Freitag, 1. August 2025

Buchrezension: Federico Axat - Eine vorbildliche Tochter

Inhalt:

Die prominente Investigativjournalistin Camila Jones genießt ihren vorzeitigen Ruhestand. Auf der spärlich besiedelten Insel vor der Küste von North Carolina kehrt endlich die Ruhe in ihr Leben ein, die sie sich gewünscht hat. Eines Mittags aber steht ein Reporter der Lokalzeitung vor ihrer Haustür und bittet sie um Hilfe. In einer Kleinstadt auf dem Festland ist vor einigen Monaten die 14-jährige Sophia verschwunden. Selbstmord, vermutete die Polizei damals. Doch ihre Leiche wurde nie gefunden. Camilas Instinkt ist geweckt: Kann es sein, dass das Mädchen noch lebt? 

Rezension:

Die aus dem Fernsehen bekannte Investigativjournalistin Camila Jones hat sich aus der Öffentlichkeit zurückgezogen und versucht sich gerade mit ihrem Vorruhestand anzufreunden, als der Lokaljournalist Tim Doherty sie bittet, sich einem in seinen Augen ungeklärten Kriminalfall zu widmen. Vor zehn Monaten soll sich die 14-jährige Schülerin Sophia von einer Brücke gestürzt haben. Die Polizei geht von einem Selbstmord aus, wohingegen ihre Eltern und Freunde sich einen Suizid der hochintelligenten Schülerin nicht vorstellen können.
Tim und Camila vermuten einen Zusammenhang ihres Verschwindens mit einem Video, das ihre Freundin Janice in einer beschämenden Situation zeigt und in der Schule viral gegangen ist. Der Junge, der das Video aufgenommen hat, wurde zwei Monate nach ihrem Verschwinden tot aufgefunden und Janices Bruder als Tatverdächtiger verhaftet.

Erst verschwindet die Tochter spurlos oder soll Suizid begangen haben und Monate später stürzt ihre Mutter vom Balkon und liegt im Koma. Für die beiden Journalisten kann dies kein Zufall sein und der Arbeitseifer der bekannten Fernsehjournalistin ist wieder geweckt.

Der Thriller handelt auf mehreren Zeitebenen, wobei der Fokus in der Gegenwart auf den Recherchen von Camila Jones liegt, die den Ermittlungen der Polizei nicht traut und die Wahrheit hinter den Ereignissen der letzten Monate in Hawkmoon herausfinden möchte.
Die Vergangenheit geht mehrere Monate zurück und erzählt, was sich vor Sophias Verschwinden in einer Clique von Jugendlichen ereignet hatte, ohne zu offenbaren, was tatsächlich ursächlich für Sophias Verschwinden ist und die Frage zu klären, ob sie noch am Leben ist. Es geht um die erste Liebe und die Dynamik, die sich unter den Freunden entwickelt.
Beide Erzählebenen ergänzen sich und geben mehr Details über eine Kette von Handlungen preis, die bis zu einem Mord geführt haben.
Ab der Hälfte des Romans wird die Geschichte um eine weitere Perspektive ergänzt, die neue Fragen aufwirft.

Als Leser(in) hat man gegenüber den Journalisten einen Wissensvorsprung, was die Spannung jedoch nicht mindert. Geht man anfangs noch von der Eskalation von Streitigkeiten unter Jugendlichen aus, wird das Ausmaß der Machenschaften in der Kleinstadt, wer die Strippen dort zieht und welche Verbrechen sich dort ereignen, erst allmählich offensichtlich.

Der Psychothriller ist originell aufgebaut und sorgt durch den Wechsel aus gegenwärtigen und vergangenen Ereignissen für zahlreiche Mini-Cliffhanger, die "Eine vorbildliche Tochter" zu einem Pageturner machen.
Die Journalisten stehen in eine Wespennest unvorstellbaren Ausmaßes. Camila lässt sich weder leichtfertig mit Aussagen abspeisen noch sich von den Strippenziehern im Ort einschüchtern.
Die Geschichte ist durch immer neue Enthüllungen wendungsreich und spannend, wobei es immer komplexer wird, am Ende alle Puzzleteile zusammenzufügen. Es geht um die Herstellung von Gerechtigkeit, wobei die Helden zumal unkonventionelle Wege gehen.

Mittwoch, 30. Juli 2025

Buchrezension: Julia Holbe - Man müsste versuchen, glücklich zu sein

Inhalt:

Zwei ungleiche Schwestern treffen sich nach Jahren in ihrem Elternhaus wieder. Sie müssen sich entscheiden: verkaufen oder abfackeln? Ihre Zeitreise führt sie in die Kindheit voller verwunschener Hippie-Träume und mit dem alten, orangefarbenen R4 ihrer Mutter in die Bretagne. Bei Crêpes und Cidre unterm Sternenhimmel und einer Fahrt mit dem Boot des Vaters, die anderes endet, als geplant, werden sie von den Gesetzen ihrer chaotischen Familie eingeholt. - Ein Boot und ein Tisch, ein Fest und seine Gäste - und selbstbemalte Playmobilpferde: Manchmal ist das alles, was man braucht. Wären da nicht die großen Fragen des Lebens: Kann man sich alles sagen? Und sollte man das überhaupt? Warum könnte man nicht einfach nur versuchen, glücklich zu sein? 

Rezension: 

Nachdem beide Elternteile kurz hintereinander verstorben sind, kehrt Flora ein Jahr später in ihr Elternhaus zurück, um es auszuräumen und zu verkaufen. Zeitgleich kommt ihre jüngere Schwester Millie dort an, die sie seit Jahren nicht gesehen hat und die sich auch nicht um die alternden Eltern gekümmert hatte. 
Zuhause kommen Erinnerungen an die Eltern, die Großeltern und eine Kindheit auf, die wenig kindgerecht war. 
 
Der Roman wird ausschließlich aus der Perspektive von Flora geschildert, die zeitgleich mit ihrer "blöden Schwester" Millie in ihrem Elternhaus in Luxemburg ankommt und dort entrümpeln möchte. 
Die Erinnerungen Floras an ihre Kindheit sind sprunghaft und lassen keinen Zusammenhang erkennen. Willkürlich werden kindliche Erinnerungen episodenhaft aneinandergereiht, während sich in der gegenwärtigen Situation wenig ereignet. Es wird lamentiert, ohne sich auszutauschen, wobei es in den Betrachtungen auch zu Wiederholungen und Widersprüchen kommt. 
Auf eine Aussprache der beiden Schwestern und eine Erklärung, was zu der Entzweiung geführt hat, wartet man vergeblich. Die Dialoge sind von Nebensächlichkeiten und kindischen Geschwisterzwistigkeiten geprägt und teilweise muss man sich zusammenreimen, wer von beiden gerade spricht. 
 
Millie gibt häufig vor, sich nicht erinnern zu können, während Flora die Verantwortungslosigkeit der Eltern als belastend empfunden hat. Als Kinder hatten sie viele Freiheiten, aber dafür keinen Halt und Verlässlichkeit. Zudem war das Verhältnis der Eltern untereinander von Lügen und Geheimnissen geprägt. 
 
Die Charaktere bleiben trotz der übersichtlichen Anzahl blass und kaum vorstellbar. Die Schwestern sind Mitte 50, wirken aber in ihrem Verhalten deutlich jünger, Sympathien wecken beide nicht. Noch schlimmer ist Floras Tochter Lucie mit ihren altklugen Ratschlägen und Plattitüden. 
 
Von der "Reise zurück in eine verrückte Kindheit" hatte ich mir mehr versprochen. Witz und Melancholie habe ich in der Geschichte nicht gefunden. Durch die sprunghafte und lückenhafte Erzählweise ist die Geschichte über die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in einer Familie mit unkonventionellen, gleichgültigen Eltern wenig einnehmend und berührend. Es fehlt nicht nur der versprochene Witz, sondern auch jegliche Dramatik, Spannung und Sentimentalität. Die Charaktere bleiben unzugänglich, die Geschichte belanglos, langweilig und ohne roten Faden. 

Montag, 28. Juli 2025

Buchrezension: Holly Jackson - Not Quite Dead Yet

Inhalt:

In sieben Tagen wird Jet Mason tot sein.
Jet ist die Tochter einer der reichsten Familien in Woodstock, Vermont. Mit 27 Jahren wartet sie immer noch darauf, dass ihr Leben endlich beginnt. "Das kann ich später noch machen", sagt sie immer. Denn Jet hat Zeit. Bis zu jener Halloween-Nacht, als sie von einem unsichtbaren Eindringling brutal angegriffen wird. Dabei erleidet Jet eine schwere Kopfverletzung, und die Ärzte sind sich sicher: In spätestens einer Woche wird ein tödliches Aneurysma Jet umbringen. Jet hätte nie gedacht, dass sie Feinde hat. Doch plötzlich sieht sie alle Menschen in ihrem Umfeld in einem neuen Licht: ihre Familie, ihre ehemalige beste Freundin, die jetzt ihre Schwägerin ist, ihren Ex-Freund. Sie weiß, ihr bleiben höchstens sieben Tage. Tage, in denen sich ihr Zustand verschlechtert und nur Billy, ein Freund aus Kindertagen, an ihrer Seite ist. Dennoch ist sie fest entschlossen, endlich etwas zu Ende zu bringen: Jet wird ihren eigenen Mord aufklären.

