Seiten

Freitag, 30. Mai 2025

Buchrezension: Claire Douglas - Perfect Crime: Wenn niemand dir glaubt

Inhalt:

Als erfolgreiche Autorin kennt Emilia menschliche Abgründe nur aus ihren eigenen Büchern. Bis zu dem Tag, an dem ein schreckliches Unglück ihr wohlbehütetes Leben in der Londoner Vorstadt aus der Bahn wirft. Der Vorfall stammt unverkennbar aus ihrem aktuellen Thriller. Doch wie kann das sein? Nur eine Handvoll Menschen kennt den Inhalt ihres unveröffentlichten Krimis und kommt als Täter infrage. Emilia beginnt auf eigene Faust zu ermitteln und muss mit Grauen feststellen, dass jeder in ihrem Umfeld Geheimnisse hütet – die Freundin, der sie alles anvertraut, der Vater, der immer an ihrer Seite war. Und sogar ihr Ehemann, neben dem sie jeden Abend friedlich einschläft. Emilia weiß, dass alle lügen. Doch wer von ihnen trachtet nach ihrem Leben? 

Rezension:

Emilia Ward ist erfolgreiche Thrillerautorin und lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern in einem Vorort von London. Sie hat gerade ihr letztes Buch beendet, was gleichzeitig das Ende ihrer beliebten Reihe um DI Miranda Moody sein soll, als sie sich einer Anzahl von Schikanen ausgesetzt sieht. Ein Stalker bedroht sie und ihre Familie auf subtile Art und verwendet dabei Teile der Handlungen ihrer Romane. Als Emilia dabei mit Teilen ihres neuen Buches konfrontiert wird, das noch gar nicht erschienen ist, bekommt sie es mit der Angst zu tun. Sie kann niemandem aus ihrem Umfeld mehr trauen, der ein Vorabexemplar erhalten hat und gibt sich selbst die Schuld an den Vorkommnissen, denn auch sie hat gelogen.

"Perfect Crime - Wenn niemand dir glaubt" wird überwiegend aus der Perspektive Emilias erzählt. Daneben gibt Kapitel aus der Sicht der Kommissarin, die im Fall des "Gottesanbeterinnen-Mörders" ermittelt und aus der Sicht von Daisy, deren Mutter ermordet wurde und die auf eigene Faust ermittelt, denn der Täter konnte nie gefasst werden.

Der Thriller ist raffiniert aufgebaut, denn nach einem grauenhaften Ereignis scheint sich die Realität mit dem Inhalt von Emilias neuem Roman zu vermischen. Plötzlich ist nicht mehr nur unklar, wer Emilia bedroht, sondern auch, was Wirklichkeit und was Fiktion ist.

Nach einem gemächlichen Einstieg entwickelt sich die Geschichte nicht nur durch die Schikanen zunehmend spannender. Die Geschichte ist packend, mysteriös und wendungsreich, indem wechselseitig Figuren in den Mittelpunkt rücken und sich verdächtig verhalten. Während es der Polizei anfangs schwer fällt, die richtigen Schlüsse zu ziehen und die Verbindung zwischen Emilia und dem Fall eines Serienmörders zu erkennen, scheint Emilia auf sich allein gestellt, einen Mörder zu entlarven, der aus ihrem eigenen Umfeld stammen muss. 

Das Gefühl einer andauernden Gefahr für Emilia und ihre Familie ist durchgehend vorhanden, was für Spannung sorgt. Dass sich der Thriller weitgehend unblutig entwickelt, tut dem keinen Abbruch. "Perfect Crime" ist ein raffiniertes Verwirrspiel, das keinen Nervenkitzel auslöst, aber gut unterhält und sich am Ende schlüssig auflöst. 


Mittwoch, 28. Mai 2025

Buchrezension: Felicitas Fuchs - Die Akte Schneeweiß

Inhalt:

Bielefeld, 1963. Katja Schilling wächst im Wirtschaftswunder in einfachen Verhältnissen auf, in denen für ihren Traum, Ärztin zu werden, kein Platz ist. Nur ihr Großvater glaubt an sie – bis er eines Tages spurlos verschwindet. Sein Name wird in der Familie zum Tabu, und Katja bleibt mit ihren unbeantworteten Fragen allein. Jahre später stößt sie auf eine Wahrheit, die alles, was sie über ihre Familie zu wissen glaubte, erschüttert. 
Bielefeld, 1936. Mathilde Schneeweiß beginnt ihre Arbeit als Sprechstundenhilfe bei Dr. Bönisch. Sie verliebt sich in den engagierten Arzt und wird in ein gefährliches Unterfangen hineingezogen. Gemeinsam helfen sie heimlich Frauen in Not, aber ihr Mut bleibt nicht unbemerkt. Als sie ins Visier der Gestapo geraten, muss Mathilde eine Entscheidung treffen, auch wenn diese sie das Leben kosten könnte. Der Kampf für die Rechte der Frauen muss schließlich weitergehen. 

Rezension:

Im Jahr 1963 ist Katja 14 Jahre alt und träumt davon, Ärztin zu werden. Ihre Eltern sind konservativ und halten nichts von den beruflichen Ambitionen ihrer ältesten Tochter. Ihrem Großvater Dom, der sie in allem unterstützt, steht sie nah, doch er verbirgt ein Geheimnis und ist plötzlich verschwunden. In der Familie darf sein Name nicht mehr erwähnt werden und Katja versteht nicht, warum. Erst Jahre später, als Katja tatsächlich Medizin studiert, begreift sie, was er getan hat und findet mehr über die Geschichte ihrer Familie heraus, was bis in die Zeit des Nationalsozialismus zurückführt.
Mathilde arbeitet 1936 noch in einem jüdischen Haushalt, als ihre Herrschaften fliehen und ihr eine Anstellung als Arzthelferin bei einem Gynäkologen vermitteln. Geschickt übernimmt sie schon bald die Aufgaben und verliebt sich dabei in Dr. Bönisch, der den Nationalsozialisten nicht wohlgesonnen ist. Nach einem tragischen Ereignis ist Mathilde jedoch gezwungen für die Gestapo zu arbeiten, um ihre Familie zu schützen, was sie jedoch immer schwerer mit ihrem Gewissen vereinbaren kann. 

