Franka, Iris und Oda werden unweigerlich von den Dämonen ihrer Vergangenheit eingeholt, und die tödliche Gefahr rückt immer näher. 

Rezension:

Nachdem Franka Gehring von ihrem Ehemann betrogen wurde, flüchtet sie in das alte Häuschen ihrer verstorbenen Großmutter Elena an der Ostsee. Dort begegnet sie unerwartet einer angeblichen Freundin von Elena. Wenig später retten die beiden gemeinsam die junge Oda, die sich im Meer ertränken wollte. Alle drei Frauen suchen eine Zuflucht und bergen Geheimnisse, über die sie nicht sprechen möchten. Es herrscht gegenseitiges Misstrauen, aber Franka möchte auch nicht alleine sein und die fremden Frauen wegschicken. 
Als sich die drei Frauen durch mysteriöse Botschaften bedroht fühlen, beginnen sie sich zu öffnen und Erklärungen für ihre Anwesenheit zu geben. 
Als in der Nähe eine Leiche gefunden wird, wächst die Unsicherheit, Verdächtigungen werden ausgesprochen und letztlich stehen sie vor der Frage, ob sie in dem Haus noch sicher sein können. 

Der Roman wird aus der Perspektive von Franka geschildert, die in das alte Häuschen ihrer verstorbenen Großmutter zurückkehrt, wo sie nach der Vernachlässigung durch ihre Mutter Teile ihrer Jugend verbracht hat. Die Geschichte beginnt undurchsichtig, denn Franka gibt nicht viel von sich Preis, möchte Abstand von Hamburg und ihrer jüngsten Vergangenheit haben. Auch die beiden anderen Frauen, denen sie begegnet, offenbaren wenig von sich und können aus zunächst unbekannten Gründen nicht dorthin zurück, wo sie hergekommen sind. Es herrscht eine angespannte Stimmung untereinander, die noch verstärkt wird, als sie sich von einem unbekannten Eindringling bedroht fühlen. Keine kann sich vorstellen, wer es ist und ob er es auf eine von ihnen abgesehen hat. 
Durch die Gefahrenlage bilden sie eine Schicksalsgemeinschaft und versuchen Vertrauen zu schöpfen und erzählen von sich und ihrer Vergangenheit. Überraschenderweise ist insbesondere Frankas Geheimnis erschütternd, von der man eigentlich dachte, den Grund für ihr Verschwinden zu können. 

Zunächst vermittelt die Handlung den Eindruck eines dramatischen Spannungsromans über Frauen, die keinen anderen Ausweg wussten, als wegzulaufen. Erst mit Frankas Offenbarung, dem Fund einer Leiche und der unbekannte Gefahr vor Ort entwickelt die Geschichte erst ab dem letzten Drittel Elemente eines Kriminalroman. 
Die Geschichte bleibt lange undurchsichtig bis sich die Zusammenhänge mit Fortschreiten der Handlung offenbaren. Die Atmosphäre ist düster und melancholisch und fesselt zudem durch die Tatsache, dass Franka durch Erzählungen von anderen und aufgefundene Briefe einen ganz anderen Eindruck von ihrer geliebten Großmutter erhält, mit der sie so eng verbunden war. 
Es ist eine dramatische und schicksalhafte Geschichte mit Krimielementen über Trauer und Schuld, die am Ende mit unerwarteten Wendungen überraschen kann. Als Ostsee-Krimi würde ich das Buch nicht bezeichnen, dafür liegt der Fokus der Geschichte zu wenig auf einem Verbrechen und es fehlt zudem an Ermittlungen. 

Samstag, 19. März 2022

Buchrezension: Sophia Money-Coutts - Die große Liebe kann mich mal

Inhalt:

Einsam ist Florence auf gar keinen Fall. Sie ist zwar schon ziemlich lange Single – ok, eigentlich hatte sie noch nie eine Beziehung, wenn es jemand ganz genau wissen will. Aber ihr Job in einem quirligen Londoner Buchladen hält sie ziemlich auf Trab, und nach Feierabend leistet ihr der geliebte, aber übergewichtige Kater Gesellschaft. Florence ist mehr als zufrieden mit ihrem Leben, vielen Dank auch! Nur ihre nervige Stiefmutter sieht Optimierungsbedarf und schickt sie zu einem Liebes-Coach. Als erste Übung muss sie eine Liste schreiben mit all den Eigenschaften, die ihr Traummann in sich vereinen soll. Florence kann so eine Liste keinesfalls ernst nehmen: Jemand, der Katzen mag, einen Oberkörper hat wie James Bond und gleichzeitig bei ihrer nervigen Zähl-Marotte die Augen zudrückt? Unmöglich! Bis sie sich ein paar Tage später ungläubig die Augen reibt: Ein gutaussehender junger Mann betritt den Buchladen, der wie von Zauberhand alle Kriterien auf der Liste erfüllt. Zudem ist er adlig und besitzt ein schickes Herrenhaus auf dem Land. Kann das wahr sein? 