Rezension: 

Jet Mason wird an Halloween im Haus ihrer Eltern brutal überfallen und so schwer verletzt, dass ihr die Ärzte aufgrund eines entstehenden Aneurysmas nur noch eine Woche Lebenszeit geben. Eine winzige Überlebenschance liegt in einer gefährlichen Operation, die Jet jedoch ausschlägt. Sie möchte in ihrem Leben endlich etwas erreichen und ihren "Mörder" finden. Während die Polizei Jets Exfreund JJ als Hauptverdächtigen im Visier hat, beginnt Jet zusammen mit ihrem Freund aus Kindheitstagen Billy in ihrem Umfeld zu recherchieren und sieht sich schon bald mit zahlreichen Ungereimtheiten konfrontiert, die vor allem ihr nahe stehende Personen verdächtig erscheinen lassen.

Holly Jackson ist bisher aus dem Jugendbuchgenre bekannt und "Not quite dead yet" vermittelt anfangs das Gefühl, einen Jugendthriller zu lesen. Die Hauptfigur Jet wirkt deutlich jünger als ihre 27 Jahre, verhält sie sich doch wie ein trotziges Kind. Aber als Todgeweihte hat sie auch nichts mehr zu verlieren, weshalb ihr Verhalten nicht gänzlich unrealistisch erscheint. Angesichts der Tatsache, dass sie einen Schädelbruch erlitten hat, ist jedoch erstaunlich stark und widerstandsfähig.

Der Plot seinen eigenen Mörder zu finden, ist originell und der Thriller spannend geschildert. Nach Aufdeckung so mancher Lüge und Manipulation kann Jet nicht einmal mehr ihren eigenen Familienmitgliedern vertrauen und hat nur noch ihren Freund Billy, der ihr treu ergeben ist. Sie muss das Motiv ihres Angreifers herausfinden, um den oder die Täterin zu stellen. Hat Jet sich selbst Feinde gemacht und hängt der Angriff mit dem Bauunternehmen ihres Vaters zusammen, das sich durch den Aufkauf von Grundstücken unbeliebt gemacht hat?

Durch viele geschickt platzierte falsche Fährten, ist der Thriller unheimlich wendungsreich und rückt immer wieder andere Personen aus Jets Umfeld in den Fokus ihrer Recherchen. Dabei scheinen gerade aus ihrer Familie einige etwas zu verbergen und Schuld auf sich geladen haben. Das erklärt jedoch noch lange nicht den Angriff auf Jet. 
Im Zuge der Tätersuche kommt es zu dramatischen und gefährlichen Szenen, die die Spannung hoch halten. Zudem werden im Laufe der Tages Jets Symptome schlimmer, was den Druck auf sie weiter erhöht und gleichzeitig schmerzhaft daran erinnert, dass ihre Tage gezählt sind. 
Welche einzelnen Faktoren letztlich zum Tatentschluss geführt haben, ist am Ende komplex, die Zusammenhänge werden jedoch schlüssig dargelegt. 

Freitag, 25. Juli 2025

Buchrezension: Joanna Glen - Weil es nicht anders sein kann

Inhalt:

Sol und Addie fühlen sich in der Natur wohler als unter Menschen. Doch als die beiden sich auf der windgepeitschten Insel Rokesby vor der Küste Englands zum ersten Mal begegnen, scheint mitten im Sturm alles stillzustehen. Sofort spüren sie, dass sie füreinander geschaffen sind, und wagen eine zaghafte Annäherung. Doch sie haben nicht mit der Wucht gerechnet, mit der die Vergangenheit über sie hereinbricht, und müssen hart dafür kämpfen, zusammen sein zu können – nicht nur gegen äußere Umstände, sondern manchmal auch gegen sich selbst. Woran sie sich festhalten, ist der Pakt, den sie schließen: Sie wollen wie zwei Papageientaucher sein. Denn auch wenn die Vögel einen großen Teil des Jahres getrennt von ihrem Partner leben, bleiben sie einander treu und finden doch immer wieder zueinander. 

Rezension:

Addie lebt zusammen mit ihrer Mutter auf der kleinen Insel Rokesby im Nordwesten Englands, wo sie ein Retreat für Frauen betreiben. Das Geschäftsmodell mit Yoga, Wellness und Meditation ist ein langgehegter Traum ihrer Mutter und Addie ordnet sich gefügig unter. Innerlich brodelt es in ihr und sie spürt, dass sie vom dort weg muss, um ihr eigenes Leben zu leben. 
Sol trauert um seine verstorbene Mutter und wandelt auf ihren Spuren. Er möchte alle "dünnen Orte" besuchen, wo sich Himmel und Erde berühren, wie sie es ihm beschrieben hat. Er beginnt seine Reise mit der Insel Ora, die über eine Brücke bei Ebbe mit Rokesby verbunden ist. Dort begegnet er Addie, die einen traurigen Eindruck auf ihn macht. Die beiden fühlen sich voneinander angezogen und nähern sich zaghaft und schüchtern an. Beiden fällt die soziale Interaktion mit anderen schwer, sie sind stark verunsichert und voller Selbstzweifel. 
Als Sol Addie aufs Festland bringt, trennen sich ihre Weg aufgrund unglücklicher Umstände. Sie wissen nicht, wie sie einander wiederfinden können und gehen wieder getrennter Wege. Doch die Hoffnung auf ein Wiedersehen bleibt - weil es nicht anders sein kann. 

Der Roman ist in einem schnellen Wechsel aus den Perspektiven von Add
ie und Sol geschrieben. Beide Charaktere sind fein gezeichnet und fallen durch ihre besondere Art auf. Sie haben eine bewegte Vergangenheit und schlechte Erfahrungen in ihren Elternhäusern gesammelt, mangele Anerkennung erhalten und stecken voller Ballast. Ihre schüchterne Art zieht sie gegenseitig an und so bauen sie ganz zaghaft eine Beziehung zu einander auf. 

Die Geschichte entwickelt sich über mehr als zwei Jahre hinweg und ist in Bezug auf die Liebe von Sol und Addie von einer andauernden Distanz geprägt. Es ist schwierig ihre beiden Leben zu verbinden, nachdem beide Abnabelungsprozesse hinter sich haben und sich neu formieren mussten. Dazu kommt, dass Addie Angst vor weiteren Verlusten und damit Angst vor Bindung hat. 

Der Roman ist stark charaktergesteuert und sehr empathisch und einfühlsam geschrieben. Die beiden Hauptfiguren wirken zunächst mit ihren Eigenarten und ihrer mangelnden Fähigkeit der sozialen Interaktion gehemmt und verschroben, gleichzeitig aber sehr authentisch. Es sind Außenseiter, die noch ihren Platz im Leben finden müssen. Die allmähliche Entwicklung zu mehr Mut und Selbstvertrauen ist nachvollziehbar geschildert. 

Die Liebe zwischen den beiden ist spürbar, aber dennoch besteht eine andauernde Unsicherheit, ob Liebe allein ausreicht. Es ist fraglich, ob sie ihren "Papageientaucherpakt", der so viel Vertrauensvorschuss und Wartezeit erfordert, halten können oder ob sie einen andauernden gemeinsamen Weg finden werden. Es erfordert Mut, Risiken einzugehen und Verletzungen in Kauf zu nehmen. 

Aufgrund der besonderen, sensiblen Charaktere ist "Weil es nicht anders sein kann" eine bezaubernde Geschichte über dysfunktionale Familien, die Prägung von Erziehung, über Geringschätzung und Verlust, aber auch über Liebe, Trost und Hoffnung, die metaphorisch und symbolträchtig geschrieben ist und auf ihre leise, zärtliche Art berührt. 
Dem Roman können ganz viele kluge Sätze und Weisheiten über das Leben und Beziehungen entnommen werden, die zum Nachdenken anregen und erkenntnisreich sind. 

Mittwoch, 23. Juli 2025

Buchrezension: Julia R. Kelly - Das Geschenk des Meeres

Inhalt:

Schottland, Winter 1900. Am Strand von Skerry wird ein lebloser Junge angeschwemmt. Als der Fischer Joseph ihn ins Dorf trägt, erntet er ungläubige Blicke, denn das Kind ähnelt auf unheimliche Weise dem Sohn der Lehrerin Dorothy, der in einer längst vergangenen Nacht ans Meer ging und nie mehr gesehen wurde. Ausgerechnet Dorothy erklärt sich bereit, das rätselhafte Kind aufzunehmen, bis seine Herkunft geklärt ist. Doch die Anwesenheit des Jungen wühlt nicht nur Dorothy auf, sondern stellt die gesamte Dorfgemeinschaft vor Fragen. Weshalb war Joseph sowohl an dem Tag am Strand, als der fremde Junge angespült wurde, als auch in der Nacht, als Dorothys Kind verschwand? Worüber haben Dorothy und Joseph damals so erbittert gestritten? Und warum wurden sie nie ein Paar, obwohl sie sich für jedermann offensichtlich liebten? 