Der Roman handelt auf zwei Zeitebenen und wird aus mehreren Perspektiven erzählt, wobei in der Vergangenheit von 1936 bis 1949 Mathilde Schneeweiß und in der Gegenwart von 1963 bis 1978 Katja Schilling im Vordergrund stehen. 
Beide sind ambitionierte, starke Frauen, die für ihre Überzeugungen einstehen und sich nicht so schnell unterkriegen lassen. 

Die Geschichte führt in dunkle Zeiten der deutschen Historie zurück und auch wenn der Krieg und das Leid der Menschen nicht in blutigen Details geschildert wird, ist die Geschichte eindrücklich und bewegend. 
Sehr anschaulich werden das Zeitgeschehen und die gesellschaftlichen Konventionen beschrieben und man taucht unmittelbar in die Lebenswirklichkeit der Protagonisten ein. 

Beide Zeitebenen sind inhaltlich und in der Person von Opa Dom eng miteinander verbunden. Der Roman handelt von Widerstand und Zivilcourage, von medizinischer Versorgung und Frauenrechten. Die Geschichte ist dabei abwechslungsreich und unterhaltsam, denn trotz des Wiederauflebens der dunklen Kapitel der deutschen Geschichte gibt es auch viele heitere und beschwingte Szenen, wenn sich die jungen Frauen klammheimlich auflehnen oder Liebe und Fürsorge erfahren. Zudem werden im Verlauf der vier Jahrzehnte laufend neue Spannungsmomente gesetzt. Es wird nur zu deutlich, wie viel Unrecht geschehen ist, aber auch, dass es Menschen gab, die sich selbstlos und unter Einsatz ihres Lebens für andere eingesetzt haben. 

Spannend, dramatisch und bewegend schildert auch dieser historische Roman nicht zu vergessende Aspekte der deutschen Geschichte, legt einen Schwerpunkt auf die Rechte der Frauen und ihre körperliche Selbstbestimmung und verknüpft diese mit einer fiktiven Familiengeschichte, in der es das Verschwinden des Großvaters zu ergründen gilt. 


Montag, 26. Mai 2025

Buchrezension: Christine Brand - Vermisst: Der Fall Emily (Malou Löwenberg, Band 2)

Inhalt: 

Malou Löwenberg: rebellische und engagierte Ex-Polizistin, jetzt Privatdetektivin, spezialisiert auf Cold Cases. Sie will Menschen finden, die seit Langem vermisst sind. Ihre erste Klientin ist Vera König, die seit vier Jahren nach ihrer Tochter sucht. Emily wäre heute sieben, und Vera ist überzeugt, dass sie noch lebt. Malou stößt bei ihren Ermittlungen auf die Spur eines internationalen Kinderhändlerrings. Doch auch Emilys Vater verhält sich höchst verdächtig. Plötzlich macht Malou eine schockierende Entdeckung und blickt in Abgründe, die sie nie für möglich gehalten hätte. 

Rezension:

Malou Löwenberg hat bis vor Kurzem noch als Kommissarin im Morddezernat Bern gearbeitet und sich selbstständig gemacht, um als Privatermittlerin Fälle von vermissten Personen aufzuklären. Als erste ernstzunehmende Klientin wendet sich die etwa gleichaltrige Vera König an sie, die seit vier Jahren ihre Tochter vermisst. Emily verschwand als Vierjährige spurlos von einem Spielplatz und Vera ist überzeugt, dass sie noch am Leben ist. Malou nutzt die erste unaufgeklärte Spur zum Kindsvater und gelangt damit nach Paris. Dort ermittelt die Polizei im Fall eines Menschenhändlerrings, der sich darauf spezialisiert hat, Kinder als Taschendiebe einzusetzen. Während Malou noch von einer weiteren Klientin kontaktiert wird, die den Vater ihres ungeborenen Kindes ausfindig machen möchte, sucht Malou auch weiterhin nach ihrer eigenen Mutter, die sie niemals kennenlernen konnte. 

"Vermisst - Der Fall Emily" ist nach "Vermisst - Der Fall Anna" der zweite Band der Krimireihe um die Berner Ex-Polizistin Malou Löwenberg, die als Findelkind ein Faible für Cold Cases hat. Sie weiß, wie es ist, jemanden zu vermissen und seine Herkunft nicht zu kennen und möchte deshalb auch nicht, dass andere Vermisstenfälle in Vergessenheit geraten. 

Malou ermittelt erstmals als Privatdetektivin und stellt sich häufig nicht ganz geschickt an, da die Polizistin noch in ihr steckt, die mehr Kompetenzen hat und unmittelbaren Zwang ausüben kann. Als Privatperson fehlt ihr das bei ihren Befragungen, denn niemand ist so einfach gewillt, mit ihr zu sprechen. Malou ist deshalb weiterhin auf Kollegen und Kolleginnen aus dem Polizeiapparat angewiesen, die sie bereitwillig, selbst auf internationaler Ebene, unterstützen. 