Rezension: 

Florence Fairfax ist 32 Jahre alt und hatte noch nie eine richtige Beziehung. Vermisst hat sie bisher nichts - sie lebt zusammen mit ihrem Kater Marmalade und ihren beiden Halbschwestern und arbeitet in einem alteingesessenen Buchladen in Chelsea, der ein wenig Aufwind benötigt. Als ihre Halbschwester Mia mit den Vorbereitungen ihrer Hochzeit beschäftigt ist, beschließt Florences Stiefmutter Patricia deren Liebesleben anzukurbeln und verpflichtet sie zu mehreren Sitzungen mit einer Liebes-Coachin. Nachdem Flo eine Wunschliste mit Eigenschaften ihres Traummannes erstellt hat, steht so ein Exemplar wenig später in dem Buchladen vor ihr. Rory ist ein eifriger Liebhaber und die Beziehung entwickelt sich rasant, aber so ganz wahrhaben kann Flo ihr Glück noch nicht und ihr kommen Zweifel, ob Rory trotz der Erfüllung ihrer Bedingungen perfekt ist. 

"Die große Liebe kann mich mal" ist eine turbulente RomCom, eine typisch britische Chiclit, die mit einigen skurrilen Figuren aufwarten kann. Florence ist mit ihren Phobien und Zwängen bereits einzigartig, während andere Personen ein wenig überzeichnet sind, aber für den Verlauf der Geschichte keine entscheidende Rolle spielen. Ihre Freunde und Familienmitglieder bleiben ein wenig blass und konturlos. 
Die Geschichte ist humorvoll, gespickt mit witzigen Episoden in Bezug auf Florences erste Schritte in Liebesdingen und amüsanten Dialogen mit ihren Freunden und Kollegen im Buchladen. Die Erzählung wirkt damit stellenweise aber auch etwas bemüht komisch und übertrieben. Den speziellen Humor, der stets sexualisiert angehaucht ist, muss man mögen. 

Es ist keine romantische Geschichte, denn dafür mangelte es zu lange an Herzklopfen und echten Gefühlen. Mit der Beziehung zu Rory wird Florence durch Liebescoach und den Druck ihrer Familie überrumpelt und lässt sich auf ihn ein, der zumindest körperlich sehr fordernd ist. Ihre Unbedarftheit wirkt aufgrund ihrer wenigen Erfahrungen glaubwürdig und gerade ihre nachdenklichen Momente haben mir gut gefallen. So stellt sich die Frage, ob es wirklich nötig ist, um jeden Preis einen Partner zu haben oder ob ein Haustier und verlässliche Freunde nicht wichtiger sind. Zumindest sollte man sich nicht mit dem Erstbesten abfinden, aus Angst und Unsicherheit jemanden neuen zu finden. 

Es ist eine liebenswert chaotische (Liebes-)komödie, die abwechslungsreich geschrieben ist und gut unterhält, aber leider nicht wirklich neuartig ist und im Hinblick auf Florences Partnerwahl etwas zu vorhersehbar ist. Sie zeigt jedoch sehr eindrücklich, dass sich Liebe nicht erzwingen lässt und sich der perfekte Partner nicht an Punkten auf einer Liste messen lässt. 

Freitag, 18. März 2022

Buchrezension: Liane Moriarty - Eine perfekte Familie

Inhalt:

Joy ist spurlos verschwunden, aber sollen sie ihre Mutter wirklich als vermisst melden? Ein Dilemma für die vier erwachsenen Kinder, denn Vater Stan ist offensichtlich mehr als verdächtig. Bisher galten die Delaneys als Vorzeigefamilie par excellence, doch nun bleibt kein Stein mehr auf dem anderen. Was verheimlicht Stan? Und wer war die Fremde, die erst Wochen zuvor in Joys Leben trat? Den Geschwistern stellt sich aber eine noch viel erschreckendere Frage: Kennen sie ihre Eltern überhaupt? 

Rezension:

Die Delaneys sind eine Tennisspielerfamilie. Joy und Stan Delaney haben sich nach fünfzig Jahren zur Ruhe gesetzt und die Tennis-Akademie verkauft. Die vier Kinder, Logan, Troy und Brooke sind erwachsen und haben leider alle keine Tenniskarriere gemacht. Vor allem Joy wartet nun auf Enkel, aber in Liebesdingen erscheinen ihre Kinder ein wenig hilflos.
Eines Abends klopft eine junge Frau an die Tür der Delaneys und Joy und Stan nehmen die verletzte und offenbar von ihrem Freund missbrauchte Savannah bei sich auf. Sie wohnt in Amys altem Kinderzimmer, kocht für die Delaneys und wird zu einer Art Tochterersatz.
Da verschwindet Joy nach einem Streit am Valentinstag und auch Savannah ist plötzlich nicht auffindbar. Unter Verdacht gerät Stan, der sich seltsam verhält und seine Kinder geraten ins Grübeln, ob er ihre Mutter im Affekt getötet haben könnte, während die Polizei ermittelt und einen nach dem anderen befragt.