Rezension:

Im stürmischen Winter 1900 wird an der Küste des schottischen Fischerdorfes Skerry ein unbekannter Junge gefunden, der auf erschreckende Weise dem Sohn der Lehrerin Dorothy ähnelt, der vor zwei Jahrzehnten im Meer verschwunden ist und dessen Leichnam nie gefunden wurde. Als die Frau des Pfarrers ihr Baby zu früh zur Welt bringt, willigt Dorothy ein, nun das Findelkind bei sich aufzunehmen, bis seine Herkunft geklärt ist.
Mit der Anwesenheit des Jungen und dem Glauben an Sagen und Mythen verschwimmen allmählich Vergangenheit und Gegenwart. Dorothy gewöhnt sich an den stillen Jungen und läuft Gefahr, ihn als Ersatz für ihren verlorenen Sohn als Geschenk des Meeres zu empfinden.
Auch die Dorfgemeinschaft sieht sich wieder mit der Vergangenheit konfrontiert und beginnt erneut die Verbindung von Fischer Joseph mit Dorothy zu hinterfragen, der sowohl den unbekannten Jungen gefunden hat als auch mit dem Verschwinden von Dorothys Sohn in einen Zusammenhang gebracht wird.

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und wird aus verschiedenen Perspektiven der Dorfbewohner geschildert. "Jetzt" beginnt mit dem Auffinden des gestrandeten Jungen und wie dieser bei Dorothy ein neues Zuhause findet. Während der Pfarrer mit der Wetterbesserung nach dem Schneetreiben die Suche nach den Eltern des Jungen vorantreibt, entwickelt Dorothy Muttergefühle für das Kind.
"Damals" blickt darauf zurück, wie Dorothy als junge Frau nach Skerry gekommen ist und Schwierigkeiten hatte, sich in der verschworenen Dorfgemeinschaft zu integrieren. Ihre Unsicherheit und Schüchternheit wurde als Arroganz interpretiert und sorgte für einen schweren Stand, besonders unter den Frauen. Ihre Gefühle für Joseph schürten die Eifersucht und führten zu Missverständnissen und einer Reihe falscher Entscheidungen.

Der Roman ist spannend aufgebaut, indem erst allmählich die Geheimnisse der Dorfgemeinschaft aufgedeckt werden. Sowohl die Gegenwart als auch die Vergangenheit wirft Fragen auf - nicht nur in Bezug auf die beiden Jungen, sondern auch auf das Verhältnis der Bewohner untereinander.
Die Geschichte ist durchweg tragisch. Dorothy wird missverstanden und ihre Liebe zu Joseph macht sie zum Opfer einer Intrige. Der Verlust ihres Sohnes macht sie zu einer einsamen Frau. Dass ausgerechnet sie sich dem aufgefundenen Jungen annimmt, kann nur alte Wunden aufreißen. 

"Das Geschenk des Meeres" ist atmosphärisch düster geschrieben. Es ist weitgehend Winter mit Kälte, Schnee und Sturm und im Hintergrund lauert die Gefahr und die Unberechenbarkeit der See. Frauen fürchten um ihre Ehemänner, die ihnen das Meer nehmen kann und verbringen ihre Zeit mit Klatsch und Tratsch und schüren Gerüchte. Dazu kommen Aberglaube und Mythen, die für Unsicherheit und Schuldgefühlen sorgen.

Es ist ein authentisches Porträt eines abgelegenen Küstenorts zur damaligen Zeit mit klar definierten Geschlechterrollen uns gesellschaftlichen Erwartungen. Die Geschichte handelt von der Einfachheit und Härte des Lebens, von gewalttätigen Männern, intriganten Frauen und verängstigten Kindern, von dysfunktionalen Familien und den Auswirkungen schlechter Erfahrungen. Es geht um Trauer, Verlust, Ausgrenzung und enttäuschte Hoffnungen. Angepasst an die Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts sind die Gefühle der Charaktere verhalten, was die Liebesgeschichte und die Geschichte über Mutterliebe nicht weniger bewegend machen und für anhaltende Spannung sorgen. 

Montag, 21. Juli 2025

Buchrezension: John Marrs - Wenn Schweigen tötet

Inhalt:

Jeden zweiten Abend essen Maggie und Nina zusammen. Wenn sie fertig sind, bringt Nina Maggie zurück in ihr Zimmer im Dachgeschoss und legt sie in Ketten. Denn Maggie hat Dinge getan, die unverzeihlich sind, und jetzt bezahlt sie den Preis dafür.
Aber in der Vergangenheit gibt es vieles, was Nina nicht weiß, und Maggie wird dafür sorgen, dass es so bleibt – auch wenn es sie tötet. Denn in diesem Haus ist die Wahrheit gefährlicher als jede Lüge. 

Rezension: 

Nina führt mit ihrer Mutter Maggie ein zurückgezogenes Leben. Jeden zweiten Abend essen sie gemeinsam, wenn Nina kocht und sind zwanghaft um Konversation bemüht, ansonsten geht jede ihrer Wege. Bei Maggie ist der Bewegungsradius jedoch stark eingeschränkt. Sie lebt in der obersten Etage an eine Fußfessel gekettet und das einzige, das ihr bleibt, ist der Blick durch die Lamellen des gepanzerten Fensters.
Nina bestraft ihre Mutter für das, was sie ihr angetan hat, doch sie kennt nicht die ganze Wahrheit. Maggie schweigt hartnäckig, auch wenn die Gefangenschaft sie irgendwann töten wird.

"Wenn Schweigen tötet" ist ein klaustrophobischer Psychothriller, der von einer vergifteten Mutter-Tochter-Beziehung handelt. Nina versorgt ihre Mutter mit dem Nötigsten, während Nachbarn und Kollegen davon ausgehen, dass ihre Mutter dement in einem Pflegeheim ist. Nina geht jeden Tag zur Arbeit und genießt es, zu Hause die Oberhand zu haben und ihre Mutter mit kleinen Schikanen zu quälen. Die Wut auf sie ist jedoch nicht groß genug, sie loszulassen.
Maggie ist inzwischen seit zwei Jahren angekettet und hat dennoch nicht aufgegeben. Sobald sie eine Chance wittert, versucht sie sich zu befreien, auch wenn sie bisher immer gescheitert ist und dafür bestraft wurde. Als sie tatsächlich befürchtet, sterben zu müssen, nimmt sie einen neuen Anlauf, um auf sich aufmerksam zu machen.

Die gegenwärtige Handlung wird durch Rückblenden unterbrochen, die 25 Jahre zuvor beginnen, als Ninas Vater die Familie verlassen hat. Die Folgen des Verlusts, der die Teenagerin traumatisiert hat, erklären Ninas Grausamkeit und ihren Wunsch nach Rache, während gleichzeitig offenbar wird, wie weit Maggie in der Vergangenheit gegangen ist, um ihre Tochter vermeintlich und tatsächlich zu schützen.

Die Geschichte ist spannend und unfassbar wendungsreich. Täter und Opfer wechseln mehrfach und immer wenn man glaubt, den Hintergrund ihrer Motivation durchschaut zu haben, erfolgt eine neue Offenbarung, die alles in Frage stellt.
Es ist ein herrlich verrücktes Kammerspiel, bei dem sich immer mehr Abgründe auftun. Erzählt wird eine Geschichte, die jedoch aus jedem Blickwinkel anders aussieht. Was sich in der Gegenwart und der Vergangenheit in kurzen Kapiteln ereignet, ist extrem, aber für jede Handlung gibt es eine schlüssige Erklärung. Nur langsam setzen sich alle Puzzleteile zusammen, die zu einer Spirale aus stillen Vorwürfen Hass und Gewalt und geführt haben und das ganze Ausmaß einer falsch verstandenen Mutterliebe offenbaren. 

Freitag, 18. Juli 2025

Buchrezension: Abby Jimenez - Say You’ll Remember Me: Perfektes Date - miserables Timing

Inhalt:

Was für Samantha nur ein letzter unterhaltsamer Abend in Minneapolis werden sollte, erweist sich als das beste Date aller Zeiten – und als ein riesiger Fehler. Denn sie und der auf den ersten Blick abweisende Tierarzt Xavier sind ein Match Made in Heaven. Nicht nur, dass er extrem gut aussieht, er pflegt tagtäglich süße Katzenbabys gesund, arbeitet ehrenamtlich für die Hunderettung, und dann stellt er sich auch noch seinen Gefühlen und kann zugeben, wenn er im Unrecht ist.
Kurz: Xavier ist alles, was Sam sich jemals von einem Partner gewünscht hat.
Das Problem: Direkt am Morgen nach ihrer ersten Verabredung zieht Sam ans andere Ende der USA, da sie sich um ihre an Demenz erkrankte und pflegebedürftige Mutter kümmern muss. Die beiden werden sich also niemals wiedersehen.
Und eine Fernbeziehung kommt gar nicht in Frage – aber sie bekommen einander einfach nicht aus dem Kopf.
Denn keine Entfernung oder Zeit der Welt könnten sie dazu bringen zu vergessen, was sie hatten. 

Rezension: 

Durch Crowdfunding konnte Samantha entgegen des Rats des grummeligen Tierarztes Dr. Xavier Rush das Leben eines kranken Katzenbabys retten. Dieser ist sichtlich beeindruckt und lädt Samantha beim nächsten Vorsorgetermin zu einem Date ein. Gemeinsam verbringen sie einen turbulenten Abend, der gar nicht mehr enden will. Samantha entdeckt, wie fürsorglich und liebenswert Xavier ist, der sich neben seinem Fulltime-Job ehrenamtlich für die Tierrettung einsetzt. Xavier hingegen genießt Samanthas offene und optimistische Art. Doch der erste gemeinsame Abend ist gleichzeitig der letzte von Samantha in Minnesota. Am nächsten Morgen zieht sie in ihre Heimat Kalifornien, um ihre Familie bei der Pflege ihrer dementen Mutter zu unterstützen.
Ein Besuch Xaviers in Kalifornien wenig später beweist, wie viel die beiden bereits für einander empfinden, aber sie möchten vernünftig sein, denn eine Fernbeziehung ergibt auf die Dauer keinen Sinn und weder Samantha noch Xavier können auf absehbare Zeit zum jeweils anderen ziehen. Doch ist wenig gemeinsame Zeit nicht besser als gar keine gemeinsame Zeit?

