Samstag, 30. April 2022

Buchrezension: Julie Clark - Der Plan. Zwei Frauen. Ein Ziel. Ein gefährliches Spiel.

Inhalt:

Meg ist eine Meisterin der Täuschung, und sie hat nur ein Ziel: Gerechtigkeit. Sie schleicht sich in die Leben skrupelloser Männer, die sich auf Kosten von Frauen bereichern, und bringt diese um ihr Vermögen und ihren guten Ruf. Doch nun wird es Zeit für ihren letzten Plan: Endlich will sie den Mann zu Fall bringen, mit dem alles begann. Aber sie ahnt nicht, dass ihr jemand auf den Fersen ist. Es ist eine Frau. Und auch sie will Rache. 

Rezension: 

Meg kehrt nach zehn Jahren in ihre Heimat nach Los Angeles zurück. Sie hat nur ein Ziel: Rache an dem Mann, der sie und ihre Mutter um ihr Vermögen gebracht hat. Als Trickbetrügerin ist Meg nach der Highschool in verschiedene Rollen geschlüpft, hat versucht, in ihrem Sinn für Gerechtigkeit zu sorgen, sich jedoch auch selbst bereichert. Ihre Opfer waren stets Männer, die einen zweifelhaften Ruf hatten, deren Geheimnisse sie aufdeckte und immer raffinierter darin wurde, ihre Gelder und Wertgegenstände zu entwenden. 
Kat arbeitet als Journalistin und sucht seit zehn Jahren nach Meg, die sie für ihr persönliches Unglück verantwortlich macht. Auch sie sinnt auf Rache und versucht sich deshalb die Freundschaft zu Meg zu erschleichen, um sich ihr unauffällig zu nähern. Sie unterschätzt dabei, dass sie es mit einer Frau aufnimmt, die sich seit ihrer Jugend mit Lug und Betrug über Wasser gehalten hat und diesbezüglich über geschärfte Sinne verfügt. 

Der Roman handelt von den Racheplänen zweiter Frauen und ist abwechselnd aus der Perspektive von Meg bzw. Kat geschildert. Zudem wechselt er zwischen Gegenwart und Vergangenheit, was die Beweggründe für ihre Vorhaben erklärt. 

"Der Plan" ist kein Thriller, denn dafür wirkt das Szenario zu wenig bedrohlich, wird unblutig und ohne Gefühl von Nervenkitzel erzählt. Es ist vielmehr ein spannendes Drama über zwei Frauen, die in ihrer Vergangenheit ein Trauma erlitten haben und nach Gerechtigkeit verlangen. 
Während Kats Motivation rein persönlich ist, entwickelt Meg im Lauf ihrer Trickbetrügerkarriere eine Art Robin-Hood-Syndrom und hilft im Zuge ihrer persönlichen Bereicherung auch anderen Frauen, die von Männern betrogen worden sind. 

Die Geschichte ist wendungsreich und mitunter verwirrend. Gut und Böse sind nicht klar zu unterscheiden, die Grenzen zwischen Freund und Feind verschwimmen. 

Während Kat sich in ihrer Leichtgläubigkeit verunsichern lässt und bald nicht mehr weiß, wem sie vertrauen kann, agiert Meg vorausschauender und tougher. Sie ist geduldig und verliert ihr Ziel nicht aus den Augen. Ihre Motivation ist nachvollziehbar und ihre Taten lösen Genugtuung aus, jedoch muss auch bezweifelt werden, ob der Zweck die Mittel heilt. Megs Methoden sind unlauter, sie beschafft sich Vermögen, das ihr nicht zusteht, jedoch sorgt sie als Nebeneffekt für Gerechtigkeit für Frauen, die unschuldig in Not geraten sind. 

Die Geschichte fesselt durch das Katz-und-Maus-Spiel von Meg und Kat und durch die Frage, welche Frau ihr Ziel erreichen wird. 
Es ist eine Geschichte voller Lügen, Manipulation und Täuschungen, die zwar einerseits wendungsreich, andererseits jedoch verwirrend ist. Durch die vielen glücklichen Zufälle sowie die sehr einseitige Darstellung von Frauen als Racheengel versus skrupellose, geld- und machthungrige sowie triebgesteuerte Männer empfand ich sie als zu konstruiert, übertrieben männerfeindlich und letztlich nicht ganz glaubwürdig. 

Freitag, 29. April 2022

Buchrezension: Miriam Covi - Heimkehr nach Whale Island (Whale-Island-Reihe, Band 1)

Inhalt:

Greta Lorenz soll ihren Chef, den attraktiven aber unnahbaren Hotelmanager Duncan Sommerset, auf eine Geschäftsreise nach Kanada begleiten. Auf Whale Island, wo die Brandung an die schroffe Küste donnert und Buckelwale ihre Kreise ziehen, betreibt seine Familie ein kleines Hotel. Als Greta für Duncans Ehefrau gehalten wird, und er sie bittet, das Spiel mitzuspielen, bekommt die Reise eine ganz neue Wendung. Umgeben von herzlichen Menschen und atemberaubender Natur wird die wilde kleine Insel für Greta schnell zu dem Zuhause, nach dem sie sich schon ihr Leben lang gesehnt hat. Längst sind ihre Gefühle für Duncan echt. Doch empfindet er auch so für sie? Und warum hat er die Insel vor Jahren so überstürzt verlassen? 

Rezension:

Greta Lorenz arbeitet an der Rezeption des Sommerset-Hotels in Manhattan. Als gebürtige Hamburgerin soll sie ihren unterkühlten Chef, den General Manager Duncan Sommerset, nach Kanada begleiten, um einen Deutschen vom Verkauf seines Grundstücks zu überzeugen, das einem neuen Golfresort der Hotelgruppe weichen soll. Auf der kleinen Atlantik-Insel Whale Island erfährt sie, dass die idyllische Insel die Heimat von Duncan ist, dessen Eltern dort ein in die Jahre gekommenes Hotel betreiben. Die Familie geht irrtümlicherweise davon aus, dass Greta Catherine Sommerset, Duncans Ehefrau ist und Greta spielt das Spiel trotz schlechten Gewissens überrumpelt mit. Auf der Insel erfährt die Heimatlose zum ersten Mal, was es heißt, eine Familie zu haben und kommt unweigerlich ihrem Chef näher, der in seinem Zuhause, gebeutelt von schmerzhaften Erinnerungen, nicht mehr so unterkühlt erscheint wie in New York. 

"Heimkehr nach Whale Island" ist der Auftakt einer dreiteiligen Reihe um die Cameron-Brüder Duncan, Aidan und Glenn, die auf der fiktiven Insel Whale Island aufgewachsen sind. 
Der Roman wird überwiegend aus der Sicht der Mittdreißigerin Greta geschildert, in wenigen Kapiteln gibt es jedoch auch Einblicke aus der Perspektive von Duncan, der nach dreizehn Jahren zum ersten Mal wieder in seine Heimat zurückkehrt. Die Entfremdung zu seiner Familie ist spürbar, so dass nicht ganz unrealistisch erscheint, dass nicht einmal seine Eltern seine Ehefrau Catherine kennen, was die Verwechslung mit Greta erklärt. 

Das Setting auf der nebligen Atlantikinsel ist anschaulich beschrieben. Sowohl die Naturbeschreibungen als auch das Zusammenleben auf der Insel, auf der jeder jeden kennt und die nur unzuverlässig mit einer Fähre erreicht werden kann, sind authentisch. Auch die liebenswerten Charaktere, die Greta so warm aufnehmen, schließt man direkt ins Herz. 

Die etwas klischeebehafte und ein wenig konstruiert wirkende Geschichte hat seine Spannungsmomente, denn nach der Ankunft auf der Insel erfährt man allmählich mehr über Duncan und Greta. Beide haben sie schwere Schicksalsschläge erlitten, die ihr Verhalten erklären. Während Duncan zunächst unnahbar, wortkarg und herrisch erscheint, wirkt Greta einsam und wehmütig und versteckt sich hinter einer toughen Fassade. In der Cameron Lodge teilen sie sich die Honeymoon Suite und zeigen ihre verletzlichen Seiten. In der naturnahen Umgebung und aufgehoben in der warmherzigen Familie Cameron werden sie gelöster und können eine gegenseitige Anziehung nicht länger verhindern. 
Eine aufgeladene Stimmung besteht jedoch nicht nur zwischen Greta und Duncan, sondern auch zwischen Duncan und seiner Familie bis sie ihre Konflikte lösen können. 

"Heimkehr nach Whale Island" ist ein gelungener Beginn einer Trilogie - ein Wohlfühlroman, der durch die erlebten Schicksalsschläge jedoch auch seine ernsten Momente hat und emotional berührt. Wie aus der Geschäftsreise für Greta ein Urlaub wird, ist auch die Geschichte für die/ den Leser*in eine schöne Auszeit. Sie handelt von Vergangenheitsbewältigung, von Schuldgefühlen und Versöhnung sowie von der Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Familie, Nähe und Liebe, aber auch von der Natur und Expansionsideen, die diese gefährden könnten. Das wacklige Lügenkonstrukt sowie Nebenfiguren wie der dreibeinige Hund Fiete oder die hellsichtige Bibliothekarin verleihen der Geschichte ihren ganz eigenen Charme und machen neugierig auf die beiden weiteren Bände, in denen die Brüder Duncans in den Mittelpunkt rücken und in denen es auch wieder um die Liebe auf Whale Island gehen wird. 