"Eine perfekte Familie" ist kein Kriminalroman sondern vielmehr das Portrait einer Familie. Die Geschichte wird nicht nur aus der Perspektive der zentralen Figuren sondern auch aus dem Blickwinkel von dritten Personen erzählt, die zufällig in die Geschichte involviert werden, wie Kellner, Taxifahrer oder Friseure. Diese Wechsel sind innovativ und sorgen für Abwechslung ohne die Handlung unnötig kompliziert zu machen. 
Durch die verschiedenen Perspektiven der Delaneys fällt es allerdings schwer, einen engeren Bezug zu den Charakteren aufzubauen, da es dafür einfach zu viele sind. Jeder kämpft zudem mit ganzen eigenen Problemen, insbesondere im Hinblick auf ihre Beziehungen zu Partnern und zur Familie, was ein wenig vom mysteriösen Verschwinden der Mutter ablenkt. Tatsächlich ist das zentrale Thema nicht ein Verbrechen sondern die Familie, ihre Verbindungen untereinander und die Geheimnisse, die sie bergen.

Im Wechsel zwischen der jüngeren Vergangenheit ab dem Erscheinen von Savannah und der Gegenwart wenige Tage nach dem Verschwinden von Joy, aber auch durch Rückblenden und Erinnerungen an vergangene Ereignisse der Tennisspielerfamilie lernt man sie besser kennen und verstehen. Die Geschichte ist vielschichtig mit ernsten Anklängen, aber auch mit humorvollen Dialogen. Themen wie Neid und Eifersucht, Erfolgsdruck und Erwartungshaltungen, neben Liebe, Fürsorge und Zusammenhalt werden in Verbindung mit dem Sport, der großen Leidenschaft um Tennis, näher beleuchtet. 
Mir war die Geschichte phasenweise etwas zu langatmig und auch die Auflösung am Ende fand ich etwas belanglos und enttäuschend. Nichtsdestotrotz mochte ich die Idee hinter der Geschichte und insbesondere die etwas andersartige, erfrischende Erzählweise sowie die Authentizität der sehr unterschiedlichen Charaktere.

Mittwoch, 16. März 2022

Buchrezension: Lesley Kara - Die Lügen

Inhalt:

Sie waren unzertrennliche Freundinnen, Lizzie und Alice. Dann: die Tragödie bei einem Spaziergang auf den Gleisen. Doch bis heute hat Lizzie keinerlei Erinnerung an das Zugunglück, bei dem Alice mit 13 ums Leben kam. Sie ist nicht einmal sicher, ob es wirklich ein Unglück war – oder ob sie selbst schuld am Tod ihrer Freundin ist. Die Ungewissheit belastet sie auch als Erwachsene noch zutiefst. Aber jetzt endlich scheint es möglich, ein neues Kapitel aufzuschlagen und die Vergangenheit ruhen zu lassen. Da bekommt sie plötzlich unheimliche Nachrichten und Drohungen von jemandem, der zu wissen scheint, was damals wirklich passiert ist. 

Rezension: 

Lizzie und Alice waren als 13-jährige beste Freundinnen. Auch wenn Lizzies Eltern von der einzigen Freundin, die Lizzie aufgrund ihrer Epilepsie hatte, nicht begeistert waren, haben sie sich fast täglich getroffen. Auch am ersten Tag der Sommerferien im Jahr 2007 haben sie einen Spaziergang an den Gleisen unternommen, wie sie es häufig getan haben. Doch an diesem Tag kommt Alice nicht lebend zurück. Sie wurde auf tragische Weise von einem Zug erfasst und Lizzie benommen durch einen epileptischen Anfall aufgefunden. 
Zwölf Jahre später hat Lizzie ihre Krankheit im Griff und ist mit Ross frisch verlobt und in ein gemeinsames Haus gezogen. Als in den Nachrichten von einem Mädchen berichtet wird, dass wie Alice an einem unbeschrankten Bahnübergang ums Leben gekommen ist, wird Lizzie erneut von Albträumen gequält. Zusätzlich wird sie mit anonymen Anrufen belästigt und dann trifft sie auch noch auf Alices ältere Schwester Catherine, die sie nach dem Unfall beschuldigt hat, Schuld am Tod von Alice zu sein.  
Lizzie kann oder möchte sich nicht an den 19. Juli 2007 erinnern, doch irgendjemand scheint mehr zu wissen. Zudem scheinen auch ihre Eltern ihr gegenüber nicht immer ehrlich gewesen zu sein und etwas zu verbergen zu haben. 