Der Roman wird abwechselnd aus der Perspektive einer der Hauptfiguren geschildert. Sehr schnell ist offensichtlich, dass beide schwer verliebt sind, sie jedoch vor dem Problem stehen, dass sie nach dem Umzug von Samantha zukünftig 3.000 km von einander entfernt wohnen. Samantha möchte eine Fernbeziehung zunächst erst gar nicht versuchen, aber die Sehnsucht ist größer.
Sehr realistisch ist das Dilemma beschrieben, dass beide an einen anderen Ort gebunden sind - emotional oder beruflich. Xavier hat sich erst vor zwei Jahren mit einer Tierarztpraxis selbständig gemacht und ist hoch verschuldet und Samantha möchte noch möglichst viel Zeit mit ihrer Mutter verbringen, bevor diese ihr komplett entgleitet.

Die romantische Liebesgeschichte wird in Bezug auf beide Hauptfiguren mit tiefer gehenden Problemen verknüpft. Samanthas Familie teilt sich auf, um rund um die Uhr für Mutter, Ehefrau oder Tochter da sein zu können, die viel zu früh an Demenz erkrankt ist und entsprechende Betreuung benötigt. Xavier hat eine grausame Kindheit verbracht und wird unangenehm damit konfrontiert, dass seine Eltern die Nähe zu ihm suchen. Um Samantha möglichst häufig sehen zu können, übernimmt er bis an die Belastungsgrenze zusätzliche Nachtschichten in der Notaufnahme. 
Roter Faden der Handlung sind die Erinnerungen, wie es auch der Titel widerspiegelt. Samantha und Xavier möchten viele gemeinsame Erinnerungen schaffen, haben dafür aber nur begrenzt Zeit. Samantha möchte die schönen Erinnerungen an ihre Mutter konservieren, während Xavier seine Kindheit am liebsten vergessen würde. Samanthas Mutter kann sich hingegen nicht dagegen wehren, ihr Leben, ihre nahen Angehörigen und sich selbst zu vergessen.

Die Geschichte hat eine ausgeglichene Balance aus schwierigen Themen und humorvollen Szenen. Die Folgen von Demenz für eine Familie wie auch ein Trauma aus Kindheitstagen werden sensibel mit der Liebesgeschichte verbunden. Die Geschichte bewegt zudem durch die beschriebene Distanz und die Sehnsucht, die zwischen den beiden Liebenden herrscht. Running Gags ("Come on, Eileen", Katzen-Popoloch) nehmen ihr die Schwere und sorgen für lebendige und unterhaltsame Dialoge. 
Die Liebesgeschichte ist angenehm erwachsen und ehrlich geschildert, ohne durch Lügen oder Missverständnisse unnötiges Drama zu erzeugen. Samantha und Xavier sind räumlich weit getrennt, stehen sich jedoch emotional nahe. Während anfangs Dates geplant werden, um etwas Besonderes zu erleben, ist es bald noch schöner, gemeinsam einen Alltag zu leben. Die Sehnsucht und Hoffnung auf eine gemeinsame, leichtere Zukunft wächst und sorgt für anhaltende Spannung. 

Mittwoch, 16. Juli 2025

Buchrezension: Kat Eryn Rubik - Furye

Inhalt:

Ein tragischer Unfall. So nennt es die Presse, als ein Cabrio mitsamt der Insassen an den steilen Klippen der Küste in die Tiefe stürzt. "Natürlich war das nicht die Wahrheit", schreibt die namenlose Erzählerin, die als Einzige weiß, was wirklich geschehen ist, und fügt in ihrem Notizbuch das zusammen, "was vielleicht schon immer zusammengehörte, ohne dass wir es wussten".
Sie ist stilsicher und smart, Musikmanagerin, eine erfolgreiche Selfmadefrau, deren Gesicht das Cover der VOGUE-Business ziert. Die Realität hinter den Kulissen ihres beneidenswerten Daseins jedoch ist trist: Ihr Vater ist tot, außer ihrer Mutter, die sich langsam wieder ins Leben kämpft, hat sie keine Familie, und sie selbst glaubt seit geraumer Zeit, nichts mehr fühlen zu können.
Ein Anruf lässt ihr – wenn schon nicht glückliches, so wenigstens stabil geglaubtes – Leben in sich zusammenfallen. Über Nacht setzt sie sich ins Auto und fährt los. Zurück in die trügerisch schöne Stadt am Meer, die sie vor zwanzig Jahren hinter sich gelassen hat. Dorthin, wo eine längst vergessen geglaubte Erinnerung begraben liegt.
Dorthin, wo sie einst Alec, eine der Furien, war. Damals war sie siebzehn Jahre alt...
Zerrissen und getrieben von dem, was längst vergangen ist, und dem, was nie mehr sein kann, taumelt sie im wachtrunkenen Delirium zwischen Vergebung und Vergeltung durch das, was von ihrem Leben übrig ist – dem Unumkehrbaren entgegen. 

Rezension:

Die 37-jährige, namenlose weibliche Hauptfigur ist erfolgreiche Musikmanagerin, deren Gesicht zuletzt auf dem Cover der VOGUE-Business zu sehen war. Hinter der schönen Fassade ahnt niemand, dass sie mit psychischen Problemen zu kämpfen hat. Zudem ist ihr Vater kürzlich an Krebs gestorben, was ihre Mutter nur schwer verwunden hat. Als sie dann auch noch eine niederschmetternde Nachricht erhält, die sie ihre Zukunft noch düsterer sehen lässt, nimmt sie sich eine Auszeit und fährt an den Ort, wo sie aufgewachsen ist.
Dort war sie eine der drei Furien, eine Clique von drei 17-jährigen Mädchen, die an der elitären Schule Außenseiterinnen waren. Die impulsive Meg litt unter der alkoholkranken, desinteressierten Mutter, die schüchterne Tess unter einem prügelnden Vater und einer wehrlosen Mutter und sie selbst, mit dem Spitznamen Alec, an den ärmlichen Verhältnissen als Tochter von Einwanderern. Dort verliebte sie sich auch in den schönen Romain und den trifft sie nun 20 Jahre später wieder.

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen aus der Sicht von Alec, wobei die Vergangenheit auf der Grundlage ihres Notizbuchs aus der Zeit als Teenager wiedergegeben wird. Von den drei Furien war Meg die dominante, die so voller Wut war. Ihre Schimpftiraden richteten sich gegen patriarchale Strukturen und ihre Rachegelüste gegen Lehrer, Väter und Männer, die Grenzen überschritten. Gleichzeitig liebte sie es zu provozieren und Männer herauszufordern. Alec hingegen war frisch verliebt, auch wenn ihr der Klassenunterschied zu dem reichen Romain Probleme bereitete.

20 Jahre später fühlt sich Alec innerlich leer und kehrt dorthin zurück, wo sie etwas zurückgelassen hat, was sie in der Gegenwart nicht mehr erreichen kann. Neben quälenden Erinnerungen hat sie Megs Stimme im Ohr, die weiterhin auf Rache aus ist.

Durch Andeutungen ist frühzeitig zu erahnen, was sich in der Vergangenheit ereignet hat und die bittere Parallele zur Gegenwart zu erkennen. Spannend bleibt dabei, was sich Alec von ihrer Reise in die Vergangenheit erhofft und welche Rolle Romain darin spielt.

Die Geschichte ist furios, bitter, traumatisch und brutal. Sowohl in der Gegenwart als auch in der Vergangenheit werden leidenschaftlich Grenzen überschritten, überwiegend aus Wut statt aus Liebe. Sie handelt von Depressionen, Alkoholismus, Gewalt, Vernachlässigung, Suizid, Demenz, Einsamkeit und unerfülltem Kinderwunsch. Die Themen gehen dabei fließend ineinander über, so dass sie selbst bei der übersichtlichen Anzahl an handelnden Personen nicht zu viel sind. Aus der Ich-Perspektive erscheint sie zudem eindringlich und authentisch und lässt die Frage offen, ob aufgrund der Anonymität autobiografische Züge enthalten sind. 
Enttäuschend ist jedoch das idealisierte, träumerische Ende, das im Vergleich zu dem sonst so mutigen Buch nicht stimmig wirkt.  

Montag, 14. Juli 2025

Buchrezension: Virginie Grimaldi - Die Sterne leuchten nur für uns

Inhalt:

Dieses Gefühl, dass das Leben an einem vorbeizieht – Anna kennt es nur zu gut: Die alleinerziehende Mutter jobbt als Kellnerin, das Geld ist immer knapp, und ihre beiden Töchter sieht sie fast nur noch am Frühstückstisch. Während sich die 17-jährige Chloé in eine Schwärmerei nach der nächsten stürzt, hat die 12-jährige Lilly nur einen Freund: die Ratte, die sie nach ihrem Vater benannt hat. Schließlich hat er auch das sinkende Schiff als Erster verlassen … Als Anna bewusst wird, wie sehr ihre Töchter unter der Situation leiden, zieht sie die Reißleine und trifft eine Entscheidung, die alles verändert: Sie mietet einen Camper-Van und macht sich mit ihren Töchtern auf nach Skandinavien zu den Polarlichtern, um sich dort einen langgehegten Traum zu erfüllen. Denn in manchen Situation gibt es kein Zurück mehr, sondern nur noch den Weg nach vorne, den Weg zu sich selbst. 