Mittwoch, 27. April 2022

Buchrezension: Oyinkan Braithwaite - Meine Schwester, die Serienmörderin

Inhalt:

Zwei Schwestern, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Ayoola ist das Lieblingskind, unglaublich schön - und sie hat die Angewohnheit, ihre Männer umzubringen. Korede ist eher praktisch veranlagt und dafür zuständig hinter ihrer Schwester aufzuräumen: die Krankenschwester kennt die besten Tricks, um Blut zu entfernen, und ihr Kofferraum ist groß genug für eine Leiche. Dann verknallt sich natürlich auch Tade, der hübsche Arzt aus dem Krankenhaus, in Ayoola, der doch eigentlich für Korede bestimmt ist. Jetzt muss die sich fragen, wie gefährlich ihr Schwester wirklich ist - und wen sie hier eigentlich vor wem beschützt. 

Rezension:

Korede und Ayoola sind Schwestern, die noch zu Hause bei ihrer Mutter wohnen. Korede ist die ältere, vernünftigere Tochter, die äußerlich eher unscheinbar ist und als Krankenschwester arbeitet. Der grazile Männerschwarm Ayoola ist als Modedesignerin tätig. Sie verführt die Männer und nun ist es zum dritten Mal passiert, dass ein Geliebter ums Leben gekommen ist. Korede fühlt sich für ihre jüngere Schwester verantwortlich und hilft ihr erneut, die Leiche zu beseitigen und alle Spuren zu verwischen, auch wenn sie inzwischen arge Zweifel hat, dass  ihre Schwester, wie behauptet, in Notwehr gehandelt hat. 
Als Ayoola ein Interesse für den Arzt Dr. Tade Otumu entwickelt, für den Korede heimlich schwärmt, klingeln bei ihr alle Alarmglocken. Sie kann nicht verhindern, dass sich Tade in ihre bildhübsche Schwester verliebt und lebt nun mit der Befürchtung, dass Tades letzte Tage gezählt sind. 

"Meine Schwester, die Serienmördern" ist kein klassischer Thriller, sondern vielmehr ein bitterböses Psychogramm über zwei unterschiedliche Schwestern, die voneinander abhängig sind. Während Korede praktisch und ordentlich veranlagt ist, aber als unscheinbare Frau nicht wahrgenommen wird, kann sich die selbstbewusste Ayoola perfekt in Szene setzen und alle Herzen für sich erobern. Niemand ahnt, dass sie das Messer ihres verstorbenen Vaters bei sich trägt und wie viel Skrupellosigkeit hinter der schönen Fassade steckt. 

Durch eine vom Patriarchat und Gewalt geprägte Kindheit sind die beiden Schwestern eng miteinander verbunden, doch als Ayoola Koredes Schwarm umgarnt, gerät ihre Solidarität ins Wanken. Eifersucht, Missgunst und Wut machen sich breit, immer hinter der schönen, aber bösen Schwester stehen zu müssen. Dieses Spannungsverhältnis kann nicht mehr lange gutgehen...

Der Roman besteht aus kurzen Kapiteln, die episodenartig das Verhältnis der beiden Schwestern aus der Sicht von Korede schildern. Gewalt von klein auf gewohnt und in einem korrupten afrikanischen Staat großgeworden, berichtet sie nüchtern und emotionslos von den Todesfällen und der Beseitigung der sterblichen Überreste der Geliebten ihrer Schwester, die sie nach der dritten Leiche als Serienmörderin definiert. 
Der Roman ist kess und unterhaltsam geschrieben, auch wenn die Charaktere etwas überzeichnet sind. Als Leser*in fiebert man auf die Katastrophe hin, zu der es unweigerlich kommen muss, denn durch das Liebesdreieck spitzt sich die Situation für alle unangenehm zu. 

Der Plot ist kurz und knackig, der Schreibstil frech und makaber-humorvoll. Spannung ist von der ersten bis zur letzten Seite vorhanden und so fliegt man durch den mit nicht einmal 250 Seiten kurzen Pageturner, wobei das Ende vergleichsweise verhalten und lahm ist.  
Die diametrale Darstellung der Schwestern dabei ist gelungen und absurd-unterhaltsam dargestellt. Aufgrund der jedoch etwas eindimensionalen Charakterzeichnung, die die beiden Frauen mehr über ihr Äußeres als durch ihren Intellekt definiert, würde ich das Buch nicht - wie vom Verlag beworben und in der Presse gefeiert - als feministisches Statement bezeichnen. Auch die patriarchalen Strukturen Nigerias und der Schauplatz Lagos kamen mir dafür zu wenig zum Tragen. 

Montag, 25. April 2022

Buchrezension: Meike Werkmeister - Das Glück riecht nach Sommer

Inhalt:

Die große weite Welt muss es für die Ärztin Ina gar nicht sein. Nach dem Studium zog sie zurück in ihre alte Heimat an der Küste – zurück zu einem Mann, von dem sie dachte, er wäre ihre Zukunft. Doch der Mann ist längst Vergangenheit, und die Stelle im Husumer Krankenhaus ist Ina auch los. Kurzerhand folgt sie einem Jugendtraum und zieht nach Hamburg, wo sie in einer kleinen Laube am Alsterfleet unterschlüpft. Während sich das verwilderte Gartenstück unter ihren Händen in ein Blütenmeer verwandelt, blüht auch Ina wieder auf. Und sie erkennt: Nur, wenn sie auf ihr Herz hört, kann aus alten Träumen etwas ganz Neues entstehen. 

Rezension: 

Nach einem Streit mit ihrem Vorgesetzten hat Ina Petersen ihre Anstellung im Husumer Krankenhaus gekündigt und sich entschlossen, wieder nach Hamburg zu ziehen, wo sie studiert und durch ihre Famulatur erste Berufserfahrung gesammelt hatte. Die Wohnungssuche in der Metropole ist schwierig und so kann sie kurzfristig nur in der Gartenlaube ihrer Freundin Filiz unterkommen. Auch ob ihre Bewerbung am Hamburger Klinikum Erfolg haben wird, ist unklar. 
Während sie Filiz in ihrer Nähstube aushilft, in der Laube gärtnert und Freundschaften zu den Rentnern schließt, trifft sie auch auf alte Bekannte wie ihren Mentor Tim wieder, der während ihrer Ausbildung Assistenzarzt war und in den sie heimlich verliebt war und auch Sebastian, mit dem sie in ihrer Jugend in einer Schülerband spielte. Ina muss sich selbst Fragen stellen, was sie im Leben erreichen möchte, ob der Beruf als Ärztin sie erfüllt und ob sie in Hamburg der Liebe eine Chance gibt. 

Ina ist ein eher zurückhaltender Charakter, die in Hamburg einen Neuanfang versucht. Es bleibt etwas vage, was in Husum passiert ist, warum sie mit ihrem Beruf als Ärztin hadert und warum sie so unentschlossen in Sachen Liebe ist. Wer die anderen Romane von Meike Werkmeister gelesen hat, ist dabei etwas im Vorteil, denn bereits in "Der Wind singt unser Lied" hatte Ina eine Nebenrolle, die mehr über ihre Vita verrät. 

Der Roman spielt im Sommer im Hamburg und die Atmosphäre der Großstadt an der Alster sowie das eher ländliche, nachbarschaftliche Leben in der Kleingartenkolonie ist sehr anschaulich beschrieben. Es macht Spaß, Ina auf ihren Wegen durch Hamburg zu begleiten. 
Dabei ereignet sich jedoch nicht viel. Sowohl die Job- als auch die Wohnungssuche tritt auf der Stelle und auch die Treffen mit alten Freunden und neuen Bekannten sind eher belanglos. Die Handlung plätschert so dahin, wobei man Ina kaum näher kommt. Sie bleibt verschlossen und ich bekam kein Gefühl dafür, ob sie in Hamburg wirklich sesshaft werden möchte und für welchen der beiden Männer nun eigentlich ihr Herz schlägt. Sowohl Tim als auch Sebastian bleiben so blass, dass ich sie trotz ihrer ganz unterschiedlichen Berufswege und Hintergründe im Kontakt mit Ina kaum unterscheiden konnte. 

Ich fand den Roman über weite Teile langweilig. Mir fehlten echte Höhen und Tiefen, die der Geschichte etwas Spannung verliehen oder Emotionen geweckt hätten. Inas Weg auf zu einem Neuanfang war mir zu träge und eintönig. Als Hauptfigur bleibt sie unnahbar und ihre Probleme sowie deren Bewältigung viel zu passiv und vage, so dass mich ihre Geschichte weder fesseln noch emotional bewegen konnte. 