"Die Lügen" ist kein nervenaufreibender Thriller, aber ein Spannungsroman, der fesselnd und wendungsreich ist und auf zwei Zeitebenen erzählt wird. Beginnend mit dem Schockmoment des Todes der 13-jährigen Alice beschreibt die Vergangenheit aus Sicht von Lizzie die Zeit vor und nach dem Unfalltod. Die Gegenwart beginnt mit den Nachrichten von dem tragischen Unfalltod eines Mädchens, das von einem Zug erfasst wurde und katapultiert Lizzie, die sich als Erwachsene endlich ein gefestigtes Leben aufgebaut hatte, zurück in die Vergangenheit, die sie auch nach zwölf Jahren noch aufwühlt. 
Die Geschichte ist durch den Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit geschickt konstruiert. Je mehr man über die Vergangenheit und die Freundschaft zwischen Alice und Lizzie erfährt, desto mehr Zweifel kommen an der Ehrlichkeit und Integrität von Lizzie auf. 
Die Freundschaft war nicht ganz so harmonisch wie Lizzie vorgibt, sondern von Eifersüchteleien, Enttäuschungen und auch Wut geprägt. Aber hätte Lizzie es tatsächlich über das Herz gebracht ihre beste und einzige Freundin in Gefahr zu bringen? 
Bewusst führt die Autorin die/ den Leser*in auf falsche Fährten, denn neben Vergangenheit und Gegenwart gibt es noch einen dritten Erzählstrang, der von einer toxischen Beziehung einer Person erzählt, die Lizzie nahesteht und ihr Leben als Erwachsene wiederum in ein anderes Licht rücken lässt. Auf raffinierte Art und Weise wechseln die verdächtigen Personen und die Frage, wer Opfer und wer Täter ist und treiben die Spekulationen nach klassischer Thrillermanier weiter voran, auch wenn ich auf einen Aspekt als Teil der Lösung hätte verzichten können. 

"Die Lügen" ist einerseits eine tragische, aufwühlende Geschichte über eine Teenagerfreundschaft und die typischen Probleme unter Freundinnen und Schulkameradinnen, die mit der an Epilepsie erkrankten Lizzie ein beliebtes Opfer gefunden haben. Andererseits ist es eine fesselnde Geschichte über einen mysteriösen Unfalltod, der aufgrund der Erinnerungslücken Lizzies nie zufriedenstellend aufgeklärt werden konnte und deshalb bis in die Gegenwart für unbequeme Fragen, Schuldgefühle, Anschuldigungen und Rachegelüste sorgt.

Dienstag, 15. März 2022

Buchrezension: Marie Benedict - Mrs Agatha Christie

Inhalt:

Im Dezember 1926 wird Agatha Christie vermisst. Ermittler finden ihr leeres Auto am Rande eines tiefen, düsteren Teichs, darin ihr Pelzmantel – ungewöhnlich für eine eisige Nacht. Ihr Ehemann, ein Veteran des Ersten Weltkriegs, und ihre Tochter wissen nicht, wo sie sich aufhält, und England löst eine beispiellose Fahndung nach der Krimiautorin aus. Elf Tage später taucht sie wieder auf, genauso mysteriös, wie sie verschwunden war. Sie behauptet, an Amnesie gelitten zu haben und gibt keine Erklärung für ihre Abwesenheit ab. Bis heute weiß niemand, was damals geschah. Marie Benedict erzählt die Geschichte einer zunächst glücklichen Ehe, die jedoch mehr und mehr zerbricht, je erfolgreicher Agatha wird. Welche Rolle spielte ihr untreuer Ehemann, und was hat er den Ermittlern verschwiegen? Agatha Christies Verschwinden ist vielleicht ihr spannendster Fall. Marie Benedict liefert eine erschreckend plausible Lösung. 

Rezension: 

Im Dezember 1926 verschwindet die Schriftstellerin Agatha Christie spurlos. Sie lässt ihren Ehemann Archibald, der das Wochenende bei Bekannten zum Golfen verbrachte, und ihre siebenjährige Tochter Rosalind zurück. Auf der Suche nach Agatha wird am nächsten Tag ihr Auto am Ufer eines Teiches, den für Selbstmörder berüchtigten "Silent Pool", gefunden. Ihre Wertsachen hat sie darin zurückgelassen. Im Zuge der Ermittlungen gerät Archie, der sich zwar zunächst an der Suche nach seiner Frau beteiligte und sich sorgenvoll gab, in Verdacht etwas mit dem Verschwinden zu tun zu haben. 

Der Roman beruht auf einer wahren Begebenheit, denn die bekannte britische Autorin von Kriminalromanen und Detektivgeschichten war tatsächlich im Dezember 1926 für elf Tage verschwunden. Nachdem man sie in einem Hotel gefunden hatte, wurde gegenüber der Presse eine Erkrankung als Ursache für ihre Abwesenheit erklärt. Agatha Christie hat sich selbst nie zu den Beweggründen geäußert. 
Die Geschichte von Marie Benedict versucht eine plausible Erklärung zu finden, indem sie auf die Ehejahre von Agatha und Archibald Christie zurückblickt. 

Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive von Agatha und Archie erzählt. Während Agatha in Form eines Manuskripts den Zeitraum von 1912 bis 1926 - vom Kennenlernen ihres Ehemannes bis zu ihrem Verschwinden - schildert, wird die Suche nach Agatha aus Archies Sicht von 3. bis 14. Dezember 1926 beschrieben. 