Rezension: 

Finanziell sah es bei Anna als alleinerziehender Mutter schon immer knapp aus und als ihr nun auch noch der Job als Kellnerin gekündigt wird, steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Sorgen macht sie sich zudem um ihre Töchter. Während die jüngere Lily offenbar in der Schule gemobbt wird, pflegt die 17-jährige Chloé wechselnde Liebschaften und möchte kurz vor dem Abitur die Schule abbrechen. 
Anna, die schon früher unter Panikattacken gelitten hat, braucht dringend eine Auszeit. Mit Hilfe einer Abfindung und des Wohnmobils ihres Vaters macht sie sich zusammen mit ihren Töchtern auf den Weg nach Skandinavien, um die Polarlichter zu sehen und sich als Familie durch die gemeinsame Zeit wieder näher zu kommen. 

Der Roman wird abwechselnd aus den Perspektiven der drei weiblichen Hauptfiguren geschildert. Die beiden Töchter erhalten ihre Erzählstimme durch ihre Aufzeichnungen. Während Lily an ihr Tagebuch "Marcel" schreibt, schreibt die ältere Chloé einen Online-Blog. Auf diese Weise erhält man Einblick in alle drei Persönlichkeiten und kann ihre Probleme sowie die Verbindungen untereinander besser nachvollziehen. 

Anna erhofft sich von der Reise mehr Zeit mit ihren Töchtern zu verbringen, die ihr wegen der Arbeit gefehlt hat. Sie möchte verstehen, was sie verpasst hat, ihr Vertrauen zurückgewinnen und ihnen bei der Bewältigung ihrer Probleme helfen. Selbst ist sie mit ihrer Situation überfordert, blendet ihre eigenen vorübergehend Schwierigkeiten aus und flieht vor ihnen. Chloé und Lily sind bald genervt von der Reise und würden am liebsten so schnell es geht nach Frankreich zurückkehren. 

Die Geschichte bietet eine gelungene Mischung aus Reise mit neuen Eindrücken und Erlebnissen sowie einer emotionalen Reise, um wieder zu einer Einheit zu werden. Der Weg führt sie von Frankreich über Deutschland und die skandinavischen Länder bis zum Nordkap. Dabei gibt es viele magische Momente bei der Sichtung von Tieren, beim Eisbaden oder beim Beobachten der Mitternachtssonne, aber auch viel Streit. Das Zusammensein auf engstem Raum ist einerseits belastend, andererseits aber auch eine Chance. 

"Die Sterne leuchten nur für uns" ist durch die verschiedenen Orte, die unterschiedlichen Sichtweisen und die Probleme der einzelnen schon aufgrund ihres Alters abwechslungsreich und unterhaltsam. Gerade Lily schreibt sehr ulkig in ihrem Tagebuch, während Chloés Online-Blog ohne Reaktionen von Nutzern weniger authentisch erscheint. 

Der Roman entwickelt sich als Roadtrip einer Familie, die wieder zusammenfinden möchte, nicht weiter überraschend. Die finanziellen Fragen bleiben vor der Fahrt ungelöst und während der Fahrt kommen weitere Probleme auf, die Anna zu Hause erwarten könnten, mit denen sie nicht gerechnet hat. Gerade die Beziehung zum Vater der Kinder ist eine Komponente, die Fragen aufwirft und für Spannung sorgt. 
Die ungeplante Reise ist auf den ersten Blick nicht die vernünftigste Entscheidung bei Schulden und Arbeitslosigkeit, aber ein kluger Entschluss für mehr Nähe, Verständnis und Zusammenhalt, die unbezahlbar sind.

Freitag, 11. Juli 2025

Buchrezension: Mhairi McFarlane - Und plötzlich ist es wunderbar

 Inhalt:


Edie hatte mit Schauspieler Elliot Schluss gemacht, weil Nottingham und Hollywood einfach nicht zusammenpassen. Aber als er jetzt überraschend vor ihrer Tür steht – ausgerechnet an Weihnachten! –, schlägt ihr Herz Purzelbäume. Ein Blick genügt, und beide wissen, dass sie es noch mal miteinander versuchen müssen. Und vielleicht wird es dieses Mal auch ganz wunderbar. 
Dummerweise trennt sie nicht nur ein Ozean, wenn Elliot in Hollywood ist: Die Klatschpresse verfolgt sie unerbittlich, und als Edies Freunde zur Story werden, wird es richtig hässlich. Dann stellt Edies Chef auch noch den charmanten Declan ein, der immer zur Stelle ist, wenn sie einen Rat braucht. Bald fragt Edie sich, ob sie und Elliot wirklich ein wahr gewordenes Märchen sind – oder nicht doch eher eine Warnung für alle, die einen Traum unbedingt in die Wirklichkeit zwingen wollen? 

Rezension: 

Edie Thompson hatte als Ghostwriterin seiner Autobiografie den berühmten Hollywood-Schauspieler Elliot Owen kennen- und lieben gelernt. Die Beziehung zu einer Person im Rampenlicht und das Stehen in der Öffentlichkeit hatten sie überfordert, weshalb Edie ihre Liebesgeschichte schweren Herzens beendet hatte. 
Monate später steht Elliot unerwartet an Weihnachten vor ihrer Tür und macht ihr eine Liebeserklärung, der sie nicht widerstehen kann. Beide hatten nie aufgehört, den anderen zu lieben, aber an den Umständen hat sich nichts geändert und so merkt Edie schnell, dass sie an ihre Grenzen kommt, was ihr Herz aushalten kann. 
Aufgrund der Entfernung zwischen New York in den USA und Nottingham in England sehen sich die beiden nur selten und Edie muss mehr als ihr lieb ist über ihren Liebsten aus der Presse entnehmen. Zudem tragen ihre KollegInnen in der Werbeagentur ihren Fauxpas der Vergangenheit nach, weshalb ihr neuer unvoreingenommener und charmanter Kollege Declan ein willkommener Lichtblick ist. 
 
„Und plötzlich ist es wunderbar“ knüpft an den 2017 veröffentlichten Roman „Irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt“ an und gibt der gescheiterten Liebesgeschichte von Edie und Elliot eine zweite Chance. Auch wenn man Edie und Elliot durch die Geschichte neu kennenlernen kann, ist es hilfreich, den Vorgängerroman gelesen zu haben, denn es wird häufig inhaltlich darauf Bezug genommen. 
 
Die Geschichte ist aus der Perspektive der 36-jährigen Edie geschrieben, die meint, mit Elliot den Richtigen gefunden zu haben und gleichzeitig Angst hat, dass ihre Liebe zum Scheitern verurteilt ist. Elliot ist in dieser Hinsicht wesentlich zuversichtlicher und versucht alles, um Edie ihre Zweifel zu nehmen. 
So wird ein Teil der Handlung des letzten Romans wieder aufgegriffen und die Geschichte tritt dabei ein wenig auf der Stelle, wenn wegen der Diskrepanz eines einfachen Mädchens vom Land und einem reichem Filmstar gehadert wird. Eifersüchteleien, Misstrauen und Komplexe, nicht genug zu sein, prägen die Beziehung, genauso wie das unangenehme Eindringen der Presse in Elliots und Edies Privatsphäre. 

Nach der emotionalen Liebeserklärung mag der Funke zwischen den beiden nicht so richtig überspringen, was womöglich der räumlichen Distanz geschuldet ist. Es gibt zu wenig gemeinsame Szenen, die ihre gemeinsame Verbindung spüren lassen und echte Emotionen wecken. Spannungsmomente kommen mehr durch die Frage auf, wer gegen Edie und Elliot integriert und die junge Beziehung durch geschickte Involvierung der Medien sabotiert. Doch je mehr Konflikte sich auftun, desto mehr Leidenschaft kommt in den Hauptfiguren auf und lässt bis zum Ende mitfiebern, ob sie aus der anfänglichen Euphorie etwas Festes entstehen lassen können. 

Der Roman ist wie von der Autorin gewohnt wortgewandt, voller schlagfertiger, witziger Dialoge und interessanter Nebencharaktere. Der Schreibstil ist zudem durch zahlreiche Kurznachrichten, Pressemeldungen und Zeitungsartikel abwechslungsreich und unterhaltsam. 
Die Liebesgeschichte stockt ein wenig, kann jedoch im weiteren Verlauf durch offene und ehrliche Gespräche überzeugen, die viele Wahrheiten in sich tragen, die ins wirkliche Leben übertragbar sind. Doch auch die Eingriffe in die Privatsphäre sowie die Rolle von Social Media, Paparazzi und Presse sind nicht nur sehr präsent, sondern authentisch dargestellt.  

Dem Happy End zu Beginn folgt keine unbeschwerte Romanze mit Schmetterlingen im Bauch, sondern die andauernde Frage, ob die Liebe allein genug für eine stabile Beziehung ist oder ob die gegensätzlichen Lebensumstände sowie der Druck in der Öffentlichkeit zu stehen, nicht zu viel sind. 
Vertrauen ist die Basis, die nötig ist, um der Liebe eine Chance zu geben. 