Mehrere Handlungsstränge und mehrere Perspektiven sorgen in Band 2 für Spannung. Er handelt nicht nur von dem Fall der seit Jahren vermissten Emily, sondern am Rande auch von Malous persönlicher Suche nach ihrer Mutter, in der sie einen ersten Anhaltspunkt durch einen Brief hat. Darüber hinaus wendet sich noch eine jüngere Klientin mit einem Auftrag an sie und sie lernt in Paris den attraktiven Undercover-Ermittler Alex kennen, der im Fall eines Kinderhändlerrings ermittelt. 
Die Geschichte ist damit vielschichtig und abwechslungsreich. Das Privatleben von Malou wird fortgesetzt, während die unterschiedlichen Fälle komplex sind und Malou nicht von Rückschlägen verschont wird. Aber auch die Verzweiflung der Mutter, die ihr Kind sucht und es immer wieder in anderen Kindern sieht, ist nachvollziehbar und berührend dargestellt. 

Der Roman ist durchgehend spannend und im Hinblick auf Malous erste Klientin undurchsichtig, was zu immer mehr Fragen statt Antworten führt. Auch wenn frühzeitig zu spüren ist, in welche tragische Richtung der Fall Emily sich entwickelt, ist es packend zu lesen, wie und was Malou herausfinden und ob es dabei tatsächlich Verbindungen mit den Ermittlungen in Paris geben wird. Da es sich um Kinder handelt, die vermisst sind oder entführt worden und der Verdacht besteht, dass diese von Kriminellen zu ihren Zwecken psychisch oder physisch missbraucht, sind die Kriminalfälle besonders erschütternd.  

"Vermisst - Der Fall Emily" ist ein dramatischer, authentischer Kriminalfall, der mir noch besser gefallen hat als Band 1In Bezug auf den "Fall Emily" bleiben am Ende keine Fragen offen, ihre Eltern hat Malou jedoch immer noch nicht ausfindig machen können, was Hoffnung auf eine Fortsetzung der Buchreihe macht. 

Freitag, 23. Mai 2025

Buchrezension: Sara Nović - Klartext

Inhalt:

In einem Internat für Gehörlose kreuzen sich schicksalhaft die Wege einer Lehrerin und dreier Jugendlicher.
Charlie, die rebellische Neue an der River Valley School, kämpft mit ihren Gefühlen und damit, sich verständlich zu machen, denn bisher hatte sie keinen Kontakt zur Gemeinschaft der Gehörlosen. Austin gilt als Überflieger, doch seine Welt gerät ins Wanken, als seine kleine Schwester hörend geboren wird. Und Schulleiterin February Waters weigert sich zu akzeptieren, dass ihre Schule schließen muss – und ihre Ehe womöglich vor dem Aus steht. Als Charlie und Austin zusammen mit einem weiteren Schüler aus dem Internat verschwinden, beginnt für February ein Wettlauf gegen die Zeit. 

Rezension:

Charlie ist gehörlos und trägt ein Cochlea-Implantat. Ihre Eltern wollten, dass sie wie andere Kinder aufwächst, weshalb sie auf eine herkömmliche Schule gegangen ist und bisher nicht die Gebärdensprache gelernt hat. Charlie ist mit dem Implantat unglücklich und könnte sie selbst entscheiden, würde sie es nicht tragen. Als sie auf ein Internat für Gehörlose wechselt, hält sie sich erstmalig in einer Gemeinschaft von Gehörlosen auf uns muss die Gebärdensprache ganz von vorn lernen. 
Dort lernt sie Austin kennen, der nicht spricht und nur die Gebärdensprache beherrscht. Er stammt aus einer Familie von Gehörlosen, seine Großeltern und seine Mutter sind gehörlos und sein Vater arbeitet als Gebärden-Dolmetscher. Als seine Schwester geboren wird und hören kann und sein Vater sie als "perfekt" bezeichnet, ist Austin wie vor den Kopf gestoßen. 
February Waters ist Direktorin des Internats, das sie mit viel Empathie für ihre Schüler leitet. Sie ist hörend, beherrscht jedoch die Gebärdensprache, da ihre Mutter gehörlos ist. Als sie privat und beruflich gleichzeitig zu kämpfen hat, da die Sorgen um ihre Mutter zunehmen, ihre Ehe kriselt und das Internat aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen werden soll, verschwinden ausgerechnet noch drei ihrer Schüler spurlos. 

Die Autorin Sara Nović ist selbst gehörlos, erlebte den Hörverlust allerdings erst im Lauf ihres Lebens, weshalb sie beide Welten gut kennt und genau das merkt man ihrem Roman an. Auf sehr authentische Weise beschreibt sie das Leben von Gehörlosen und das ihrer Angehörigen mit allen Problemen und Verständnisschwierigkeiten, die es gibt. 
In "Klartext" erzählt sie nicht nur von drei ganz unterschiedlichen persönlichen Schicksalen im Zusammenhang mit der Gehörlosigkeit, sondern vermittelt auch in Einschüben zwischen den einzelnen Kapitel Sachwissen über die Gebärdensprache und den historischen gesellschaftlichen und politischen Umgang mit der Gehörlosigkeit. 

Es ist aufschlussreich und berührend zu erfahren, mit welchen Widrigkeiten Gehörlose zu kämpfen haben, wie Gebärdensprache in der Vergangenheit stigmatisiert und ausgemerzt wurde und wie sie von hörenden Angehörigen als peinlich empfunden werden kann. Gleichzeitig ist es bewegend zu sehen, wie hörende Eltern sich ein "normales", einfaches Leben für ihre gehörlosen Kinder wünschen und sie damit erst recht als Menschen mit Behinderung einordnen. So ist es bei Charlie der Fall, für die das Cochlea-Implantat kein Allheilmittel, was sie insbesondere ihrer Mutter nicht vermitteln kann, sie es im Gegenteil als belastend empfindet und sich am Ende als ernstzunehmende Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit herausstellt.  