Nach einer euphorischen Anfangsphase eines frisch verliebten Paares und einer Heirat im Jahr 1914, auf die vor allem Archie drängte, hat der Große Krieg Spuren hinterlassen. Als Kriegsveteran ist Archie nicht mehr derselbe wie vor der Ehe. Das Zusammenleben der beiden ist angespannt. Agatha bemüht sich vergebens, eine perfekte Ehefrau zu sein, wie es die damalige Zeit vorgab und kämpft um ihre Ehe. Ihre Leidenschaft galt dem Schreiben und der Erfindung rätselhafter Detektivgeschichten. Die beiden entfremden sich zunehmend voneinander und Archie blickt nur noch herablassend auf seine Ehefrau herab. 
Nach dem Verschwinden Agathas erscheint Archie undurchsichtig und scheint etwas zu verbergen zu haben. Gegenüber der Polizei ist er während der Suche nicht ganz ehrlich und hält vor allem mit einem Brief hinter dem Berg, den er kurz vor ihrem Verschwinden von Agatha erhalten hatte. 

Die Geschichte liest sich spannend, insbesondere da das Mysterium um das Verschwinden der Erfolgsautorin in jungen Jahren nie ganz aufgeklärt wurde, auch wenn der/ dem Leser*in bewusst sein muss, dass es sich nicht um ein Tötungsdelikt handelt oder Agatha freiwillig aus dem Leben geschieden ist. Fraglich ist nicht, ob Agatha noch lebt oder wo sie sich versteckt hält, sondern ihre Motivation und die Rolle ihres Ehemanns, der sich auffällig verdächtig verhält. 
Marie Benedict liefert am Ende eine schlüssige und für die/ den Leser*in zufriedenstellende Erklärung, die mehr als nur Spekulation ist und raffinierte Parallelen zu den Geschichten einer der größten Schriftstellerin aller Zeiten aufweist. 
Es ist kein biografischer Roman, sondern eine fiktive Geschichte mit einem realen Hintergrund, der als Befreiungsschlag und süße Rache an ihrem eiskalten Ehemann gewertet werden kann, aber auch die Geschichte einer verzweifelten und verletzten Ehefrau ist. Sie macht die bekannte Schriftstellerin nahbar und wirft einen sehr persönlichen Blick auf sie und ist durch die anschauliche Aufarbeitung dieses prägenden Zeitabschnitts ihres Lebens nicht nur für Freunde der Schöpferin von Hercule Poirot und Miss Marple zu empfehlen. 

Sonntag, 6. März 2022

Buchrezension: Rosie Walsh - Ein ganzes Leben lang

Inhalt:

Emma und Leo sind seit sieben Jahren glücklich verheiratet. Leo schreibt Nachrufe für eine große Tageszeitung, Emma ist eine brillante Meeresbiologin und ein ehemaliger Fernsehstar. Gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Ruby genießen sie das Familienidyll in Hampstead, London. Nur eines trübt das Glück – Emma leidet an einer schweren Krankheit. Und so erhält Leo den Auftrag, einen Nachruf auf seine geliebte Frau zu verfassen, falls es zum Schlimmsten kommt. Doch bei den Recherchen über ihr Leben stößt er auf eine schockierende Wahrheit: Alles, was Emma ihm über sich erzählt hat, ist eine Lüge. 

Rezension: 

Emma und Leo kennen sich seit zehn Jahren, sind seit sieben Jahren verheiratet und haben eine dreijährige Tochter. Emma ist eine bekannte Meeresbiologen und hatte früher auch Auftritte im Fernsehen. Leo ist Journalist und schreibt Nachrufe auf prominente Persönlichkeiten. Emma hat bereits eine Krebserkrankung überstanden, aber als sie wieder zu einer Untersuchung muss, da der Krebs zurückgekehrt sein könnte, wird Leo gebeten, einen Nachruf vorzubereiten. Als er merkt, dass er gar nicht so viel über seine Frau weiß, beginnt er zu recherchieren und wird auf Ungereimtheiten in ihrer Vergangenheit aufmerksam. Auf Nachfragen reagiert sie abweisend und mit fadenscheinigen Erklärungen. Beide verstricken sich in Heimlichkeiten und Lügen, bis Emma vor einer geplanten Aussprache plötzlich verschwindet und Leo noch tiefer in ihre Vergangenheit eintauchen muss, um eine Erklärung für ihre Verhalten zu finden. 

Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive von Leo und Emma geschildert. Als Leser*in begleitet man Leo bei seinen Recherchen und kann sein wachsendes Misstrauen gegenüber Emma nachvollziehen und dass er nach der Aufdeckung von offensichtlichen Lügen Grenzen überschreitet, um die ganze Wahrheit zu erfahren, die sein eigenes Leben in seinen Grundfesten erschüttert. Emma hat dagegen ein schlechtes Gewissen und verstrickt sich weiter in ihr Lügengerüst. Sie hat Angst, Leo die Wahrheit über ihre Vergangenheit zu sagen, möchte ihn jedoch nicht verlieren und macht durch ihre Ausreden alles noch schlimmer. 
Der Vertrauensbruch ist groß und alles Leser*in fällt es zunächst schwer, nachzuvollziehen, warum die beiden, denen so viel an ihrer Ehe und ihrer Familie liegt, nicht offen miteinander sprechen. Was kann schon so schlimm sein, dass Emma regelrecht panisch reagiert, wenn es um ihre Vergangenheit geht? 
Die/ der Leser*in wird lange auf die Folter gespannt, bis durch Leos indiskrete Recherchen und Rückblicke in Emmas Vergangenheit immer mehr Puzzleteile aufgedeckt werden, die am Ende ein Gesamtbild ergeben. Die Hintergründe zu Leo und Emma, das, was sie in der Vergangenheit geprägt hat, was sie erlebt und durchlebt haben, liefern schlüssige Erklärungen für ihre eigenartigen Verhaltensweisen und ihr offensichtliches Kommunikationsproblem. Und selbst als man glaubt, alle Wahrheiten zu kennen, wird die Spannung durch Emmas unerklärliches Verschwinden weiter aufrecht erhalten. 