Mittwoch, 9. Juli 2025

Buchrezension: Mélissa da Costa - All das Blaue vom Himmel

Inhalt:

"Begleitung für letzte Reise gesucht." Diese Anzeige gibt der 26-jährige Émile auf, als er eine unheilbare Diagnose bekommt. Seine letzten Monate möchte er nicht in Krankenhäusern verbringen, sondern in der Natur und in Freiheit. Zu seinem eigenen Erstaunen meldet sich Joanne auf seine Anzeige. Über ihre Gründe schweigt die junge Frau mit dem schwarzen Hut und nur einem Rucksack als Gepäck. Und so steigen beide in Émiles alten Caravan und fahren los. Es beginnt eine verblüffend schöne Reise, durch das mystische Gebirgsmassiv der Pyrenäen – eine Reise zu sich selbst, zu den Wurzeln des eigenen Schmerzes, aber auch eine Reise zur eigenen Kraft und zur eigenen Hoffnung. 

Rezension: 

Émile ist 26 Jahre alt, als er erfährt, dass er an früher Alzheimer-Demenz erkrankt ist und voraussichtlich noch zwei Jahre zu leben hat. Er entschließt sich gegen die Teilnahme an einer Studie zur Erforschung der seltenen Krankheit. Er möchte auch niemandem zur Last fallen und seiner Familie und seinen Freunden nicht als hilflos und degeneriert in Erinnerung bleiben. Stattdessen kauft er ein Wohnmobil und gibt eine Anzeige auf, dass er eine Begleitung für seine letzte Reise sucht. Unerwartet meldet sich eine junge Frau, die ihn ohne weitere Fragen zu stellen, begleiten möchte. Joanne gibt selbst wenig von sich preis und so fahren sie gemeinsam los in Richtung Pyrenäen. Während sie sich in der Stille der Natur allmählich besser kennenlernen, reflektiert Émile die letzten Stationen seines Lebens, insbesondere die Beziehung zu seiner Freundin Laura, die ihn vor einem Jahr verlassen hatte und erkennt, welche Fehler sie beide gemacht haben. Auf der vor allem seelisch anstrengenden Reise spürt er wider erwartend durch Joanne und die Begegnungen mit anderen Fremden, die zu Freunden werden, neuen Lebensmut.

Vor dem Hintergrund der tödlichen Erkrankung, die ein Leben viel zu früh und auf grausame Weise zu beenden vermag, ist die Geschichte emotional ergreifend.
Émile hat bei Aufbruch der Reise sein Schicksal angenommen und sich bewusst für einen heimlichen Abschied entschieden, weshalb der Roman nicht rührselig ist. Auch die ruhige und nüchterne Art von Joanne führt zu keinen dramatischen Gefühlsausbrüchen. Die Geschichte entwickelt sich stattdessen zu einer Reise durch Südfrankreich und die Erinnerungen, zu einem Abenteuer zweier Fremder, die beide aus unterschiedlichen Gründen auf der Flucht sind.

Durch die wechselnden Aufenthaltsorte, die Menschen, denen sie begegnen und die Probleme, mit denen die Hauptfiguren konfrontiert werden, ist die Geschichte lebendig und abwechslungsreich. Die Erinnerungen Émiles sorgen dafür, tiefer in sein Leben einzutauchen und ihn noch besser kennenzulernen. Joannes Zurückhaltung weckt die Neugierde in ihm, mehr über die magere Vegetarierin zu erfahren, die sich ganz in Schwarz kleidet und über Stunden meditieren kann.
Auf engstem Raum findet eine Annäherung statt und Joanne wird vor allem auch aufgrund Émiles Erkrankung, deren Symptome sich unregelmäßig zeigen, zu einem wichtigen Halt. Im Verlauf der Geschichte wechselt der Schwerpunkt mitunter auf Joanne, deren Motive für die Reise ähnlich bewegend sind. Mit dem Hintergrund wird nachvollziehbar, warum Joanne die Verantwortung für Émile übernimmt und treu an seiner Seite bleibt. 

Joanne und Émile blühen beide gemeinsam auf, sind mit der Einfachheit des Lebens zufrieden, glücklich in der Natur und spüren die Freiheit. Doch auch die Schattenseiten werden nicht ausgeklammert, wenn Émile durch seine Blackouts bewusst wird, dass die Krankheit ihn auch auf seiner Reise begleitet und für Angst, Wut und Traurigkeit sorgt. Mit Hilfe eines Reisetagebuchs unter der Prämisse "Der wahre Reisende macht eine Reise um sich selbst." notiert er seine Erlebnisse und hält zudem die Erinnerungen an seine Familie und Freunde wach.

Der Weg ist körperlich beschwerlich, aber noch schwerer wiegen die emotionalen Umstände. Die Schilderung der Verschlechterung des geistigen Zustands und wie Émile wieder zu einem Kind wird, erscheint authentisch. Es ist eine Reise ohne Wiederkehr, die versöhnlich ist und für Émile wichtig, sein Leben auf diese Weise selbstbestimmt und in Würde zu beenden. Die warmherzig geschilderte Geschichte ist die Begleitung einer ungewöhnlichen Schicksalsgemeinschaft, die schmerzhaft und tröstlich zugleich ist. Für das Ende sollte man dennoch Taschentücher bereithalten. 

Montag, 7. Juli 2025

Buchrezension: Ali Hazelwood - Problematic Summer Romance: Die hitzige Unzulässigkeit der Liebe

Inhalt:

Es ist zum Aus-der-Haut-Fahren, was für ein billiges Klischee sie abgeben: Älterer Mann trifft auf jüngere Frau; erfolgreicher Biotech-Startup-Macker trifft auf Studentin, die nicht annähernd klarkommt; seit Urzeiten bester Freund des Bruders auf ein Mädchen, von dem er noch nie gehört hat. Sprich: Zwischen Conor und Maya gibt es ein mehr als offensichtliches Machtgefälle, und Conor wird nicht müde, auf dessen kritische Implikationen hinzuweisen. Jede Art von Beziehung zwischen ihnen wäre in mehr als einer Hinsicht problematisch, und Maya solle doch bitte schön über ihn hinwegkommen. Er hat wirklich deutlich gemacht, dass er sie nicht mehr in seinem Leben haben will. 
Trotz allem sind Maya und Conor gezwungen, eine ganze Woche miteinander zu verbringen, weil ihr Bruder Eli ausgerechnet im sizilianischen Taormina heiraten will – in der Idylle einer romantischen Villa an der einmalig schönen Küste des Ionischen Meeres. Und irgendwo zwischen antiken Ruinen, köstlichem Essen und zauberhaft schönen Felsgrotten wird Maya klar, dass Conor etwas vor ihr verbirgt. Als dann die Hochzeit außer Kontrolle zu geraten droht, beschließt sie, dass eine kleine Sommeraffäre genau das Richtige für sie sein könnte – mag sie auch noch so problematisch sein. 
Und da nicht alles ist, wie es auf den ersten Blick scheint, hat so manches Klischee sogar das Zeug, sich zu einer ernsthaften Geschichte zu entwickeln. 

Rezension: 

Maya ist 23 Jahre alt und seit drei Jahren unsterblich in Conor Harkness, den besten Freund ihres Bruders Eli verliebt, die zusammen ein erfolgreiches Startup gegründet haben. Conor hält sie jedoch auf Distanz und möchte das Machtgefälle nicht ausnutzen, dass sich aus dem 15-jährigen Altersunterschied und seinem Reichtum ergibt. Mehr als freundschaftliche Telefonate sind für ihn nicht drin.
Maya kann sich Conor jedoch nicht aus dem Kopf schlagen. Als ihr Bruder heiratet und alle Hochzeitsgäste für eine Woche nach Taormina auf Sizilien einlädt, treffen Maya und Conor nach langer Zeit wieder physisch auf einander. Maya signalisiert ein eindeutiges Interesse, während Conor sie weiterhin abblitzen lässt. Zumindest einerseits. Andererseits wirft er ihr eindeutige Blicke zu und reagiert eifersüchtig und besitzergreifend, wenn sie mit anderen Männern flirtet.

"Problematic Summer Romance" knüpft lose an den Roman "Not in Love" an, den ich selbst nicht gelesen habe. Auch wenn man nicht alle Hintergründe zu den handelnden Personen kennt, ist ein Vorwissen zum Verständnis der Geschichte nicht nötig.
Der Roman wird aus der Perspektive von Maya erzählt und handelt in der Gegenwart an den sieben Tagen vor der Hochzeit auf Sizilien. Einzelne Rückblenden schildern was sich in den drei Jahren zuvor zwischen Maya und Conor ereignet hat.

Die Geschichte ist schnell zusammengefasst: Er will sie, sie will ihn, aber er lässt sie nicht ran. Der Altersunterschied mag nicht klein sein, aber Conors Angst vor einem Machtgefälle wirkt doch reichlich überzogen. Er ist weder ihr Lehrer, noch ihr Vorgesetzter, noch steht sie sonst in einem Abhängigkeitsverhältnis zu ihm. Umso widersinniger ist sein Verhalten, denn indem er sie gängelt, ihre Beziehung seit drei Jahren zu seinen Bedingungen definiert, ihr Geschenke macht und Verbote erteilt, zementiert er genau das, was er problematisch findet.

Das Problem Age Gap dominiert beide Zeitebenen über fast 500 Seiten, was unweigerlich zu Längen und Wiederholungen führt.
Die Hochzeit und das schöne Setting auf Sizilien rücken dabei sehr in den Hintergrund, auch wenn versucht wird, die Geschichte mit ein paar Pleiten, Pech und Pannen - von Lebensmittelvergiftung bis zur Naturkatastrophe - einem zauberhaften Kleinkind und einem liebenswerten Hund aufzupeppen. Die Dialoge unter den Freunden, allesamt privilegierte Akademiker, sind durchaus witzig und auch kann man die erwarteten Summervibes in der Villa an der Küste mit Blick auf den Ätna und die Isola Bella spüren.