Samstag, 23. April 2022

Buchrezension: Meike Werkmeister - Der Wind singt unser Lied

Inhalt:

Die Weltenbummlerin Toni ist überall und nirgends zu Hause – bis ein Anruf ihres Vaters sie zurück an die Nordsee führt. St. Peter-Ording mit seinen hübschen Reetdachhäusern und dem kilometerlangen Sandstrand ist für viele das Paradies auf Erden. Doch Toni hat sich hier, wo der Wind das ganze Jahr um die Häuser pfeift, nie richtig wohlgefühlt. Auch jetzt macht ihre alte Heimat es ihr nicht leicht. Ihre Eltern werden immer schrulliger, und alles erinnert sie an ihre erste große Liebe. Während sie auf dem Ferienhof der Familie aushilft, begreift Toni, dass sie das Leben anpacken muss, um ihm eine neue Richtung zu geben. Und dabei ist sie nicht allein. 

Rezension:

Weltenbummlerin Toni befindet sich in Costa Rica, als sie einen verstörenden Anruf von ihrem Vater erhält. Vor 15 Jahren hatte Toni den Ferienhof ihrer Eltern bei St. Peter-Ording verlassen, nachdem der Verlust ihrer großen Liebe sie aus der Bahn geworfen hatte. Nun macht sie sich Sorgen um ihre Familie, zu der sie nur noch sporadisch Kontakt gehalten hatte und nach einem Unfall, der ihr zeigt, wie schnell das Leben vorbei sein kann, entschließt sie sich, nach Hause zurückzukehren. Dort stößt sie zunächst auf eine Mauer des Schweigens. Ihr Vater verhält sich seltsam, ihre Mutter ist gar nicht zugegen und die Ehe ihrer Schwester Caro scheint auch zu kriseln. 
Während Toni auf dem Hof mit anpackt, trifft sie auf neue und alte Bekannte, versucht sie die Probleme, die in der Familie herrschen, zu klären und sich mit ihrer eigenen Vergangenheit zu versöhnen. 

Anders als Cover und Titel suggerieren, ist "Der Wind singt unser Lied" keine unbeschwerte Sommerlektüre, denn dafür lasten zu viele Sorgen auf Toni und ihrer Familie. Einerseits ist die Existenz des Ferienhofs bedroht und andererseits scheint auch jeder Protagonist sein Päckchen zu tragen zu haben. Die großen und kleinen Geheimnisse, die zwischen den Figuren herrschen, sorgen für Spannung und die ein oder andere Wende. 
Toni belastet die Vergangenheit, die sie rastlos hat werden lassen. Zuhause angekommen kommen wieder Erinnerungen auf, die sie verdrängt hatte und die die Beziehung zu ihrer Schwester belasten. Es gibt unausgesprochene Vorwürfe und Schuldgefühle, die sich im Verlauf der Handlung offenbaren und die Gründe für Tonis Flucht aus der Heimat erklären. 

Der Roman ist abwechslungsreich und lebendig geschrieben, die Figuren sind facettenreich und wirken authentisch. Auch wenn die Geschichte problembeladen ist und gerade zu Beginn etwas melancholisch erscheint, sorgt das sommerliche Setting am Meer, umgeben von den Tieren des Hofs "Ferienglück", für ein Gefühl von Behaglichkeit und Wohlbefinden. 
Die sich abzeichnende Liebesgeschichte bleibt im Hintergrund, während die Familie beginnt, offener miteinander zu sprechen und ihre Probleme wirtschaftlicher und zwischenmenschlicher Art zu lösen. 

Die Geschichte handelt von Liebe und Freundschaft, von Zugehörigkeit und Zusammenhalt und dem engen Band der Familie. Er zeigt, wie viel in gegenseitigem Vertrauen möglich ist, wenn Probleme gemeinschaftlich angegangen werden. 
Es ist ein sommerlicher Roman mit ernsten Tönen, bei dem man nie die Hoffnung verliert, dass sich vieles zum Guten wenden wird. Schön finde ich zudem, dass die Autorin ganz nebenbei Bezug auf ihre Vorgängerromane nimmt und es ein Wiedersehen mit bekannten Protagonisten gibt. Nebenfiguren werden im nächsten Roman zur Hauptfigur, wie im Fall der behandelnden Ärztin von Tonis Vater, die im neuesten Roman von Meike Werkmeister "Das Glück riecht nach Sommer" ihre ganz eigene Geschichte bekommt. 

Freitag, 22. April 2022

Buchrezension: Pip Williams - Die Sammlerin der verlorenen Wörter

Inhalt:

Oxford, Ende des 19. Jahrhunderts. Esme wächst in einer Welt der Wörter auf. Unter dem Schreibtisch ihres Vaters, der als Lexikograph am ersten Oxford English Dictionary arbeitet, liest sie neugierig heruntergefallene Papiere auf. Nach und nach erkennt sie, was die männlichen Gelehrten oft achtlos verwerfen und nicht in das Wörterbuch aufnehmen: Es sind allesamt Begriffe, die Frauen betreffen. Entschlossen legt Esme ihre eigene Sammlung an, will die Wörter festhalten, die fern der Universität wirklich gesprochen werden. Sie stürzt sich ins Leben, findet Verbündete, entdeckt die Liebe und beginnt für die Rechte der Frauen zu kämpfen. 

Rezension: 

Esme wächst bei ihrem Vater Harry auf, der zur Jahrhundertwende als Lexikograph am ersten Oxford English Dictionary arbeitet. Das Skriptorium und das Haus seines Arbeitgebers Dr. James Murray wird für Esme zu einem zweiten Zuhause. Schon als kleines Mädchen liest sie die Belegzettel mit Erklärungen für die Worte, die in dem Wörterbuch aufgenommen werden sollen. So mancher Zettel mit aussortierten landet dabei heimlich in ihrer Koffertruhe, die sie bei dem acht Jahre älteren Dienstmädchen Lizzie der Murrays aufbewahrt. Dort erkennt sie auch die Unterschiede zwischen Arm und Reich und die Stellung der Menschen in der Gesellschaft. 
Als Esme älter wird, geht sie mit Lizzie regelmäßig in die Markthalle in Oxford und lernt dort nicht nur neue Worte kennen, für die sie ihre eigenen Belegzettel mit treffenden Zitaten für ihr eigenes "Lexikon der verlorenen Wörter" verfasst, sondern auch Frauen wie die Schauspielerin Tilda, die als Suffragette für das Wahlrecht der Frauen kämpft. 

Der Roman ist eine fiktive Geschichte über das Leben von Esme Nicoll, die 1892 geboren ist, als Tochter eines Lexikographen aufwächst und selbst eine Liebe zu Worten entwickelt. Ihre Lebensgeschichte wird eng mit der Entstehungsgeschichte des Oxford English Dictionary verwoben. Das Buch gibt damit interessante Einblicke in die über 50-jährige Arbeit an DEM englischen Wörterbuch, das fortlaufend weiterentwickelt wird. Fast jeder deutsche Schüler wird den Nachfolger des historischen Wörterbuch, das Oxford Advanced Learner's Dictionary, aus dem Englischunterricht kennen. 

Esme ist ein liebenswerter Charakter, die durch ihre Aufenthalte im Skriptorium, das von Männern dominiert ist und durch ihre freundschaftliche Beziehung zu dem Dienstmädchen Lizzie die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sowie den Bürgerlichen und Arbeitern kennenlernt. Sie begreift die Ungerechtigkeiten und unterstützt die Suffragettenbewegung, auch wenn sie deren Methoden nicht immer gutheißt. Sie selbst bleibt eher passiv und muss sich persönlich mit Verlusten auseinandersetzen. 

Während mir der Beginn mit Esmes Kindheit und ihrem Sammeln der Worte, die es nicht geschafft haben, in das OED aufgenommen zu werden, da sie zu vulgär waren oder nur im Sprachgebrauch der einfachen Menschen vorkamen, gut gefallen hat, empfand ich den Roman im Mittelteil weniger fesselnd. Die Handlung wurde etwas zäh, da sie sowohl in Bezug auf die Fertigstellung des OED als auch im Hinblick auf den Kampf um Frauenrechte und Gleichberechtigung auf der Stelle trat. Auch der Beginn des Großen Krieges bremste die Geschichte eher aus, als dass sie zu mehr Spannung oder Dramatik beitrug. 

"Die Sammlerin der verlorenen Worte" ist ein eher ruhig erzählter, warmherziger Roman über die Liebe zur Sprache, über die Rolle der Frau zur Jahrhundertwende und das enge Band von Familie und Freundschaft, das über die Konventionen hinweg einen festen Halt im Leben gibt und Esme über ihre Verluste hinweg hilft. Neben der Hauptfigur gibt es noch viele weitere liebenswerte und originelle Charaktere, die real existierten und denen die Autorin Leben einhaucht, wobei es aufgrund der Vielzahl der Figuren, denen Esme begegnet, nicht immer leichtfällt, den Überblick zu behalten. Die fiktive Geschichte ist von realen Ereignissen und Personen inspiriert und eine schöne Vorstellung, durch Engagement, Leidenschaft, Empathie und Hartnäckigkeit, Minderheiten, Schwachen und Unterdrückten Gehör zu verschaffen und etwas Bleibendes zu schaffen. 