"Ein ganzes Leben lang" ist, anders als das Cover suggeriert, keine Liebesgeschichte. Es ist ein Familiendrama voller tragischer Ereignisse, das spannend konstruiert und erzählt wird. Es ist eine emotionale Reise in eine Vergangenheit, die nicht verarbeitet wurde und durch Trigger in der Gegenwart ans Licht kommt und die Betroffenen überfordert. Die Geschichte ist packend und wendungsreich und überrascht mehrfach durch neue erschütternde Offenbarungen. Es ist keine leichte Lektüre, auch wenn die Hoffnung mitschwingt, dass nach der Aufdeckung aller Geheimnisse eine Versöhnung möglich erscheint.  

Samstag, 5. März 2022

Buchrezension: Andy Jones - Zwei für immer

Inhalt:

Als er Ivy begegnet, ist Fisher wie vom Blitz getroffen, und bald ist er sich sicher, dass aus der Sache etwas werden könnte. Noch weiß keiner der beiden, dass die Entscheidung über ihre Zukunft längst gefallen ist: Ivy ist schwanger. Doch während das neue Leben in Ivy heranwächst, muss sich Fisher um seinen schwer erkrankten Freund El kümmern. Und Ivy und Fisher sind immer noch damit beschäftigt, sich kennenzulernen. Denn es ist eine Sache, sich zu verlieben – miteinander zu leben ist eine ganz andere Geschichte. 

Rezension: 

Ivy und Fisher kennen sich noch nicht lange, verbringen ein paar leidenschaftliche Nächte miteinander und dann ist Ivy schwanger. Ohne lang zu diskutieren, ob sie beide das Kind möchten, ob sie überhaupt eine Beziehung haben und das Kind gemeinsam großziehen möchten, übernimmt Fisher Verantwortung und zieht kurzerhand bei Ivy ein. 
Fisher ist verliebt in die knapp zehn Jahre ältere Ivy, ist sich ihrer Gefühle jedoch nicht so sicher. Die beiden müssen sich erst richtig kennenlernen, um herauszufinden, ob sie mehr verbindet als das gemeinsame Kind, was nicht ohne Reibereien vonstatten geht. 

"Zwei für immer" ist eine Liebesgeschichte, die aus der Perspektive des Mannes, Fisher, geschrieben ist, was für mich schon einmal eine Abwechslung zu vielen anderen ähnlichen Romane darstellt. Es fällt leicht, sich in ihn und seine Gedanken hineinzuversetzen. Seine Unsicherheit in Bezug auf Ivys Gefühle und auch in Bezug auf die Rolle, die er in ihrem Leben und dem der Kinder (es sind Zwillinge) einnehmen wird, sind spürbar. 

Der Roman ist humorvoll geschrieben, wiederholt sich jedoch im Mittelteil in ermüdenden Alkoholexzessen, was die Geschichte etwas in die Länge zieht. Es ist keine romantische Liebesgeschichte, denn wirklich schöne gemeinsame Momente zwischen Ivy und Fisher gibt es am Anfang kaum. Es fehlt eine Nähe, was vor allem der Distanziertheit Ivys geschuldet ist. Es ist eine ungleiche Paarbeziehung, die unter Druck entstanden ist und sich zunächst nicht merklich weiter entwickelt. Lange hat man als Leser*in hat man das Gefühl, dass die beiden keine Chance nutzen, sich anzunähern, für den anderen Interesse zu zeigen oder sich bewusst um eine gemeinsame Zukunft Gedanken machen. Erst als die Schwangerschaft voranschreitet und die beiden am Ende mit einem Unglück konfrontiert werden, dass sie nur gemeinsam bewältigen können, wird die Geschichte emotionaler und kann den etwas behäbigen Mittelteil ausgleichen. 

Es ist ein Beziehungsroman aus der Sicht eines Mannes, den man zunächst mehr bemitleiden, als beglückwünschen möchte. Am Ende ist trotz der Zurückhaltung Ivys aber dennoch eine emotionale Basis spürbar, die auf eine Zukunft des Paares als Familie hoffen lässt. Diese ungeschönte Art der Paarbeziehung hat mir an dem Roman gut gefallen. 