"Klartext" ist eine Mischung aus Own-Voice-Roman, Coming-of-Age-Geschichte und Familiendrama, der beiläufig viele Informationen zur Gehörlosigkeit vermittelt. Es ist vielschichtiger und empathischer Roman, der einen mitreißenden Einblick in die Gemeinschaft und Kultur der Gehörlosen bietet und eine berührende Geschichte mit lebensechten und liebenswerten Charakteren über Zusammenhalt und Verbundenheit, aber auch über Verantwortung, Selbstvertrauen und den Mut, für seine Ideale zu kämpfen und seinen eigenen Weg zu gehen. Es ist ein augenöffnender Roman für mehr Verständnis, Inklusion, Diversität und das Recht auf Selbstbestimmung. 

Mittwoch, 21. Mai 2025

Buchrezension: Vera Buck - Der dunkle Sommer

Inhalt:

Ein Haus in Italien für einen Euro: Für die deutsche Architektin Tilda ist die verfallene Villa auf Sardinien ein Glücksgriff. Sie will alle Brücken hinter sich abbrechen und stürzt sich in die Renovierung. Doch die vermeintliche Idylle des verwinkelten Ortes trügt. Ist das Geisterdorf wirklich so verlassen, wie es den Anschein hat? Sonntags läuten die Glocken, und Unbekannte behaupten, ein Fluch liege auf Tildas Haus. Zusammen mit dem Journalisten Enzo, der die Geschichte des Dorfes erforscht, versucht Tilda herauszufinden, was hier geschehen ist. Doch der einzige Bewohner, der mehr weiß, ist der alte Silvio. Und der schweigt beharrlich. Als plötzlich Tildas jüngerer Bruder Nino vor ihrer Tür steht, lässt Tilda ihn zähneknirschend bei sich unterkommen. Er bringt Erinnerungen mit, die sie dringend vergessen will. Dann verschwindet Nino auf mysteriöse Weise. Getrieben von der verzweifelten Suche nach ihm offenbart sich Tilda und Enzo im schroffen Hinterland der Insel eine Wahrheit, die düsterer ist als jede Geistergeschichte – und die eng mit Tildas eigener Vergangenheit verwoben scheint. 

Rezension:

Tilda ist Architektin mit italienischen Wurzeln und nach einem traumatischen Ereignis und einer erdrückenden Schuld auf der Suche nach einem neuen Anfang. Auf Sardinien kauft sie sich in eine Villa in dem verlassenen Geisterdorf Botigalli. Was sie nicht weiß, ist dass sich in dem Haus ein Massaker mit unzähligen Toten ereignet hat.
Enzo ist Journalist und arbeitet ehrgeizig an einem Buchprojekt. Er möchte endlich aufklären, was vor 40 Jahren in Botigalli passiert ist. Beharrlich versucht er dem einzig Überlebenden der Katastrophe die Wahrheit zu entlocken. Doch der verbitterte alte Mann schweigt.

Der Roman ist aus mehreren Perspektiven geschrieben und handelt auf zwei Zeitebenen. In der Gegenwart flieht Tilda vor ihrer eigenen Vergangenheit und wird ungewollt mit der Vergangenheit des Ortes konfrontiert, in dem sie sich niederlässt, die noch viel dunkler ist. Zu allem Überfluss verschwindet in dem überhitzten Sommer auch noch ihr Bruder Nino, der bei ihr nach einem Bankrott Zuflucht gesucht hatte. Unterstützung bei ihrer Suche erhält Tilda von Enzo, der ihr von früheren Verbrechen erzählt und dem die Insel mit ihren Geheimnissen zunehmend zuwider ist.

Die Vergangenheit schildert den Sommer 1982, beginnend von dem euphorischen Fußball-WM-Sieg Italiens gegen Deutschland, bis zu den Ereignissen, die zur Eskalation auf einer Hochzeitsfeier führten und aus Botigalli einen Geisterort machten.

Daneben gibt es einzelne Abschnitte aus der Sicht eines Entführungsopfers, die beklemmend sind.

Die Geschichte braucht ein wenig, bis sie an Fahrt aufnimmt und nach persönlichen Tragödien die Verbrechen in den Fokus rücken. Die Stimmung ist sowohl in der Gegenwart als auch der Vergangenheit trotz des Sommers und der heißen Temperaturen und dem Setting auf einer Urlaubsinsel düster und bedrohlich. Vor allem die Vergangenheit bringt Erschütterndes zutage, was besonders schwer wiegt, da sie von realen Ereignissen inspiriert ist. Das Massaker ist dabei nur das katastrophale Ergebnis aus Gier, Schuld und Anarchie. 
Die Geschichte prangert eine gewalttätige, patriarchale Struktur in Italien an, die Verbrechen zur Bereicherung außerhalb staatlicher Sanktionierung ermöglicht. 

Der Roman ist spannend und dramatisch, wird jedoch nicht den Erwartungen eines düsteren Thrillers voller Nervenkitzel gerecht, auch wenn es für die Protagonisten gefährliche Situationen gibt. Alle Handlungsstränge fließen am Ende logisch zusammen, wobei die handelnden Figuren idealistisch eng mit einander verknüpft sind, was sich zumindest in Teilen frühzeitig erahnen lässt.


