In einem Internat für Gehörlose kreuzen sich schicksalhaft die Wege einer Lehrerin und dreier Jugendlicher.
Charlie, die rebellische Neue an der River Valley School, kämpft mit ihren Gefühlen und damit, sich verständlich zu machen, denn bisher hatte sie keinen Kontakt zur Gemeinschaft der Gehörlosen. Austin gilt als Überflieger, doch seine Welt gerät ins Wanken, als seine kleine Schwester hörend geboren wird. Und Schulleiterin February Waters weigert sich zu akzeptieren, dass ihre Schule schließen muss – und ihre Ehe womöglich vor dem Aus steht. Als Charlie und Austin zusammen mit einem weiteren Schüler aus dem Internat verschwinden, beginnt für February ein Wettlauf gegen die Zeit.
Rezension:
Charlie ist gehörlos und trägt ein Cochlea-Implantat. Ihre Eltern wollten, dass sie wie andere Kinder aufwächst, weshalb sie auf eine herkömmliche Schule gegangen ist und bisher nicht die Gebärdensprache gelernt hat. Charlie ist mit dem Implantat unglücklich und könnte sie selbst entscheiden, würde sie es nicht tragen. Als sie auf ein Internat für Gehörlose wechselt, hält sie sich erstmalig in einer Gemeinschaft von Gehörlosen auf uns muss die Gebärdensprache ganz von vorn lernen.
Dort lernt sie Austin kennen, der nicht spricht und nur die Gebärdensprache beherrscht. Er stammt aus einer Familie von Gehörlosen, seine Großeltern und seine Mutter sind gehörlos und sein Vater arbeitet als Gebärden-Dolmetscher. Als seine Schwester geboren wird und hören kann und sein Vater sie als "perfekt" bezeichnet, ist Austin wie vor den Kopf gestoßen.
February Waters ist Direktorin des Internats, das sie mit viel Empathie für ihre Schüler leitet. Sie ist hörend, beherrscht jedoch die Gebärdensprache, da ihre Mutter gehörlos ist. Als sie privat und beruflich gleichzeitig zu kämpfen hat, da die Sorgen um ihre Mutter zunehmen, ihre Ehe kriselt und das Internat aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden soll, verschwinden ausgerechnet noch drei ihrer Schüler spurlos.
Die Autorin Sara Nović ist selbst gehörlos, erlebte den Hörverlust allerdings erst im Lauf ihres Lebens, weshalb sie beide Welten gut kennt und genau das merkt man ihrem Roman an. Auf sehr authentische Weise beschreibt sie das Leben von Gehörlosen und das ihrer Angehörigen mit allen Problemen und Verständnisschwierigkeiten, die es gibt.
In "Klartext" erzählt sie nicht nur von drei ganz unterschiedlichen persönlichen Schicksalen im Zusammenhang mit der Gehörlosigkeit, sondern vermittelt auch in Einschüben zwischen den einzelnen Kapitel Sachwissen über die Gebärdensprache und den historischen gesellschaftlichen und politischen Umgang mit der Gehörlosigkeit.
Es ist aufschlussreich und berührend zu erfahren, mit welchen Widrigkeiten Gehörlose zu kämpfen haben, wie Gebärdensprache in der Vergangenheit stigmatisiert und ausgemerzt wurde und wie sie von hörenden Angehörigen als peinlich empfunden werden kann. Gleichzeitig ist es bewegend zu sehen, wie hörende Eltern sich ein "normales", einfaches Leben für ihre gehörlosen Kinder wünschen und sie damit erst recht als Menschen mit Behinderung einordnen. So ist es bei Charlie der Fall, für die das Cochlea-Implantat kein Allheilmittel, was sie insbesondere ihrer Mutter nicht vermitteln kann, sie es im Gegenteil als belastend empfindet und sich am Ende als ernstzunehmende Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit herausstellt.
"Klartext" ist eine Mischung aus Own-Voice-Roman, Coming-of-Age-Geschichte und Familiendrama, der beiläufig viele Informationen zur Gehörlosigkeit vermittelt. Es ist vielschichtiger und empathischer Roman, der einen mitreißenden Einblick in die Gemeinschaft und Kultur der Gehörlosen bietet und eine berührende Geschichte mit lebensechten und liebenswerten Charakteren über Zusammenhalt und Verbundenheit, aber auch über Verantwortung, Selbstvertrauen und den Mut, für seine Ideale zu kämpfen und seinen eigenen Weg zu gehen. Es ist ein augenöffnender Roman für mehr Verständnis, Inklusion, Diversität und das Recht auf Selbstbestimmung.
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