Mittwoch, 20. April 2022

Buchrezension: Miranda Cowley Heller - Der Papierpalast

Inhalt:

Es ist früh am Morgen, alle schlafen noch, als Elle Bishop an einem perfekten Augusttag zum See läuft. Im Sommerhaus der Familie ist etwas passiert: Während Elles Ehemann am vorherigen Abend mit den Gästen lachte, haben Elle und ihre Jugendliebe Jonas sich geliebt. Elle taucht ein ins Wasser, sie weiß, an diesem Tag läuft alles auf eine Entscheidung hinaus. 

Rezension: 

Elle Bishop ist Anfang 50, verheiratet und Mutter dreier Kinder. Wie jeden Sommer verbringen sie ihre freien Tage im Papierpalast, dem Sommerhaus der Familie in Back Woods auf Cape Cod, wo Elle das Freiheitsgefühl am See genießt. In diesem Sommer ist auch ihre Jugendliebe Jonas mit seiner Ehefrau Gina da, was die beiden jedoch nicht davon abhält, in einem unbeobachteten Moment nach einem gemeinsamen Grillabend mit der ganzen Familie, miteinander zu schlafen. Noch am nächsten Morgen ist eine aufgeladene Spannung vorhanden und Jonas schwört Elle hartnäckig seine Liebe. 
Elle kann jedoch nicht darüber hinwegsehen, dass Jonas sie eines Sommers verlassen hatte und erinnert sich sodann zurück an ihre Kindheit und Jugend, die Scheidung ihrer Eltern, neue Lebenspartner und ein düsteres Geheimnis, dass sie mit Jonas verbindet und an dem ihre Jugendliebe zerbrach. 

"Der Papierpalast" ist der Ort, wo sich Elle in Jonas verliebt hat, aber auch der Ort, wo ihr Schreckliches widerfahren ist. Gegenüber ihrer Familie konnte sie sich als 15-jähriges Mädchen nicht öffnen und so war es Jonas, dem sie ihr Geheimnis anvertraute. Die Folgen davon waren nicht absehbar und sorgten für ein nachhaltig schlechtes Gewissen. 

Der Roman handelt in der Gegenwart an nur einem Sommertag Anfang August, dem Tag nach dem ersten Sex der ehemals jugendlichen Liebenden. Die Vergangenheit erzählt 30 Jahre im Leben von Elle, von den 1960ern bis in die 1990er-Jahre, auf die sie zurückblickt. Es ist keine leichte Familiengeschichte, denn die Verhältnisse der Familienmitglieder untereinander sind schwierig. Beide Elternteile sind sehr auf sich bezogen und haben wenig Rücksicht auf die Bedürfnisse der beiden Töchter Anna und Elle genommen. Es herrscht wenig Vertrauen und Liebe untereinander, der Ton ist scharf, die Mädchen wechseln zwischen Mutter und Vater, stehen dort jedoch nie an erster Stelle. So merkt auch niemand, welches Spiel Elles Stiefbruder Conrad treibt. Es sind Erlebnisse, die Elles weiteres Leben geprägt haben und die auch für die/ den Leser*in nur schwer verdaulich sind. 
In ihrem beständigen Ehemann Peter, dem eleganten Engländer, findet Elle Halt und gründet ihre eigene Familie. Er weiß nichts von ihrer Vergangenheit, ihrem Geheimnis und ihren dunklen Gedanken.  

So steht Elle mit Anfang 50 vor der Entscheidung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Leidenschaft und Vernunft, zwischen Abenteuer und Beständigkeit, zwischen Freiheit und Familie. 
"Der Papierpalast" ist eine dramatische Geschichte über eine Familie, in der wenig gesprochen wird, in der Problemen ausgewichen wird und Dinge unter den Teppich gekehrt werden. Durch Rückblenden in die Vergangenheit, die chronologisch erzählt wird, wird ein Geheimnis offenbart, das eine Erklärung für Elles schamloses Verhalten in der Gegenwart liefert und das sie nach all den Jahren der Verdrängung vor die Wahl stellt und eine Entscheidung erzwingt. 
Die Geschichte zeigt, wie viele Jahre ungelöste Konflikte und unverarbeitete Traumata schwelen und die Gegenwart beeinflussen können. Es stellen sich Fragen nach Verantwortung und Gerechtigkeit, Schuld und Sühne. 
Der Roman ist eindringlich, stellenweise brutal und wird mir dabei phasenweise zu nüchtern erzählt. Zudem empfand ich den Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit oft zu sprunghaft und ich konnte mich auf beiden Zeitebenen nur schwer in Elle oder ihre Mutter Wallace hineinversetzen und ihr Handeln nachvollziehen. Die Geschichte fesselt durch den lebendigen Schreibstil und die direkten Dialoge und markigen Lebensweisheiten von Mutter Wallace, jedoch fand ich nicht ganz schlüssig, warum sich Elle ausgerechnet in diesem Sommer im Papierpalast ihren Dämonen der Vergangenheit stellt. 

Montag, 18. April 2022

Buchrezension: Marianne Cronin - Die hundert Jahre von Lenni und Margot

Inhalt:

Das Leben ist kurz. Niemand weiß das besser als die siebzehnjährige Lenni. Sie leidet an einer unheilbaren Krankheit, die ihr nicht mehr viel Zeit lässt. Was soll sie mit gleichaltrigen Freunden, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben? Was soll sie anfangen mit der ihr verbleibenden Zeit, wenn sie noch so viele Fragen hat, die das Leben ihr nie beantworten wird? 
In einem Malkurs im Krankenhaus trifft sie auf Margot: dreiundachtzig, voller Lebenserfahrung, Witz und Widerspenstigkeit. Margot weiß, wie es ist, im letzten Kapitel des Lebens angekommen zu sein. Als sie entdecken, dass sie zusammen genau einhundert Jahre gelebt haben, fühlt es sich für Lenni an wie ein Weckruf. Sie wollen gemeinsam Bilder malen – für jedes ihrer hundert Jahre eins. Für all die kostbaren Momente, voller Liebe, Lachen und Weinen, voller Erinnerungen, von denen sie sich gegenseitig erzählen. 
Und auch wenn ihre gemeinsame Geschichte sich dem Ende neigt, spüren sie doch umso mehr, dass im Leben jeder Moment zählt, bis zum letzten Augenblick. 

Rezension: 

Lenni ist erst 17 Jahre alt und todkrank. Sie befindet sich in einem Krankenhaus in Glasgow und obwohl sie nicht gläubig ist, sucht sie täglich die Krankenhauskapelle auf, um mit Pater Arthur zu sprechen. Lenni hat das Gefühl, dass ihre Zeit noch nicht abgelaufen ist und möchte wissen, warum sie sterben muss. Auch wenn ihr der Priester ihre drängenden Fragen nicht zufriedenstellend beantworten kann, tun ihr die Gespräche in dem eintönigen Alltag gut. 
Auf der Krankenstation wird Lenni während eines peinlichen Moments auf die ältere Dame Margot aufmerksam. Die beiden begegnen sich in einem Malkurs wieder und Lenni besteht sodann darauf, den Kurs für die Ü 80-Jährigen belegen zu dürfen. Lenni und Margot, die wegen einer Herzerkrankung ebenfalls nicht mehr lange zu leben hat, stellen fest, dass sie zusammen 100 Jahre alt sind und beschließen, für jedes Jahr ihres Lebens ein Bild zu malen. Sie möchten die Welt nicht ohne etwas zu hinterlassen, verlassen. Während des Zeichnens erzählen sie sich gegenseitige ihre Geschichten dazu, wobei Margot aufgrund ihres Lebensalters naturgemäß viel mehr zu berichten hat, als Lenni. Neben den Besuchen in der Kapelle werden auch die Malstunden für Lenni zu einer festen Größe, die sie trotz des fortschreitenden Verlaufs ihrer Krankheit versöhnlicher stimmen. 

"Die hundert Jahre von Lenni und Margot" ist ein Buch über den Tod, aber auch über das Leben. Die Handlung erstreckt sich über mehrere Monate in einem Glasgower Krankenhaus und nur durch die Erzählungen und Rückblenden in die Vergangenheit von Lenni und Margot wird man an andere Orte versetzt. 
Lenni ist ein ambivalentes Mädchen. Einerseits wirkt sie mit ihrem Kuscheltier und ihrem rosa Schlafanzug wie ein kleines Kind, andererseits zeigt sie sich in vielen Gesprächen so reif wie eine erwachsene Frau. Mit dem Tod kann sie sich nicht wirklich abfinden und hat deshalb viele Fragen. Ihre Wut ist spürbar, denn oft ist sie frech und ungehalten, aber ihr unvergleichbarer Charme macht vieles wett. Ohne Besuche von draußen ist sie im Krankenhaus ganz allein und freundet sich deshalb nicht nur mit dem Priester und Margot, sondern auch mit einem Teil des Pflegepersonals und dem Hausmeister an. 