Montag, 19. Mai 2025

Buchrezension: Sara Goodman Confino - Sommer fängt mit Freiheit an


Inhalt:

New York, 1960. Als Marilyn Kleinman beim Knutschen mit dem Sohn des Rabbiners erwischt wird, schicken ihre Eltern sie den Sommer über zu ihrer Großtante Ada. Wenn irgendjemand den Ruf ihrer Tochter retten kann, dann ist es Philadelphias führende Heiratsvermittlerin. Zu Marilyns Überraschung ist Ada nicht die humorlose Siebzigjährige, die ihre Mutter beschrieben hat. Ada trägt platinblondes Haar, einen Hermès-Schal und fährt Cadillac. Sie ist scharfsinnig, geradeheraus, und sie lebt ein unabhängiges Leben, wie es für Frauen in dieser Zeit kaum denkbar ist. Für Marilyn wird es ein unvergesslicher Sommer, der letzte, bevor der Ernst des Lebens beginnt und sie sich entscheiden muss, welchen Weg sie gehen will. 

Rezension:

Nachdem die 20-jährige Marilyn Kleinman beim Knutschen mit dem Sohn des Rabbis vor der gesamten jüdischen Gemeinde erwischt wurde, ziehen ihre Eltern die Konsequenzen und schicken Marilyn für einen Sommer von New York zu ihrer Großtante nach Philadelphia. Ada arbeitet dort erfolgreich als Heiratsvermittlerin und soll Marilyn mit einem strengen Blick unter ihre Fittiche nehmen. Marilyn ist von der Vorstellung einer Anstandsdame wenig angetan und ist umso überraschter, als sie Ada kennenlernt. Trotz der Regeln, die Ada für Marilyn aufstellt, ist sie weniger konservativ als gedacht. Zudem schätzt Marilyn sie für ihre Selbstständigkeit, was im Jahr 1960 alles andere als selbstverständlich ist. 
Marilyn lässt sich dennoch nicht so einfach bändigen und möchte den Sommer an der Küste New Jerseys nach ihren Vorstellungen genießen. Sie unterstützt ihre Großtante bei ihrer Tätigkeit als Schadchen und setzt sich selbst über das Verbot hinweg, mit den Heiratskandidaten zu flirten, bevor sie ihre Lektion lernt und sich darauf besinnt, was ihr im Leben tatsächlich wichtig ist. 

Marilyn benimmt sich zunächst wie ein rebellischer Teenager und wirkt damit deutlich jünger als ihre 20 Jahre. In der New Yorker Oberschicht aufgewachsen, ist sie privilegiert und verwöhnt, unerfahren und naiv. Nach ihrem Fehltritt, der für die Familie rufschädigend ist, ziehen die Eltern die Reißleine und befördern sie als erzieherische Maßnahme zur Tante ihrer Mutter. Auch dort ist Marilyn unter den strengen Augen ihrer Großtante zunächst uneinsichtig und geht eine Liaison mit einem von Adas Heiratskandidaten ein. 

Fast zu spät lernt Marilyn, dass die Ratschläge ihrer Tante lebenserfahren und hilfreich sind. Trotz ihrer Strenge mag Marilyn Ada, die ein gutes Herz hat, schlagfertig und frech ist und sich ein eigenes Unternehmen aufgebaut hat, das sie unabhängig macht. Für Marilyn ist nichts wichtiger als ihre Freiheit, weshalb sie nicht früh heiraten möchte. Sie träumt davon, Schriftstellerin zu werden und wird von ihrer Tante dabei unterstützt, ein Buch zu schreiben. Schon bald kann sich Marilyn eine Rückkehr nach New York in den goldenen Käfig ihrer Eltern nicht mehr vorstellen. 

"Sommer fängt mit Freiheit an" ist eine unterhaltsame Sommerlektüre, die an den Strand New Jerseys entführt und beschreibt, wie eine privilegierte, unerschrockene junge Frau, heranreift und erwachsen wird. Auch wenn Marilyn die Hauptfigur ist, lebt das Buch insbesondere von Ada und ihren prägnanten Botschaften und wie sie mit einer Mischung aus Strenge und Nachsichtigkeit ihre Nichte auf den rechten Weg führt. 
Dabei bildet der Roman das Sittengemälde der 1960er-Jahre ab und zeichnet den Charakter zweier emanzipierter Frauen, die ihrer Zeit voraus sind. Die damalige Zeit wird anschaulich durch liebevolle Details über Konventionen und Gesellschaft beschrieben und verbindet sie mit der fiktiven Geschichte, was ihr noch mehr Authentizität verleiht, auch wenn der Verlauf zum Schluss sehr geradlinig ist.  


Samstag, 17. Mai 2025

Buchrezension: Genevieve Novak - No hard Feelings

Inhalt:

Wenn Penny sich mit ihren Freunden vergleicht, schneidet sie gar nicht gut ab. Annie wird Partnerin in einer Kanzlei, Bec hat sich verlobt, Leo macht sorglos Party. Penny aber wartet ... auf Max, ihren On-Off-Freund, der nie zurückruft, auf die versprochene Beförderung, darauf, dass ihr richtiges Leben beginnt. Doch sie hat die Nase voll, alles soll sich ändern. Sie will es mit Max schaffen, ihre tyrannische Chefin beeindrucken und ihre Panikattacken in den Griff bekommen. Aber dann ist sie doch wieder auf Instagram unterwegs, wacht morgens mit einem Kater auf und schwelgt in Selbstkritik. Aber wenn sich schlechte Gewohnheiten so gut anfühlen, wie kann man dann wissen, was richtig für einen ist? 