Freitag, 4. März 2022

Buchrezension: Svea Jensen - Nordwesttod (Ein Fall für die Soko St. Peter-Ording, Band 1)

Inhalt:

Aus der Landeshauptstadt Bayerns ins ferne Kiel: Kommissarin Anna Wagner braucht nach ihrer Scheidung einen Tapetenwechsel. Sie zieht in den Norden, um im Landeskriminalamt Schleswig-Holstein eine Stelle aufzubauen, die auf Vermisstenfälle spezialisiert ist. Gleich ihr erster Fall führt sie nach St. Peter-Ording an die Nordseeküste: Nina Brechtmann, eine junge Umweltaktivistin aus einer einflussreichen Hoteliersfamilie, wird vermisst. Hat ihr Verschwinden etwas mit den aggressiven Expansionsplänen ihrer Familie zu tun, wurde sie vielleicht entführt? Oder hütete die junge Frau ein Geheimnis? Anna Wagner und der örtliche Dienststellenleiter Hendrik Norberg ermitteln unter Hochdruck, denn niemand weiß, wann genau Nina Brechtmann verschwunden ist … und jede Minute zählt. 

Rezension: 

Kriminalkommissarin Anna Wagner ist nach ihrer Scheidung von München nach Kiel gezogen, um im dortigen Landeskriminalamt eine Einheit für Vermisstenfälle aufzubauen. Ihr erster Fall führt sie nach St. Peter-Ording, wo Nina Brechtmann, engagierte Umweltschützerin und Tochter einer reichen Hoteliersfamilie, vermisst wird. 
Doch nicht nur Anna ist "die Neue". An der Polizeidienststelle in St. Peter-Ording kam es zu einem Führungswechsel. Hendrik Norberg hat sich nach dem Tod seiner Ehefrau an den Familienwohnsitz versetzen und sich damit vom Kriminalisten zum Schutzpolizisten in Uniform degradieren lassen. Er unterstützt Anna bei ihren Ermittlungen, denn die Zeit bei Vermisstenfällen drängt. Als Nina Brechtmanns Auto mit Blutspuren im Kofferraum gefunden wird, stellt sich die Frage, ob Nina Opfer eines Verbrechens geworden ist und überhaupt noch lebt. Widersprüchliche Zeugenaussagen und offensichtliche Lügen ihrer eigenen Familie machen es den Ermittlern nicht leichter. 

"Nordwesttod" ist ein Kriminalroman mit ganz viel Lokalkolorit, in dem zwar ein Kriminalfall im Fokus steht, jedoch auch das Privatleben, die Schwierigkeiten und Entwicklungen diverser handelnder Personen eine größere Rolle spielen. Anna muss im Norden Fuß fassen und zu Beginn allein an dem komplexen Vermisstenfall ermitteln. Hendrik muss sich damit abfinden, "nur" noch Schutzpolizist zu sein und als frischer alleinerziehender Vater Zeit für seine Söhne aufbringen, die beide auf unterschiedliche Art und Weise um ihre vor Kurzem verstorbene Mutter trauern. Zudem muss er eine Polizeidienststelle leiten, die in ihren Strukturen eingefahren ist und in der nicht jeder teamfähig ist. 

Durch weitere Perspektiven erhält man kurze Einblicke in das Leben der Angehörigen und Bekannten des Opfers, die scheinbar alle etwas zu verbergen haben. Im Laufe der Ermittlungen wird immer weniger wahrscheinlich, dass Nina freiwillig verschwunden oder gart entführt worden ist, um ihre reiche Familie zu erpressen, die ihr aufgrund ihrer Kritik an den Expansionsabsichten ihrer Hotelkette alles andere als wohlgesonnen ist. 

Der undurchsichtige Fall ist spannend geschildert und ein vielversprechender Auftakt der Krimireihe um die SoKo St. Peter-Ording. Durch die vielen Perspektivenwechsel und zahlreichen Nebenschauplätze, die eröffnet werden, zieht sich die Fallaufklärung ein wenig in die Länge und rückt den Fokus immer wieder weg von den eigentlichen Ermittlungen. Gleichzeitig lassen die Details aus dem Privatleben die Ermittler menschlich wirken und hauchen der Kriminalgeschichte mehr Leben ein. 

"Nordwesttod" ist ein Kriminalroman, dem es etwas an Dynamik mangelt, der dafür aber mit vielen interessanten Haupt- und Nebenfiguren sowie einer wunderschönen Urlaubskulisse aufwarten kann und ohne Blutvergießen gewaltfrei für heimelige Lesestunden sorgt. 

Mittwoch, 2. März 2022

Buchrezension: Charlotte Roth - Ich bin ja heut so glücklich

Inhalt:

Berlin 1931: Sie ist der Shooting Star, die Sensation des jungen deutschen Tonfilms. „Ich bin ja heut so glücklich“ singt sie und scheint es ernst zu meinen. Renate Müller, der Münchner Journalistentochter, die mit achtzehn nach Berlin kam, verfällt die Filmwelt quasi über Nacht, obwohl sie so gar nicht dem gängigen Leinwandideal entspricht und weder das süße Püppchen noch den männermordenden Vamp verkörpert. Sie ist gefragt, begehrt, selbst Hollywood ruft nach ihr. Renate könnte so glücklich sein, wie es ihr berühmtes Lied verspricht, doch ihre große Liebe hat sie einem Juden geschenkt und gerät damit ins Visier der braunen Machthaber. 