Auch wenn die Geschichte in einem Krankenhaus handelt und der Tod gegenwärtig ist, spielen die Krankheiten und deren Behandlung keine wesentliche Rolle. Im Mittelpunkt stehen vielmehr die Beziehungen, die Lenni aufbaut. Dabei hatte ich mir von der Entwicklung der Freundschaft zwischen ihr und Margot mehr erwartet. Ihr Kontakt beschränkt sich auf die Erzählungen Margots, eine Interaktion zwischen den beiden findet kaum statt. Dabei hätten sowohl Lennis Erlebnisse aus ihrer Kindheit als auch Margots schicksalhafte Episoden die Chance für Rückfragen und tiefergehende Gespräche gelassen. Es ist spürbar, dass die beiden sich in der Nähe der anderen wohlfühlen, aber eine Freundschaft bedeutet noch mehr. 

Die Geschichte liest sich leicht und schnell möchte man mehr über Margots bewegtes Leben und die Gründe für Lennis einsamen Aufenthalt im Krankenhaus erfahren. Ihre Erzählungen bleiben jedoch im luftleeren Raum stehen, die Vergangenheit erhält keinen Bezug zur Gegenwart. Die Idee mit den Bildern und den zugehörigen Lebensgeschichten hat Symbolkraft, bleibt aber wie die Freundschaft der beiden Hauptfiguren zu oberflächlich. 

Das Buch ist allein schon angesichts des drohenden viel zu frühen Todes von Lenni anrührend und auch ihre kurze Lebensgeschichte hat wenig Positives. Dennoch konnte mich die Geschichte emotional nicht so mitreißen, wie ich es mir erhofft hatte. Die Botschaft von einer generationenübergreifenden Freundschaft und die Tatsache, dass Lenni in ihren letzten Lebensmonaten im Krankenhaus Halt und Frieden finde, stimmen nichtsdestotrotz versöhnlich und tröstlich. 

Samstag, 16. April 2022

Buchrezension: Abi Daré - Das Mädchen mit der lauternen Stimme

Inhalt:

Die vierzehnjährige Adunni weiß genau, was sie will: Bildung. Denn das ist der einzige Weg für ein nigerianisches Mädchen aus ärmlichen Verhältnissen, Unabhängigkeit zu erlangen und den eigenen Träumen ein Stück näherzukommen. 
Doch stattdessen verkauft sie ihr Vater als dritte Ehefrau an den deutlich älteren Morufu, damit sie ihm einen Sohn schenkt. Adunni flieht nach Lagos, in der Hoffnung, dort in die Schule gehen zu können. Aber auch hier scheint sie zunächst kein Glück zu haben. 

Rezension: 

Nach dem Tod ihrer Mutter durfte Adunni nicht mehr zur Schule gehen. Dabei hatte diese ihrer Tochter stets gepredigt, das Bildung die einzige Chance für eine bessere Zukunft ist. Stattdessen verkauft ihr Vater Adunni im Alter von 14 Jahren als Drittfrau an einen deutlich älteren Mann. In seinem Haus freundet sie sich zwar mit der Zweitfrau von Morufu an, leidet jedoch unter den Schikanen der Erstfrau und der Gewalt und den Übergriffen ihres Ehemanns, der unbedingt einen männlichen Nachkommen möchte. 
Nach einem schrecklichen Ereignis flieht Adunni nach Lagos, wo sie eine Anstellung als Hausmädchen bei Big Madam bekommt. Doch auch dort gehen die Schikanen weiter und Adunni ist der Gewalt der tyrannischen Hausherrin ausgesetzt. Unerschütterlich hält Adunni jedoch an ihrem Vorhaben fest, zur Schule gehen und Lehrerin werden zu können, um allen Kindern die Chance auf Bildung zu ermöglichen. 

Adunni ist ein Mädchen vom Stamm der Yoruba aus dem Dorf Ikati im Südwesten Nigerias Sie ist einerseits ein intelligentes, ehrgeiziges Mädchen, andererseits aber auch erschreckend naiv, da sie bis zu ihrer Flucht in die Großstadt Lagos nur das Dorf Ikati kannte, das von Armut geprägt ist. Adunni Gedanken sind in einer einfachen Sprache verfasst. Die Autorin verwendet auch grammatikalische Fehler in Adunnis Ausdrucksweise, um ihren mangelnden Bildungsstand zu verdeutlichen. Dabei übertreibt sie nicht - das Buch ist ohne Probleme lesbar, auch afrikanische Worte oder Wortneubildungen von Adunni erschließen sich aus dem Kontext. 

Adunnis Geschichte ist bewegend, denn sie ist nur eine von vielen. Der Roman zeigt deutlich auf, welchen Stand die Frauen insbesondere in den ärmeren Gegenden in der nigerianischen Gesellschaft haben und wie enorm der Unterschied zwischen Arm und Reich ist. Geschickt baut die Autorin durch Adunnis Wissbegier Fakten über Nigeria ein, die interessante Hintergründe liefern und zum Verständnis der Geschichte beitragen. 
Es ist erschreckend zu lesen, dass Nigeria eines der reichsten Länder in Afrika ist und dass dennoch so viele Menschen in Armut und Dreck leben. Die Beschreibungen von sanitären Einrichtungen und der mangelnden Hygiene sind dabei sehr bildhaft und eindrücklich. Auch der Aberglaube, der unter den Menschen herrscht, wirkt wie aus einer vergangenen Zeit und nicht wie Leben im Jahr 2015. 

Die Geschichte ist voller Brutalität, Gewalt und psychischen und physischen Misshandlungen und oft wünscht man sich, Adunni würde den Mund halten, um in ihrer Einfalt nicht noch mehr Schläge zu provozieren. Doch Adunni behält ihre "lauterne" Stimme und verliert ihr Ziel, sich weiterzubilden und zur Schule zu gehen, nicht aus den Augen. 

Trotz der schwierigen Ausgangslage und der Chancenlosigkeit durch Zwangsheirat und Arbeit, die an Sklaverei grenzt, macht die Geschichte Mut und zeigt, dass ein Ausweg möglich ist, wenn man genügend Kraft hat, nicht aufzugeben. Adunni hat Glück und findet immer ein wenig Unterstützung, so dass sich neue Wege aufzeigen. Auch in Nigeria ist die Welt nicht Schwarz-Weiß. Unter den reichen Menschen in Lagos sind auch Menschen, die ihr Personal anständig behandeln und sich für Chancengleichheit und Gerechtigkeit einsetzen, was der Geschichte einen Hoffnungsschimmer gibt, genauso wie Adunnis grenzenloser Optimismus, dass der morgige Tag ein besserer wird. 

Adunnis Geschichte ist fiktiv. Sie steht jedoch stellvertretend für alle Mädchen in Nigeria, die aus armen Verhältnissen stammen, Gewalt und Willkür ausgesetzt sind und ohne Schule oder den Einfluss andere gebildeter Frauen, nie auch nur begreifen können, welche Rechte ihnen zustehen und welche Möglichkeiten sich ihnen durch Lesen, Schreiben und kulturelle Bildung ihnen offenstehen. 
Es ist ein Buch, das das Augenmerk auf die Situation von Mädchen Frauen in Nigeria lenkt und die Botschaft verbreitet, die Stimme zu erheben - denn Bildung ist ein Fundament für eine bessere Zukunft und der wirksamste Weg gegen Armut und davon sollte eine Hälfte der Bevölkerung nicht ausgeschlossen werden. 

Freitag, 15. April 2022

Buchrezension: Anna McPartlin - Warten auf ein Wunder

Inhalt:

Dublin, 2010. Caroline glaubt, alles verloren zu haben: den Traum, Mutter zu werden, und darüber auch ihre Ehe. Eine Selbsthilfegruppe führt sie mit drei verwandten Seelen zusammen: Natalie, deren Lebensgefährtin keine Kinder möchte. Janet, die von ihrem Mann betrogen wird. Und die toughe Ronnie, die ihre Geschichte nicht preisgeben mag.
Cork, 1976. Catherine ist 16 und schwanger - die Tochter des Schweinebauern schwanger vom Sohn des Richters, ein Skandal. Als sie in ein wahrhaft furchtbares Heim für ledige Mütter gebracht wird, will Catherine nur eines: ihr Kind retten - und behalten. Und sie weiß bald, dass sie dafür alles riskieren muss. 

Rezension: 

Nach vielen erfolglosen Kinderwunschbehandlungen muss Caroline sich damit auseinandersetzen, dass sie nie ein eigenes Kind bekommen wird. Ihre Ehe ist an ihren Anstrengungen zerbrochen und auch zu ihren Schwestern, die problemlos Kinder in die Welt setzen können, hat sie den Kontakt verloren. Halt gibt ihr eine Selbsthilfegruppe mit Frauen, die wie sie ungewollt kinderlos sind. Janet hatte bereits zahlreiche Fehlgeburten und die Befürchtung, dass ihr Ehemann sie betrügt. Natalie möchte unbedingt ein Kind, hat jedoch nicht damit gerechnet, dass ihre Freundin gar keinen Kinderwunsch verspürt. Ronnie ist mutter- und kinderlos und hat für sie alle ein offenes Ohr, kann jedoch nicht über ihre eigene Geschichte sprechen. 
Knapp 35 Jahre zuvor ist die 16-jährige Catherine schwanger und wird gezwungen, ihr Baby in einem von Nonnen geführten Mutter-Kind-Heim zur Welt zu bringen. Sie darf ihr Kind nicht behalten und wird von ihren Eltern verstoßen. In Dublin baut sie sich ungebrochen ein neues Leben auf und hält unverdrossen an ihrem Plan fest, ihre kleine Daisy wiederzufinden. 