Rezension:

Penny ist 26 Jahre alt, wohnt in Melbourne und arbeitet im Marketing. Von ihrer Vorgesetzten fühlt sie sich nicht ernst genommen und die versprochene Beförderung liegt in weiter Ferne. Ihren zwei besten Freundinnen Annie und Bec schüttet sie regelmäßig ihr Herz aus, per Gruppenchat oder bei dem ein oder anderen Drink. Verschiedene Dates haben zu nichts als Frust geführt und eigentlich hängt Penny auch noch viel zu sehr an Max, der sich jedoch nicht auf eine monogame Beziehung einlassen möchte. In der Hoffnung, dass er seine Meinung ändert, trifft sie sich dennoch mit ihm und leidet. Das wiederum führt zu Stress mit ihren Freundinnen, bei denen es im Leben besser zu laufen scheint. Bec ist glücklich verlobt und Annie als Anwältin beruflich erfolgreich. 
Penny hadert mit sich, fühlt sich mies, leidet unter Panikattacken und geht ab und an zu einer Therapeutin. Doch da ist auch noch ihr Mitbewohner Leo, der kein Date auslässt, aber immer für sie da ist, wenn sie wieder einmal allein und frustriert ist. 

Der Roman ist aus der Ich-Perspektive von Penny geschildert, die nicht mit Selbstkritik spart. Ihre positiven Seiten nimmt sie kaum wahr, betont lieber ihre Misserfolge und wertet sich selbst damit am meisten ab. Sie wünscht sich einen Partner, hat von ersten Dates aber die Nase voll und im Job verkauft sie sich unter Wert. 

Es fällt leicht, sich in Penny hineinzuversetzen, die sich stetig mit anderen vergleicht, die vermeintlich besser oder glücklicher sind. Sie hält sich an einer toxischen Beziehung fest, in der sie ihr langjähriger Loveinterest nur sehen möchte, wenn es ihm gerade passt und er Lust auf sie hat. Ihr Verhalten führt dazu, dass ihre Freundinnen zunehmend genervt von ihr sind und ihr Verhältnis angespannt ist. 

Es ist eine authentische, lebendige und sehr unterhaltsame Erzählung über eine junge Frau, die meint, nicht zu genügen und das auch nach außen so darstellt. In vielen Alltagsszenen am Arbeitsplatz, im Kontakt mit Freundinnen und ihrem On-Off-Lover oder dem Zusammenleben mit Leo wird deutlich, dass Penny in einer Spirale aus Selbstzweifeln gefangen ist, in der Anspruch und Wirklichkeit kollidieren. 
Die Geschichte entwickelt sich wenig überraschend, sondern so, wie man einen Weg zu mehr Selbstfürsorge erwartet. Sie handelt von Unsicherheiten und Ängsten, wie sie jede(r) nachvollziehen kann. Auch wenn die Hauptfigur in Teilen überspitzt dargestellt wird, ist sie eine Identifikationsfigur der Generation Z.

Veränderungen passieren nicht von heute auf morgen und so braucht auch Penny, bis sie Schritte in die richtige Richtung macht, sich von dem löst, was sie bremst und verletzt und liebevoller mit sich selbst umgeht, sich um ihre eigenen Bedürfnisse kümmert und nicht mehr nur wünscht, dass dies andere tun. 
"No hard feelings" ist ein lebensnaher, warmherziger Roman mit einer zeit- und alterslosen Botschaft: sei nicht so hart zu dir selbst!


Freitag, 16. Mai 2025

Buchrezension: Abby Jimenez - Just for the Summer

Inhalt:

Nicht alles läuft in Justins Leben rund. Jede Frau, die er länger als einen Monat datet, findet nach der Trennung ihr Happy Ever After, aber er bleibt jedes Mal allein zurück. Und als ein von ihm abgesetzter Reddit-Post viral geht, kann er sich nicht mehr vor Nachrichten retten – alle von Frauen, die ihn treffen und dann abservieren wollen, um anschließend den Mann fürs Leben zu finden. Doch dann erhält er eine Nachricht von Emma, der es genauso geht wie ihm. 
Emma liebt ihr unstetes Leben als reisende Krankenschwester. Mit ihrer besten Freundin Maddy kann sie das ganze Land kennenlernen und überall so lange bleiben, wie sie will. Nächster Stopp: Hawaii! Schade nur, dass ihr Dating-Leben alles andere als erfüllend ist, denn kein Mann scheint der Richtige für sie zu sein und nach ihr direkt seiner großen Liebe zu begegnen. Aber als sie Justins Reddit-Post sieht, slidet sie in seine DMs, und die Chemie zwischen den beiden stimmt sofort. Um den "Dating-Fluch" zu brechen, unter dem die beiden leiden, beschließen sie, sich gegenseitig zu daten, und für Emma und Maddy geht es statt nach Hawaii erstmal nach Minneapolis ins Royaume Northwestern Hospital. Klingt doch nach dem perfekten Plan und als könnte nichts schiefgehen, oder? 
Doch auf Justin und Emma wartet viel mehr als nur ein harmloser Sommerflirt, denn sie beide haben mit eigenen Schicksalsschlägen zu kämpfen, die ein gemeinsames Leben unmöglich erscheinen lassen. 