Das Verhalten der männlichen Hauptfigur, das zwischen platonischem Freund, väterlichen Ratgeber, Therapeut und Sexspielzeug schwankt, ist das große Problem der Sommerromanze und nicht der Altersunterschied als solcher. Conor erscheint eher bemitleidenswert statt sexy, wenn in Mayas Gegenwart nicht mehr sein Hirn die Kontrolle hat. Dass Maya ihn bei jeder Gelegenheit so bereitwillig ranlässt und emotional verhungert, macht es nicht besser. 
Die Slow Burn-Sommerromanze konnte im Gegensatz zum Ätna deshalb nicht ganz zünden. Das Ende wirkte nach den drei Jahren Unentschlossenheit überhastet und als ob Conors letzte Tage wirklich bald gezählt wären.  

Freitag, 4. Juli 2025

Buchrezension: Norie Clarke - Neuanfang in Notting Hill

Inhalt:

Jess’ Leben liegt in Trümmern: Nachdem ihr Freund sie sitzen gelassen und ihr Konto leer geräumt hat, wohnt sie schon viel zu lange bei ihrer besten Freundin. Bis sie eine außergewöhnliche Zeitungsannonce entdeckt: Die Inserentin ist eine 80 Jahre alte Dame namens Joan, die sich in ihrem Haus mitten im schönen Notting Hill einsam fühlt und eine Untermieterin sucht. Kurzerhand beschließt Jess, einzuziehen. Sie erkennt eine Frau, die von der Welt zurückgelassen wurde, und schlägt ihr einen Tausch vor: Wenn Joan zustimmt, online zu gehen, wird sie offline gehen. Und als Jess erfährt, dass Joan die Liebe ihres Lebens nie vergessen hat, beginnt sie nachzuforschen, ohne zu ahnen, dass in Joans Geschichte ihr eigener Neuanfang liegt. 

Rezension: 

Jess wurde von ihrem Freund finanziell betrogen und wohnt seitdem bei ihrer besten Freundin Debs und ihrer Familie. Debs ist zum vierten Mal schwanger, weshalb Jess nicht weiter ein Zimmer blockieren kann. Kurzerhand antwortet sie auf ein Zeitungsinserat und kann als Untermieterin bei der älteren Dame Joan einziehen, die alleine im selben Stadtteil, Notting Hill, wohnt. Joan hat zwar einen Sohn und eine befreundete Nachbarin, hat sich aber darüber hinaus komplett in sich zurückgezogen. Mit Jess kommt wieder Leben und Freude in ihre Wohnung. Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach neuen Partnern. Jess zeigt Joan, wie sie online gehen kann und erstellt ein Profil per App, während Jess offline geht und über eine Kontaktanzeige nach einem Mann sucht. 
Allmählich beginnt sich Joan zu öffnen und erzählt von ihrer ersten großen Liebe, die romantisch, aber tragisch war. Währenddessen muss Jess um ihren Arbeitsplatz, ein Kino kämpfen, das bald seinen 100. Geburtstag feiert und so viele Erinnerungen birgt, mangels Rentabilität jedoch verkauft werden soll. Höchstbietender ist ausgerechnet Joans Sohn Edward. 

Die Geschichte wird abwechselnd aus den Perspektiven von Jess und Joan erzählt. Daneben gibt es Nachrichten, Briefe und Zeitungsinserate, die den Inhalt der Geschichte weiter veranschaulichen und für einen abwechslungsreichen Erzählstil sorgen. 

Den Erwartungen an einen Roman dieses Genres entsprechend, entwickelt sich die Geschichte in ihren Grundzügen nicht überraschend. Die beiden Frauen profitieren vom Einzug der Jüngeren, nähern sich an und teilen ihre Vergangenheit. Joan erzählt Jess allmählich von ihrer großen Liebe Joseph, während Jess sich in Bezug auf ihren letzten Freund mehr zurückhält. Beide versuchen mit ihrer Vergangenheit abzuschließen, um offen für Neues sein zu können. Jess kann Joan aus ihrem Schneckenhaus locken und Joan bringt Jess auf die Idee, ganz nostalgisch über eine Kontaktanzeige nach einem Mann zu suchen. Jess beginnt daraufhin einen Briefaustausch mit Mr PO Box, wobei allzu offensichtlich ist, wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt. Für größere Konflikte sorgt dies allerdings nicht. 

Die Geschichte handelt innerhalb nur weniger Wochen, weshalb die Charakterentwicklung zu schnell voranschreitet und insbesondere in Bezug auf Joan, die Jahre der Zurückgezogenheit nach dem abrupten Einzug Jess' überwindet, die eine regelrecht jesusartige heilsame Wirkung auf sie hat, nicht realistisch erscheint. Auch die Suche nach Jess' Exfreund und Klärung der Trennung ist stark vereinfacht dargestellt.  

Der gemeinsame Faden mit den Zeitungsannoncen und Liebesbotschaften ist süß und mutet herrlich nostalgisch an. Auch der Kampf um die Rettung des Kinos, in dem Jess arbeitet und das ihr so am Herzen liegt, vermittelt mit der Erwähnung alter Filme einen Hauch von Nostalgie. 

"Neuanfang in Notting Hill" ist eine warmherzige Geschichte über Vergangenheitsbewältigung, Neuanfänge und zweite Chancen, die die Generationen verbindet und vom Mut handelt, die eigene Komfortzone verlassen. Die Problemlösungen sind allesamt simpel und die Liebesgeschichten sind weniger vordergründig als gedacht. Während Joans große Liebe durch ihr Scheitern Emotionen weckt, ist die gegenwärtige Liebesgeschichte von Jess wenig romantisch und bedient vorhersehbar den Trope Enemies to Lovers. 
Der Roman ist unaufgeregt nett und vermittelt ein paar schöne Botschaften, reicht jedoch in Bezug auf Charme und Romantik bei Weitem nicht an die erwähnten Filme "Notting Hill" oder "e-m@il für Dich" heran. 

Mittwoch, 2. Juli 2025

Buchrezension: Austin Taylor - Das Gefühl von Unendlichkeit

Inhalt:

Es fühlt sich an wie ein Urknall, als Zoe im Vorlesungssaal von Harvard auf den charismatischen Jack trifft. Von einer Sekunde auf die andere verändert sich alles, Zoe ist wie elektrisiert, wenn sie zusammen sind. Tagsüber führen sie einen spielerischen Wettkampf um die Anerkennung ihrer Professoren, nachts diskutieren sie in tiefgehenden Gesprächen ihre Ideen und Träume. Schnell entwickeln sie Gefühle füreinander. Als sie eine Entdeckung machen, die nicht nur die Welt der Chemie, sondern auch das ganze Land in Aufruhr versetzt, werden Zoe und Jack von einer Welle aus Anerkennung und Erfolg mitgerissen. Doch der steigende Druck stellt ihre Liebe auf eine harte Probe. Und als Jack droht, daran zu zerbrechen, muss Zoe alles, woran sie je geglaubt hat, infrage stellen. 

Rezension: 

Zoe Kyriakidis ist die Tochter eines renommierten MIT-Physikers und studiert Chemie in Harvard. Trotz ihrer Intelligenz und wissenschaftlichen Begabung steht steht sie als Mädchen von jeher im Schatten ihres älteren Bruders Alex.
In Harvard trifft sie auf den Studenten Jack Leah, der aus ärmlichen Verhältnissen aus dem ländlichen Maine stammt. Er hat einen Platz in einem Labor und widmet sich mehr der Forschung als dem Studium.
Zusammen entwickeln sie eine brillante Idee Zoes weiter, die einen Ansatz gefunden hat, um die Alterung von Zellen zu stoppen.
Schon bald finden sie Unterstützer und Investoren und gründen ihr eigenes Startup. Während Jack die Leitung des Labors übernimmt, steht Zoe in der Öffentlichkeit, um ihre Theorie zu vermarkten und die Entwicklung eines Heilmittels gegen das Altern anzukündigen. Eine Anziehung zwischen den beiden ist von Anbeginn vorhanden und während ihres wissenschaftlichen Höhenflugs werden sie ein Paar. Doch ihr Erfolg ist nicht von Dauer und nach einem enttäuschenden Vertrauensbruchs von Jack trennen sich ihre Wege.

"Das Gefühl von Unendlichkeit" ist kein leicht zugänglicher Roman, denn er ist voller Begriffe aus der Altersforschung, Techbranche und der Start-up-Gründerszene. Die detaillierten Ausführungen zur wissenschaftlichen Analyse und die anschauliche Beschreibung des Lebens auf dem Campus in Harvard machen die Geschichte der Autorin, die selbst dort studiert hat, sehr authentisch.

Beide Hauptfiguren sind unterschiedlich, stammen aus verschiedenen sozialen Milieus und haben mit ganz eigenen Problemen zu kämpfen. Zoe muss sich als Frau in MINT ständig beweisen, möchte nicht nur das schöne Gesicht eines Unternehmens sein, sondern als Wissenschaftlerin anerkannt werden und auch von ihrer Familie als solche gesehen werden. Jack möchte sich selbst und anderen beweisen, dass auch ein Junge, der in einer Umgebung aus Armut und Gewalt aufgewachsen ist, es zu etwas bringen und Großes bewirken kann.