"Warten auf ein Wunder" ist ein Roman, der auf zwei Zeitebenen handelt. In den 1970er-Jahren ist er aus der Perspektive von Catherine geschrieben, die mit viel Glück und einem faszinierenden Kampfgeist einem Mutter-Kind-Heim entkommen konnte, in dem sie ausgerechnet von Nonnen körperlich und seelisch drangsaliert wurde und der ihr ihr geliebtes Baby entrissen wurde. 
In der Gegenwart im Jahr 2010 wechseln die Perspektiven zwischen Caroline, Janet und Natalie, die sich in einer Selbsthilfegruppe in Dublin kennenlernen. Sie alle verbindet ein unerfüllter Kinderwunsch, was die Frauen inklusive der geheimnisvollen Ronnie zu Freundinnen werden lässt. 
Ohne sich in zu vielen medizinischen Details zu verlieren, sind die Schicksale der Frauen authentisch geschildert. Die seelischen und körperlichen Leiden sind spürbar und auch die Auswirkungen der Strapazen einer (erfolglosen) Kinderwunschbehandlung auf Beziehungen, Freundschaften, Familie, Selbstbewusstsein und die Rolle als Frau sind einfühlsam und nachvollziehbar dargestellt. Die Frauen der Selbsthilfegruppe haben alle dasselbe Ziel, aber unterschiedliche Hintergründe und Ausgangspositionen, was die Geschichte abwechslungsreich gestaltet. Bewegend ist zu lesen, unter welchen Belastungen sie leiden und wie der Kinderwunsch zur Besessenheit werden und das ganze Leben einnehmen kann. Gleichzeitig ist verständlich, dass sie trotz gescheiterter Versuche nie die Hoffnung aufgeben und jede auch noch so kleine Chance nutzen möchten, ihren Wunsch Wirklichkeit werden zu lassen. Was sie sich und anderen damit antun, merken sie damit oft viel zu spät. 

Eine ganz andere Geschichte ist die von Catherine, die jedoch auch an einem schier aussichtslosen Wunsch festhält und damit ihr Leben stark einschränkt. Es ist faszinierend, wie schnell das Schweinebauernmädchen zu einer jungen Frau heranreift und wie viel Kraft und Ehrgeiz sie mobilisieren kann. Ihr drängendster Wunsch schwelt stets im Hintergrund, während sie ihr neues Leben in Dublin aufbaut. Dabei ist die Reise in die 1970er-Jahre sehr unterhaltsam, was auch an den bunten Figuren liegt, die Catherine kennenlernt und die sie warmherzig aufnehmen. 

Mir ist schleierhaft, warum der Roman im englischsprachigen Raum als "funny novel" beworben wird, denn diese Beschreibung trifft es nicht wirklich. Dazu beschreibt die Geschichte viel zu viele bewegende Schicksale und zu viele traurige Ereignisse. Durch den einfühlsamen Schreibstil, die liebevollen Beschreibungen der Charaktere, die Freundschaften und der Zusammenhalt, die sich auf jeweils auf beiden Zeitebenen entwickeln, ist der Roman jedoch auch nicht deprimierend, sondern hoffnungsvoll. Es ist eine dramatische Geschichte, die zu Herzen rührt und die lebensnah und glaubwürdig erzählt wird. Jedes der Schicksale ist auf seine Weise einnehmend und erhält in dem Roman genügend Raum zur Entfaltung.
Auch wenn Catherine im Vergleich zu anderen Büchern, die ich bereits über irische Mutter-Kind-Heime gelesen habe, viel Glück hatte, finanzielle Probleme bei den Kinderwunschbehandlungen komplett ausgeklammert wurden und die Verbindung der beiden Handlungsstränge für meinen Geschmack zu offensichtlich war, hat mir der Roman aufgrund seiner Authentizität und der sehr realistischen Darstellung von Wunsch und Wirklichkeit von Kinderwunschbehandlungen sehr gut gefallen. Auch das Ende, das ohne rührselige Happy-End-Momente auskommt, ist stimmig und passt zu der lebensechten Geschichte, in der die Autorin sicher auch ihre eigenen Erlebnisse verarbeitet hat. 

Mittwoch, 13. April 2022

Buchrezension: Colleen Hoover - Summer of Hearts and Souls

Inhalt:

Von der Trailersiedlung in die Welt der Rich Kids: Nach dem Tod ihrer Mutter bleibt der 18-jährigen Beyah nichts anderes übrig, als zu ihrem Vater zu ziehen. Dem Vater, den sie kaum kennt und der mit seiner neuen wohlhabenden Familie auf einer Halbinsel vor der texanischen Küste lebt. Wider Erwarten birgt die Welt der Schönen und Reichen mehr Überraschungen, als Beyah je gedacht hätte. Speziell Sunny Boy Samson scheint Abgründe in sich zu tragen, die ihr gar nicht so unbekannt vorkommen. 

Rezension: 

Beyah ist in einem Trailerpark in Kentucky bei ihrer drogensüchtigen Mutter aufgewachsen. Als diese an einer Überdosis stirbt, kontaktiert Beyah ihren Vater, den sie kaum kennt. Sie zieht über den Sommer zu ihm nach Texas um die Zeit bis zur Aufnahme im College zu überbrücken. 
Schon auf der Überfahrt auf die Halbinsel lernt sie den Nachbarn ihrer Eltern, Samson, kennen, der sie als armes Mädchen offenbar bemitleidet und helfen möchte. Ihr ist die Begegnung peinlich und sie missversteht ihn, doch schon bald nähern sie sich an, da sie beide eine grundsätzliche Traurigkeit umgibt, wodurch sie auf einer Wellenlänge sind. Samson birgt jedoch Geheimnisse und ist offenbar nicht der reiche Sunnyboy, der er vorgibt zu sein. Beyah, die inzwischen Gefühle für ihn entwickelt hat, kann nicht glauben, dass sie sich so in ihm getäuscht haben könnte. 

"Summer of Hearts and Souls" ist ein Jugendroman, denn die Protagonisten wirken in ihrem Verhalten jünger als sie sind. Die Geschichte beginnt in dem heruntergekommenen Trailerpark, wo Beyah ihre Kindheit und Jugend verbracht hat, wo sie vernachlässigt wurde und Hunger leiden musste. 
Die Strandhaussiedlung bei ihrem Vater dazu ein extremer Gegensatz. Beyah trifft neben ihrem Vater auf seine neue Frau Alana und deren Tochter Sara. Beide nehmen sie herzlich und ohne Vorbehalte auf. Beyah ist zunächst misstrauisch ob der Fürsorge, die sie nicht kennt, fühlt sie jedoch bald wohl und verbringt wunderschöne Sommertage am Strand, wo sie Nachbar Samson immer näher kommt. 
Die beiden wissen, dass ihnen nur ein Sommer bleibt, bevor sich ihre Wege trennen und die möchten sie nutzen. Beide haben eine Vergangenheit hinter sich, die sie geprägt hat und die sie von den anderen Menschen um sie herum unterscheidet, die bisher nur Sonnenschein erfahren haben. Samson bleibt jedoch verschlossen und möchte Beyah erst am Ende des Sommers offenbare, welche düstere Geheimnisse er birgt. 

Die Geschichte hatte viel Potenzial und der Anfang hat mir gut gefallen. Sie trat jedoch lange auf der Stelle und entwickelte sich nur zögerlich weiter. Die Handlung war im Mittelteil zu wenig ereignisreich und stellte mehr auf die etwas belanglose Freizeitgestaltung der jungen Erwachsenen ab. Es ist damit zwar mit Tagen am Strand, Feuerwerk, Schwimmen, Relaxen und des sorgenfreien Reichtums ein schönes Sommerbuch, aber auch etwas eintönig. Zudem sind die Nebencharaktere eindimensional und tragen zur Handlung nicht viel bei. 

In Bezug auf Beyahs Vergangenheit findet keine Aufarbeitung statt, sie wird nach ihrer Ankunft in Texas völlig in den Hintergrund gedrängt. Im Vordergrund steht die Beziehung zu Samson und das Mysterium, das ihn umgibt. Das verleiht den Buch eine gewisse Spannung, war mir aber insgesamt zu wenig. Statt sich Problemen zu widmen, die die jungen Menschen beschäftigen und die sie so sehr beschädigt haben, gibt es für den Hauch Erotik ein paar Sexszenen, auf die ich hätte verzichten können. Die Liebesgeschichte entwickelt sich schnell, bleibt aber durch das gemeinsame Schicksal von Beyah und Samson erklärbar, denn beide verbindet mehr, als sie denken.  

Bei aller Kritik an der etwas flachen Handlung, bleibt aber schön zu sehen, wie Beyah zum ersten Mal in ihrem Leben sieht, was eine Familie aufmacht und selbst ein Stück Geborgenheit, Wertschätzung und Liebe zu erfahren. 
"Summer of Hearts and Souls" ist ein Buch über ein Mädchen, das die Chance auf einen Neuanfang erhält und ist besonders für jugendliche Leser*innen geeignet, die dramatische Liebesgeschichten mögen. 