Rezension: 

Justin fühlt sich verflucht, denn jede Frau mit der er sich trifft, findet nach ihrer Trennung ihre große Liebe. Durch einen Reddit-Thread geht seine Annahme viral und einige Frauen möchten nun unbedingt mit ihm ausgehen, um anschließend ihren perfekten Partner zu finden. Eine Direktnachricht erhält er von Emma, die ihm ein ähnliches Problem schildert. Um den Fluch zu brechen, möchten sie sich zu Dates verabreden und sich trennen, um anschließend die Liebe ihres Lebens zu finden. 
Justin und Emma wohnen an unterschiedlichen Orten, aber Emma arbeitet als Springer-Krankenschwester und findet zusammen mit ihrer besten Freundin Maddy eine sechswöchige Anstellung in einem Krankenhaus in Justins Nähe in Minnesota. 
Beide möchten sich gemäß ihrer Erfahrungen mindestens viermal treffen, einmal küssen und nicht weitergehen, doch sie merken schon frühzeitig, wie viel sie für einander empfinden. Neben dem angeblichen Fluch und den Prinzipien, die sie für ihre Beziehung aufgestellt haben, sorgen ihre Mütter für weitere Probleme. Emma sieht ihre Mutter, die sie in ihrer Kindheit stark vernachlässigt hatte, nach zwei Jahren Abwesenheit wieder und Justin muss für längere Zeit die Vormundschaft für seine jüngeren Geschwister übernehmen. 

Bleibt es bei einer sechswöchigen Sommerliebe - passend zum Titel "Just for the Summer" oder hat die Liebe von Emma und Justin eine Zukunft? 
"Just for the Summer" ist Band 3 der Buchreihe "Part of your world", einer Liebesroman-Reihe, die im Umfeld des Royaume Northwestern Hospital handelt, wo Emma und Maddy in dem Sommer arbeiten. Alle Romane können unabhängig von einander gelesen werden. In einem Interview am Ende des Buches erklärt die Autorin die Zusammenhänge zwischen den Büchern und warum es mit einzelnen Figuren ein Wiedersehen gibt. 

Die Geschichte von Band 3 ist wechselnd aus den Perspektiven der beiden Hauptfiguren Emma und Justin geschildert. Auf diese Weise erhält man nicht nur Einblicke in die Gefühle und die Beziehung zu einander, sondern auch in ihren Alltag und die Lebenswelten, die nicht unbelastet sind. 

Emma ist aufgrund ihrer Kindheit traumatisiert und leidet unter nachvollziehbaren Bindungs- und Verlustängsten. Beständig an ihrer Seite ist ihre beste Freundin Maddy, die wie eine Schwester für sie ist und mit der sie die befristeten Anstellungen an Krankenhäusern gemeinsam absolviert. 

Justin arbeitet in der IT-Branche, ist jedoch kein Nerd, sondern ein kreativer Kopf. Sein Vater ist vor vier Jahren gestorben, was Auswirkungen auf die Familie hatte. Seine Mutter hat fatale Fehler gemacht und nun ist es an Justin, sich um seine jüngeren Geschwister zu kümmern. 

Emma und Justin haben nach dem Austausch von Nachrichten und Telefonaten einen Plan entwickelt, ihren Liebesfluch zu durchbrechen. Man spürt auf Anhieb die Chemie zwischen den beiden. Die Funken sprühen und auch wenn sie sich nicht in allem einig sind, passen sie perfekt zu einander. Sie sind empathisch und ehrlich zu einander, entwickeln Verständnis für die Probleme des anderen und sind für einander da. Vor allem Justin legt sich ins Zeug, um Emma von sich und Minnesota zu überzeugen und sie zum Bleiben zu bewegen. 
Man wünscht den beiden ihr Happy End und fragt sich gleichzeitig, wie sie die Hürden meistern werden, die sie trennen. 

"Just for the Summer" ist vielmehr als nur eine Sommerromanze, dafür aber auch weniger unbeschwert als zunächst gedacht. Der Aufhänger mit dem Beziehungsfluch ist witzig und originell, woraus sich eine lebensnahe Geschichte entwickelt, in der sich so einige Schwierigkeiten aus den Biografien der Hauptfiguren offenbaren. 
Die Geschichte ist romantisch, aber nicht kitschig, humorvoll, aber nicht albern. Sie ist voller liebenswerter, nahbarer Charaktere, die nachvollziehbare Probleme haben, die der Geschichte mehr Tiefe geben und zusätzliche Spannung erzeugen. Ein Liebesroman, der mich so positiv überrascht hat und damit neugierig auf die beiden anderen Bücher der Reihe macht, was durch das Interview der Autorin noch verstärkt wird. 

Mittwoch, 14. Mai 2025

Buchrezension: Sita Maria Frey - Tage wie Salzwasser

Inhalt:

Das Leben ist kausal, nur die Umstände sind selten perfekt. Dieser Gedanke kommt der Mathematikerin Atlanta, als sie tränenüberströmt in eine Radfahrerin rennt. Ihr Freund Malte hat wenige Monate zuvor eine radikale Entscheidung getroffen, und das, obwohl sie schwanger ist. Jetzt ein Unfall. Dabei wollte sie weg. Vielleicht zu jener Adresse auf Sizilien, die ihr Malte in seinem Notizbuch zurückgelassen hat? Die Frau mit dem Fahrrad, Enza, ist auch auf dem Weg nach Süden. Lieber würde sie daheim bleiben, bei ihrer Mutter, die bald sterben wird. Doch diese wünscht sich, dass Enza aufbricht, um die alten Familienbande wiederzubeleben: in Noto an der sizilianischen Ostküste. Ausgerechnet einer der Orte, die auch in Maltes Notizbuch stehen. Im strömenden Regen und auf einer alten Honda Rebel machen sich die beiden Frauen gemeinsam auf den Weg. Und plötzlich ist da ein Hauch von Leichtigkeit, vielleicht sogar Glück. Doch jeder Weg ist mehr als die Summe der Kilometer. 