Die Geschichte ist vielschichtig und zeigt ein Paar zwischen romantischer Anziehung, wissenschaftlichem Ehrgeiz und dem Reiz der Unsterblichkeit.
Erscheint der Roman in der ersten Hälfte etwas sprunghaft, sorgt der spätere Perspektivwechsel aus der Sicht von Jack dafür, dass Erzähllücken geschlossen werden, ohne dass sich Teile der Handlung wiederholen.
Die Liebesgeschichte bleibt hintergründig, während Fragen von Ethik und Moral, der Druck zu reüssieren und der schmale Grat zwischen wissenschaftlichem Fortschritt und finanziellem Erfolg in den Vordergrund treten. 
Die Erzählweise ist abwechslungsreich, wissenschaftlich fundiert und weckt durch die intensive Charakterzeichnung, der Weiterentwicklung der Hauptfiguren und dem bitteren Scheitern ihres Traums Emotionen. 

Montag, 30. Juni 2025

Buchrezension: Ragnar Jónasson - HULDA (Die HULDA-Reihe, Band 4)

Inhalt:

Island, November 1980: Die junge, unerschrockene Polizistin Hulda Hermannsdóttir erhält eines Abends einen Anruf von ihrem Vorgesetzten. In einer abgelegenen Jagdhütte im Norden des Landes wurde ein Teddybär gefunden - möglicherweise ein Hinweis auf einen seit langer Zeit ungelösten Fall eines vermissten Kindes. Hulda macht sich mit einer Kollegin sofort auf den Weg in das abgelegene und dünn besiedelte Tal. Doch dort empfängt man sie alles andere als freundlich. Außerdem merkt Hulda, dass ihre neue Kollegin sehr ehrgeizig ist und sich zu einer direkten Konkurrentin entwickelt. 

Rezension:

Weihnachten 1960 verschwand ein Baby spurlos aus seinem Elternhaus. 20 Jahre später wird der Teddy des Jungen in einer Anglerhütte am anderen Ende des Landes gefunden. Die junge Polizistin Hulda Hermannsdóttir wird mit den Ermittlungen betraut. Sie hofft sich mit der Lösung des Falls für eine Beförderung beweisen zu können, was als Frau immer noch schwierig ist. 
Gegen ihren Willen muss sie zusammen mit einer ebenfalls noch jungen Polizistin in der abgelegenen Gegend ermitteln, wo sie in einem Bauernhaus bei Personen wohnen, die Zugang zu der Anglerhütte hatten und damit zu den Verdächtigen zählen. Die Angehörigen des verschwundenen Babys sind wenig kooperativ, glauben sie doch nicht mehr an ein Wiedersehen mit ihrem Kind oder Enkel. Bevor Hulda mit den wenigen möglichen Zeugen und Verdächtigen sprechen konnte, wird die Leiche eines alten Mannes gefunden. 

"HULDA" ist das Prequel der zur "HULDA"-Trilogie und handelt damit zeitlich vor den bereits erschienen Teilen der Reihe, als Hulda Anfang 30 ist, sich beruflich in einer Männerdomäne durchsetzen muss und privat an der Zukunft ihrer Ehe zweifelt. 

"HULDA" ist als Thriller deklariert und nicht nur aufgrund der Tatsache, dass das Buch mit nicht einmal 300 Seiten und großer Schrift vergleichbar mit einem Kinderbuch einen Cold Case kurz und dynamisch darstellt, spannend inszeniert. Da jedoch die polizeilichen Ermittlungen klar im Vordergrund stehen, fühlt sich das Buch eher wie ein klassischer Kriminalroman an. 

Die junge Hulda ist nicht so verbittert wie man sie als ältere Polizistin bereits kennt, sondern ehrgeizig und ambitioniert, wenn auch mit ihrer kühlen Art nicht unbedingt sympathisch. Ihre Person wie auch die düstere Stimmung machen jedoch auch den besonderen Charme der Reihe aus. 

Der Fall ist am Ende aufgrund Huldas Instinkt schnell gelöst und zeugt von einer Tragödie und dunklen Familiengeheimnissen. Hulda ist als junge Mutter trotz ihrer reservierten Art emotional involviert, kehrt voller Stolz nach Reykjavík zurück, wo sie jedoch eine beunruhigende Überraschung erwartet. 
Ich hoffe auf weitere Teile der Reihe und bin zudem gespannt auf die Umsetzung als Fernsehserie "The Darkness". 

Freitag, 27. Juni 2025

Buchrezension: Beatrix Gerstberger - Die Hummerfrauen


Inhalt:

Ferien an der Küste von Maine zählen zu Minas schönsten Kindheitserinnerungen. Bis zu jenem Sommer, nach dem sie und ihre Eltern nie mehr dorthin reisten. Viele Jahre später zieht es Mina nach einem schweren Verlust wieder zurück.
Sie landet in einem winzigen Dorf namens Stone Harbor und findet Unterschlupf bei den beiden Fischerinnen Ann und Julie. Mit ihnen fährt Mina hinaus aufs Meer und lernt das Hummerfischen.
Und hier, in Stone Harbor, begegnet Mina endlich Sam wieder. Sam, der damals in den Ferien nicht von ihrer Seite wich und dessen Familie nach jenem letzten Sommer in Maine auch nie mehr dieselbe war. 

Rezension: 

Nach dem Unfalltod ihres Bruders vor wenigen Monaten und der erdrückenden Trauer im Haus ihrer Eltern drängt es Mina dorthin, wo sie immer glücklich war: nach Maine, wo sie die Sommer ihrer Kindheit verbracht hat. Im Dorf Stone Harbor trifft sie auf die mürrische Ann und die quirlige Julie, die beide Zugezogene und damit Außenseiterinnen sind. 
Ann, die nach dem Verlust ihrer großen Liebe allein mit ihrem Hummer Mr. Darcy lebt, fährt auch mit über 70 Jahren noch aufs Meer hinaus zum Hummerfischen. Julie hat erst kürzlich die Lizenz als Kapitänin erworben und ist eine der wenigen Hummerfischerinnen. Sie ist schon lange unglücklich in Hummerfischer Nat verliebt, dessen Ehefrau schwer krank ist. 
Mina trifft in Stone Harbor Sam wieder, den sie noch aus ihrer Kindheit kennt. Mit seiner warmherzigen Art wird er ihr erneut eine Stütze, kann seine Rastlosigkeit, die sie bereits aus ihrer Kindheit kennt, aber nicht ablegen. 

Der Roman handelt von Sommer 2000, als Mina nach Maine zurückkehrt, bis in den Herbst 2001, sowie 18 Jahre zuvor, im Sommer 1982, als Mina die letzten Ferien auf Eagle Island in Maine verbracht hat. Die Haupthandlung handelt von drei Frauen unterschiedlicher Generationen, die am selben Ort zu Freundinnen werden, während sich die Vergangenheit auf Judith, die Mutter von Mina, fokussiert, die sich in Maine nicht willkommen fühlt und sich mit ihrer überheblichen, abweisenden Art keine Freunde macht.
Allen Frauen ist gemein, dass sie Schicksalsschläge erlebt haben und unterschiedlich damit umgehen. Sie sind nicht allein mit ihren Verlusten und ihrer Trauer, aber dennoch einsam. Auch der männliche Teil der Bewohner des Fischerortes ist verschlossen und hat Angst, über Gefühle zu sprechen.

Neben den emotionalen Aspekten der Geschichte wird der fiktive Handlungsort mit all seinen Hummer-Traditionen anschaulich zum Leben erweckt. Man erhält eine genaue Vorstellung vom harten Alltag der Fischer, aber auch der Ehefrauen, die zeitweise lange auf ihre Männer verzichten müssen und in der Zeit das Dorf eigenständig am Leben erhalten. Allgegenwärtig ist die Gefahr und dass nicht jeder vollständig vom Meer zurückkehrt.
So rau wie der Alltag und die Küstenlandschaft sind, so rau ist auch die Mentalität der Menschen. Für Neulinge ist es schwer, dort eine Heimat zu finden und die Touristen aus den Städten werden belächelt. Wie in allen Dörfern ist Klatsch und Tratsch an der Tagesordnung und jeder kriegt sein Fett weg. Ann und Julie lassen sich mit ihrer stoischen Art davon nicht unterkriegen. Mina baut in dem Ort, in dem sie sich geborgen fühlt, Selbstbewusstsein auf und versucht zu ergründen, was in dem letzten Sommer ihrer Kindheit in Maine passiert sein mag und der Grund ist, weshalb ihre Familie nie mehr zurückgekehrt ist.

Die Hauptfiguren sind individuell gezeichnet und auch die Nebencharaktere mit all ihren Eigenheiten werden leicht vorstellbar. Die Geschichte ist gefühlsbetont und hat mit dem Sommer in der Vergangenheit darüber hinaus eine spannende Komponente. 
Der Roman ist trotz überwiegend trauriger Themen nicht schwermütig, sondern hoffnungsvoll. Die Dialoge sind humorvoll und verdeutlichen den speziellen Charme der Charaktere. Es geht darum, mit Verlusten zu leben, loszulassen und Abschied zu nehmen und wieder anzufangen, zu leben und sein Herz nicht vor anderen zu verschließen. 
Der lange Epilog rundet die Geschichte ab und verrät, was aus den Freundinnen knapp 20 Jahre später geworden ist.