Montag, 11. April 2022

Buchrezension: Sebastian Fitzek - Der Augenjäger (Augen-Reihe, Band 2)

Inhalt:

Dr. Suker ist einer der besten Augenchirurgen der Welt. Und Psychopath. Tagsüber führt er die kompliziertesten Operationen am menschlichen Auge durch. Nachts widmet er sich besonderen Patientinnen: Frauen, denen er im wahrsten Sinne des Wortes die Augen öffnet. Denn bevor er sie vergewaltigt, entfernt er ihnen sorgfältig die Augenlider. Bisher haben alle Opfer kurz danach Selbstmord begangen.
Aus Mangel an Zeugen und Beweisen bittet die Polizei Alina Gregoriev um Mithilfe. Die blinde Physiotherapeutin, die seit dem Fall des Augensammlers als Medium gilt, soll Hinweise auf Sukers nächste „Patientin“ geben. Zögernd lässt sich Alina darauf ein - und wird von dieser Sekunde an in einen Strudel aus Wahn und Gewalt gerissen. 

Rezension:

"Der Augenjäger" ist Band 2 der "Augen-Reihe" und schließt unmittelbar an "Der Augensammler" an, der mit einem ungewissen Ende um den Sohn des ehemaligen Polizeipsychologen Alexander Zorbach ende. Vorkenntnisse des ersten Bandes sind deshalb sehr hilfreich, worauf auch Sebastian Fitzek in einem Vorwort hinweist.

Der Thriller beginnt eher gemächlich und gliedert sich dann bald in zwei Erzählstränge. Denn einerseits wurde der Augensammler bisher nicht gefasst und Zorbach sinnt nach Vergeltung, andererseits gibt es mit dem Augenjäger einen weiteren Psychopathen, der es auf Alina Gregoriev abgesehen hat, das Medium, das Zorbach in Band 1 unterstützt hat.
Beide Perspektiven sind zunächst spannend und gefährlich für die Hauptfiguren, werden aber mit der Zeit langatmig erzählt, denn sie stagnieren und es gibt wenig neue Begebenheiten.
Wie von Fitzek gewohnt, ist der Plot blutrünstig, wirkt aber auch ein wenig trashig und mutet nach Effekthascherei an. Dieser Band ist ruhiger erzählt, da insgesamt weniger Bewegung ist, erscheint aber realistischer als Band 1, da mir dort die Rolle des Mediums zu weit hergeholt war und in Band 2 mehr auf die Motive der Täter eingegangen wurde. Als Leser hat man jedoch keine Chance, die Zusammenhänge zu durchschauen und die Täter zu überführen, was einen etwas bitteren Nachgeschmack hinterlässt. 
Letztlich ist spannend, wie die beiden Erzählstränge zusammenhängen und ob Augensammler und Augenjäger überführt werden. Dafür sollte man jedoch "Playlist" noch nicht gelesen haben.
Insgesamt ist es ein solider Psychothriller, aber alles in allem etwas übertrieben blutig und am Ende zieht sich die Handlung arg dahin. Die zahlreichen Wendungen waren für meinen Geschmack sowie die stetigen Cliffhanger am Ende der Kapitel, die den Lesefluss immer wieder unterbrachen, als zwischen den Perspektiven gewechselt wurde, zu viel des Guten. Zudem störte mich auch bei dem Nachfolger, dass die Hauptcharaktere schon fast Übermenschliches leisten müssen und zu heldenhaft wirken, während die Täter als überlegene, skrupellose Psychopathen dargestellt werden. Wer den ironisch-blutrünstigen Schreibstil von Fitzek mag und die kreativen Abgründe der Wahnsinnigen spannend findet, wird an diesem Roman seine Freude haben. 

Samstag, 9. April 2022

Buchrezension: Katja Keweritsch - Die wundersame Reise der Bienen

Inhalt:

Anna hat ihren Urlaub an der sonnigen Côte d’Azur gerade beendet und will zurück nach Hamburg reisen. Als sich die Türen des Flugzeugs schließen, hat sie eine Panikattacke und verlässt fluchtartig die Maschine. Wie soll sie jetzt nach Hause kommen? Bus und Bahn scheiden aus, denn auch dort wäre sie eingesperrt und könnte nicht jederzeit aussteigen. Schließlich registriert sie sich bei der Mitfahrzentrale - und lernt Harm kennen. Er ist auf dem Rückweg von Südfrankreich nach Kiel. In seinem Gepäck: Bienenköniginnen. Er nimmt Anna mit und gemeinsam machen sie sich auf zu einem emotionalen Roadtrip, der völlig anders endet als erwartet. 

Rezension: 

Nach einer Woche Urlaub an der Côte d'Azur mit ihrem Freund Christopher, der ihr am letzten Abend überraschend einen wenig romantischen Heiratsantrag gemacht hat, befindet sich Anna im Flugzeug nach Hamburg und erleidet vor dem Start eine Panikattacke. Anna bleibt in Nizza, während Christopher wegen eines wichtigen geschäftlichen Termins nach Hamburg zurückreist. 
Über die Mitfahrzentrale findet Anna den gleichaltrigen Harm, der sie auf seiner Tour durch Südfrankreich zumindest ein Stück mitnehmen kann, denn selbst Bus und Bahn erscheinen für Anna als Transportmittel unmöglich. 
Auf ihrer kurzen gemeinsamen Reise lernen sie sich näher kennen, obwohl sie nicht einmal die vollständigen Namen voneinander wissen. Harm berichtet Anna von seinem schweren Verlust und warum er deshalb mit mehreren Bienenköniginnen unterwegs ist, um sie von Kiel zu Imkern in Frankreich zu bringen, während Anna darüber nachdenkt, was ihr Körper ihr mit den Panikattacken sagen möchte. 
Die Reise endet abrupt, beide gehen wieder getrennter Wege in Norddeutschland, können den anderen aber nicht ganz vergessen, obwohl sie beide mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen haben. Harm hat auf seiner Abschiedsreise nicht das gefunden, was er suchte und möchte sich eine erneute Auszeit nehmen, während Annas Leben in Hamburg völlig aus den Fugen zu geraten scheint und ihr Freund sie nicht wiedererkennt. 

Der Roman ist aus den wechselnden Perspektiven von Harm und Anna geschildert, wobei das Hauptaugenmerk auf Anna liegt, deren Geschichte im Gegensatz zu Harms aus der Ich-Perspektive erzählt wird. Anna steht man dadurch unweigerlich näher und kann ihre widerstreitenden Gefühle, ihre Unsicherheit und die Fragen, die sie sich stellen muss, besser verstehen. 
Beide sind unterschiedliche Charaktere, die ungleiche Leben führen. Während Harm hemdsärmelig ist und ihm Umweltthemen ein Anliegen sind, ist Anna das luxuriöse, oberflächliche Leben ihres Freundes gewöhnt, dem sie sich angepasst hat. Dennoch ist eine Verbindung zwischen ihnen Spürbar, insbesondere je intensiver sie sich auf ihrer gemeinsamen Reise kennenlernen. 

"Die Reise der Bienen" ist mehr als ein sommerlicher Roadtrip durch Südfrankreich, denn das Buch geht danach noch weiter. Der erste Teil führt durch wunderschöne Landschaften, die bildhaft beschrieben werden - von der Côte d'Azur, über Flaumeichenwälder in der Provence, mit Halt an Seen und Lavendelfeldern hinzu pittoresken Orten, wo Anna und Harm die Gastfreundschaft der Einwohner genießen. Der zweite Teil handelt in Hamburg und Schleswig-Holstein und setzt sich noch intensiver mit den inneren Dämonen auseinander, weshalb dieser genauso authentisch, aber noch abwechslungsreicher und unterhaltsamer ist. 

Feinfühlig wird Annas Prozess auf der Suche nach Antworten auf ihre Panikattacken beschrieben. Aus dem ungewöhnlichen Roadtrip wurde ein Weg zur Selbstfindung, denn sie hat die Panikattacken als Warnung ihres Körpers und ihrer Seele verstanden und nach Ursachen gesucht, warum sie sich so gefangen fühlt und in Triggersituationen immer wieder panische Angst empfinden, keinen Ausweg zu haben. 
Durch Rückblicke in die Vergangenheit und den Vergleich zu ihrer gegenwärtigen Lebenssituation sowie den Entschluss, aus ihrem Korsett auszubrechen, wird die Geschichte am Ende schlüssig und gibt Denkanstöße, selbst den Mut zu finden aus festgefahrenen Strukturen auszubrechen, um wieder mehr bei sich zu sein, ein gefälligeres, passenderes Leben zu führen und seine eigenen Bedürfnisse nie ganz aus den Augen zu verlieren. 

Freitag, 8. April 2022

Buchrezension: Sylvia Deloy - Gemeinsam ist man besser dran

Inhalt:

Tilda kann es nicht fassen: Erst soll ihr gemeinnütziger Flohmarkt dem noblen Neubaugebiet nebenan weichen, dann schnappt ihr Noah Berger, ehemaliger Soap-Darsteller und Möchtegernrapper, auch noch die neuen Räumlichkeiten vor der Nase weg, um dort ein Theater zu eröffnen. Doch so schnell gibt Tilda sich nicht geschlagen, erst recht nicht von einem schnöseligen Schauspieler! Bald jedoch zeigt sich, dass sie nur gemeinsam gewinnen können. Aber wie finden zwei Menschen zusammen, die rein gar nichts verbindet? 