Rezension:

Renate Müller hat schon als Kind davon geträumt, zum Film zu gehen. In der Schule konnte sie kaum still sitzen und der Lateinunterricht war ihr ein Gräuel. Um ihren Vater, den Chefredakteur einer Münchner und später einer Danziger Tageszeitung, nicht zu enttäuschen, hat sie sich jedoch stets bemüht und selbst unter Druck gesetzt. Ohne Abschluss und mit der Unterstützung ihrer Familie zieht sie 1924 nach Berlin, hat mehrere Rollen und Stummfilmen und ihren Durchbruch mit "Die Privatsekretärin", einem Tonfilm, in dem sie den Schlager "Ich bin ja heut so glücklich" trällerte. Der Film, der ein Stück heile Welt zeigte, passte wie Renate Müller als Typ "Mädchen von nebenan" in die Zeit, die von Inflation, Weltwirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit und sozialen Unruhen geprägt war. Bei der Premiere zu "Die Privatsekretärin", die sie überforderte und vorzeitig verließ, verliebte sie sich in den jüdischen Bankierssohn Georg Deutsch, was dem Reichspropagandaleiter Goebbels ein Dorn im Auge war. Goebbels, der Renates leichtgläubigen Kindheitsfreund Werner Lohse als seinen Chauffeur einstellte, setzte diesen auf Renate an und machte sie persönlich mit Adolf Hitler bekannt. 

"Ich bin ja heut so glücklich" ist keine Biografie, sondern ein biografischer Roman über die Schauspielerin der 1930er-Jahre Renate Müller und damit sehr nah an ihrem Leben dran. Der Roman erzählt ihr Leben nicht trocken nach, sondern beleuchtet ihre Persönlichkeit. Sehr authentisch wird Renates Leben von der verträumten Zwölfjährigen, über die unsichere, pummlige Nachwuchsschauspielerin bis zur bekannten und gefeierten UFA-Darstellerin beschrieben. Der Zeitgeist mit seinen politischen Umständen wird durch die zeitgenössische Sprache und das Verhalten der Charaktere passend eingefangen. Hier spürt man die akribische Recherche und die langjährige Erfahrung der Literaturwissenschaftlerin als Autorin historischer Romane. 

Der Roman wird - anders als man es vermuten mag - in wechselnden Perspektiven erzählt. Überwiegend ist es die Sicht der Hauptfigur Renate, daneben erhält man jedoch auch Einblicke in die damalige Zeit durch ihren Kindheitsfreund Werner Lohse, dem sie über Jahre freundschaftlich verbunden war und durch die exzentrische Schauspielerin Sybille Schmitz, die wie Werner für Renate schwärmte. Dadurch erhält der Roman zwar einerseits mehr Tiefe, andererseits fragt man sich, ob Renate als Persönlichkeit für einen biografischen Roman nicht eigentlich hätte ausreichen müssen, insbesondere da für mich Fragen offen geblieben sind. Mir wurde nicht wirklich begreiflich, warum Renate als unscheinbares, schüchternes Mädchen, das nicht gern im Mittelpunkt stand, unbedingt Schauspielerin werden wollte. Faszination für den Film ja, aber die große Bühne und das Rampenlicht? Dieser Traum passte für mich nicht ganz für das liebenswerte Pummelchen, das so häuslich und familiär verbunden war. 

Dennoch schafft es die Autorin der früh verstorbenen und für mich gänzlich unbekannten Schauspielerin Renate Müller Leben einzuhauchen und hat mich neugierig gemacht, mehr über sie, ihre Filme und ihren mysteriösen Tod zu erfahren. Es ist keine faktenorientierte Nacherzählung eines viel zu kurzen Lebens über eine junge Frau, die den Menschen mit ihren Filmen immer nur eine Freude machen sollte, sondern eine lebendige und authentische Geschichte, die die/ den Leser*in anschaulich in die Zeit der 1920er- und 1930er-Jahre hineinversetzt. Wie dabei der Film gezielt als Propagandainstrument der NSDAP eingesetzt wurde und welchen Druck das für Renate aufgrund ihrer unerschütterlichen Liebe zu Georg Deutsch bedeutete, verleiht der Erzählung etwas Spannung und Dramatik, denn ohne ihn kann sie nicht das "Fräulein Glücklich" sein. 
Im Vergleich zum Beginn des Romans, der vor allem in Bezug auf Werners Ambitionen ausschweifend und detailliert erzählt wurde, empfand ich das viel interessantere Ende dann etwas sehr kurz gefasst. 
Ein größerer Fokus auf Renates Persönlichkeit, ihre Ambitionen und noch mehr Flair vom Filmset hätten den biografischen Roman für mich noch runder gemacht.