Rezension: 

Tilda Bachmann ist Schreinermeisterin und hat sich mit "Flea Market" selbstständig gemacht und einen gemeinnützigen Flohmarkt in der Kölner Südstadt aufgebaut, wo sie günstig restaurierte Möbel und Utensilien aus Haushaltsauflösungen verkauft. Als das Gelände geräumt werden soll, versucht sie ein ehemaliges Theater als neuen Standort anzumieten, das ihr jedoch von Ex-Soapdarsteller Noah Berger weggeschnappt wird, der das Theater wieder eröffnen möchte. Tilda steht vor dem Nichts, sorgt sich um die Zukunft des "Flea Market" und die ihrer Angestellten und wird zu dem noch von ihrer acht Jahre jüngeren Schwester Mia auf Trab gehalten, für die sie sich als Elternersatz verantwortlich fühlt. 
Nur wenige Monate bleiben, um den Flohmarkt zu retten und plötzlich ist auch unverhofft Noah an Tildas Seite, der sich doch nicht als so arrogant und piefig herausstellt, wie Tilda zunächst angenommen hat. 

Wie von Sylvia Deloy gewohnt, hat die Autorin in diesem Roman wieder viel Kölner Lokalkolorit verarbeitet. Als Leser*in begleitet man die 26-jährige Tilda durch ihre Heimatstadt und hat die Straßenzüge durch die Beschreibungen direkt vor Augen. 
Trotz der angespannten Lage wegen der Mietkündigung des Flea Market ist die Atmosphäre sommerlich-leicht, was insbesondere an den besonderen Nebencharakteren liegt, die die Geschichte liebenswert chaotisch und humorvoll turbulent gestalten. Tildas Mitbewohner in der WG und ihre Angestellten sind individuell und etwas skurril, haben aber wie die fürsorgliche Tilda ihr Herz auf dem rechten Fleck. 

Die Geschichte handelt von der Rettung des von Tilda aufgebauten gemeinnützigen Flohmarkts, der für sie, ihre Angestellten und Kunden eine Heimat und ein fester Anker ist. Es ist schön zu sehen, wie Tilda, ihre Angestellten und Freunde wie eine Familie zusammenhalten und gemeinsam versuchen, dem Flea Market durch mediale Aufmerksamkeit und eifrige Weiterarbeit zu einer Zukunft zu verhelfen. 

Die Liebesgeschichte ist etwas klischeehaft aufgebaut - nach einem schwierigen Start und kleinen Streitereien finden sich Noah und Tilda doch mehr als sympathisch und verlieben sich dann recht schnell ineinander. Missverständnisse und erneute Konflikte folgen, so dass das Happy End erwartungsgemäß hinausgezögert wird. 
Ob und wie der Flea Market noch gerettet werden kann, bleibt jedoch spannend, denn eine einfache Lösung scheint nicht in Sicht. 

Wie der Titel bereits beschreibt, ist zusammen vieles leichter. Es ist ein Roman über Freundschaft und Zusammenhalt, über gegenseitige Fürsorge, Toleranz und Nächstenliebe. Das Buch handelt von schwierigen und belastenden Themen wie Gentrifizierung, Obdachlosigkeit, Vernachlässigung und schwierigen Kindheiten. Dabei wird jedoch nicht auf die Tränendrüse gedrückt. Die Geschichte bleibt trotz aller Probleme mit der Hoffnung auf ein versöhnliches Ende und einen neuen Anfang leicht zu lesen. Eine allzu tiefsinnige und wendungsreiche Geschichte darf man sich jedoch nicht erwarten. 

Mittwoch, 6. April 2022

Buchrezension: Helen Frances Paris - Das Fundbüro der verlorenen Träume

Inhalt:

Seit dem bitteren Verlust, der ihr Leben erschütterte, hat sich Dot von der Welt zurückgezogen. Sie vergräbt sich in ihrer Arbeit im Londoner Fundbüro und geht ganz in ihrem Job als Hüterin verlorener Dinge auf. Ihre größte Freude ist es, wenn sie jemandem einen vermissten Gegenstand wiedergeben kann. Denn hinter ihrer stachligen Fassade schlägt ein sehr großes Herz. Als ein bekümmerter älterer Herr in ihr Fundbüro kommt, der eine Tasche mit einem Andenken an seine verstorbene Frau darin verloren hat, setzt Dot alles daran, Mr. Applebys Tasche wiederzufinden. Dabei findet sie schließlich auch etwas, womit sie gar nicht gerechnet hätte: Sich selbst und ihr wirkliches Leben. 

Rezension: 

Dot hat den schmerzhaften Tod ihres Vaters, dem sie sehr nahe stand, nie verwunden. Seit Jahren quält sie sich mit Vorwürfen und einer nicht enden wollenden Trauer. Sie lebt ein zurückgezogenes, einsames Leben und konzentriert ihre ganze Leidenschaft auf die akribische Arbeit im Fundbüro der Londoner Verkehrsbetriebe. 
Als ein älterer Mann vorstellig wird, der seine Ledertasche mit dem Portemonnaie seiner Ehefrau verloren hat, ist es ihr ein Herzensanliegen, dass er sein Verluststück wiederbekommt. Als die Ledertasche tatsächlich nach mehreren Tagen im Fundbüro abgegeben wird, möchte Dot Mr. Appleby die glückliche Nachricht sofort unterbreiten, doch durch ein Büroversehen sind die von ihm hinterlegten Daten gelöscht. 
Schon als Kind hat Dot mit ihrem Vater zusammen gern Detektivin gespielt und ist in ihrem Ehrgeiz gepackt. Sie setzt alles daran, Mr. Appleby ausfindig zu machen und bewegt sich damit selbst aus ihrer Komfortzone und den Mauern, die sie um sich errichtet hat. 

Der Roman beginnt durch die Beschreibung von Dots Alltag im Fundbüro und durch die reine Aufzählung der Archivierung von Gegenständen etwas langatmig. Es fehlt ein Bezug zu den Geschichten hinter den Gegenständen und den Menschen, die sie verloren haben oder die sie suchen, weshalb die Handlung bis zu diesem Zeitpunkt etwas blutleer wirkt. 
Erst als man Dot näher kennenlernt und begreift, weshalb sie sich hinter ihrer Arbeit verkriecht und was sie so traurig macht, wird die Geschichte - auch durch Dots etwas unorthodoxes Verhalten - lebendiger und Dot selbst nahbarer. 
Es bleibt jedoch unverständlich, warum ihr im Vergleich zu den anderen Kunden ausgerechnet der Verlust von Mr. Applebys Ledertasche so nahegeht. Die äußeren Umstände und die Folgen ihres Verhaltens geben jedoch zumindest eine Erklärung, warum sie sich letztlich auf die Suche nach Mr. Appleby macht, denn außer ihrer Arbeit, ihrer Mutter, die sie aufgrund ihrer Demenz nicht mehr erkennt und ihrer putzwütigen älteren Schwester hat Dot keinen anderen Lebensinhalt, als sich in Reiseführern zu vertiefen und von der weiten Welt zu träumen. 
Durch die Suche nach Mr. Appleby begibt sie sich selbst auf eine Reise und findet dadurch auch wieder zu sich selbst. Sie fühlt sich an ihre alten Träume aus Studientagen erinnert und begreift, dass sie diese leben kann. 

"Das Fundbüro der verlorenen Träume" lenkt mit dem Titel und dem Klappentext auf verlorene Gegenstände, tatsächlich liegt der Fokus des Romans weit mehr auf Dot, ihrer Trauer und ihrem Weg zu einem Neuanfang. 
Der Roman wird nach einer schwachen Anfangsphase durch Dots niedergedrückte Stimmung melancholisch, wozu auch ihre beklemmenden und hilflosen Besuche im Seniorenheim beitragen. Durch den Druck ihrer Schwester, die Maisonettewohnung ihrer Mutter zu verkaufen und einen übergriffigen neuen Vorgesetzen bricht Dot plötzlich mit alten Gewohnheiten und wird buchstäblich von den Geistern der Vergangenheit eingeholt. Diese schon fast wahnhaften Szenen gaben der Geschichte einen neuen Schwung und haben mir wie die bildhafte Sprache der Autorin, die sich vor allem in Bezug auf die verlorenen Gegenstände zeigt und Dots sensible Seite betont, gut gefallen. 

Der Roman ist warmherzig und die Geschichte hat ihren Charme, allerdings fand ich Dots Entwicklung etwas holprig und auch die vielen schwermütigen Themen - neben der Allgegenwart des Verlusts, auch Einsamkeit, Trauer, Depression, Suizid und Demenz - etwas viel für nur eine Protagonistin. Zudem nahmen die Aufhänger des Romans, das Fundbüro und Mr. Appleby, dessen Schicksal letztlich keine Rolle spielte, zu geringen Raum ein.