Rezension: 

Atlanta ist studierte Mathematikerin und ein logisch denkender Zahlenmensch. Als sie trotz Pille unerwartet schwanger wird, ist sie verunsichert und fürchtet um ihre Karriere. Als dann auch noch ihr stets optimistischer Freund Malte wegbricht, wird Atlanta aus der Bahn geworfen. Verzweifelt klammert sie sich an sein Notizbuch mit vier Namen und Adressen, von denen sie sich Antworten erhofft.
Enza ist Inhaberin eines Fahrradladens und eine Einzelgängerin, die ein enges Verhältnis zu ihrer Mutter hat. Als Hilde ihr eröffnet, dass sie schwer krank ist, tut sie ihr den Gefallen und verspricht ihr nach Sizilien zu reisen, um die Angehörigen ihres verstorbenen Vaters kennenzulernen.
Atlanta und Enza begegnen sich zufällig durch einen Unfall und befinden sich wenig später gemeinsam auf der Reise in Richtung Noto.

Der Roman beginnt turbulent mit den ungewöhnlichen Umständen einer Geburt, geht dann fünf Monate zurück und erzählt von einem holprigen Roadtrip durch Europa und einer Bekanntschaft zweier ungleicher Frauen, die sich zögerlich näher kommen und einander auf ihrer Reise Halt geben.

Die spontane Route führt von Frankfurt bzw. Bad Vilbel über Freiburg, Marseille und Barcelona bis nach Sizilien. Atlanta und Enza sind Einzelkämpferinnen, die unterschiedliche Hoffnungen und Erwartungen an die Reise haben. Während Enza, die sich in vertrauter Umgebung am wohlsten fühlt, nur ihrer Mutter zuliebe aufbricht, schließt sich Atlanta aus einem Impuls heraus Enza an, um eine Erklärung für die Entscheidung ihres Freundes zu finden.

Abwechselnd aus der Perspektive der beiden Hauptfiguren geschildert, fühlt man mit beiden Frauen, die ihr Päckchen zu tragen haben, mit. Sie sind getrieben von Wut und Trauer, überfordert und voller Emotionen und treffen deshalb unorthodoxe und unüberlegte Entscheidungen. Sie haben mit Rückschlägen zu kämpfen und werden mit zahlreichen Hürden auf ihrem Weg konfrontiert, gehen jedoch stoisch weiter, als gäbe es nichts zu verlieren. 
Es ist regelrecht frustrierend, was sie auf ihren Zwischenstopps erleben. Man kann ihr Durchhaltevermögen nur bewundern, versteht jedoch auch, dass sie noch nicht zurück nach Hause können. Gepackt hofft man, dass sie auf ihrem Weg das finden, was sie sich erhoffen. Dass es Antworten auf offene Fragen gibt, dass Atlanta eine Erklärung für Maltes Flucht und Enza Trost finden wird.

"Tage wie Salzwasser" ist ein tränenreiches Buch über Tod und Verlust, über Abschiednehmen und Loslassen, aber auch über Hoffnung, Mut, Loyalität und Neuanfang - bittersüß und kraftvoll erzählt. 



Montag, 12. Mai 2025

Buchrezension: Emily Henry - Great Big Beautiful Life

Inhalt:

Alice Scott ist eine unverbesserliche Optimistin und träumt davon, eines Tages den Durchbruch als Autorin zu schaffen. Hayden Anderson ist Pulitzer-Preis-Gewinner und eine menschliche Gewitterwolke. Auf dem malerischen Little Crescent Island hoffen beide, die legendäre Margaret Ives – Tochter einer der skandalumwittertsten Familien des 20. Jahrhunderts – zu finden und ihre Biografie zu schreiben. Überraschend lädt die alte Dame beide zu einem Probemonat ein, an dessen Ende sie entscheiden wird, wer ihre Lebensgeschichte zu Papier bringen darf. Schnell wird klar, dass sie jedem von ihnen nur Bruchstücke ihres bewegten Lebens preisgibt. Da beide eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben haben, dürfen sie sich nicht untereinander austauschen – aber es gibt da noch ein größeres Problem: dieses gänzlich unpassende Verlangen, das zwischen ihnen tost, jedes Mal, wenn Alice und Hayden einander begegnen. 

Rezension

Alice Scott ist Journalistin und hat investigativ den Aufenthaltsort der berühmten Margaret Ives herausgefunden, die sich vor zwanzig Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatte. Alices Traum wird wahr, als sie die Chance erhält, die Memoiren von Margaret aufzuschreiben. Ihr Konkurrent ist der bekannte Autor und Pulitzer-Preisträger Hayden Anderson, der ebenfalls dafür nach Crescent Island gekommen ist. Beide werden von Margaret für einen Monat eingeladen, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Nach den vier Wochen möchte Margaret entscheiden, wer von ihnen das Buch schreiben darf.
Während Margaret weit ausholt, um ihr Leben zu erzählen und beginnend mit ihrem Urgroßvater unbekannte Details ihrer Familiengeschichte enthüllt, begegnen sich Alice und Hayden immer wieder auf der kleinen Insel. Sie versuchen sich ihrer gegenseitigen Anziehung zu entziehen, schließlich sind sie berufliche Konkurrenten.

Der Roman verbindet eine klassische Rivals-to-Lovers-Romanze mit einer biografischen Enthüllungsgeschichte. Die 33-jährige Alice sehnt sich nach Anerkennung und möchte deshalb unbedingt die Lebensgeschichte der geheimnisumwitterten Margaret Ives verfassen und verliebt sich dabei in ihren Konkurrenten Hayden, einen erfolgreichen, aber recht unterkühlten Autor.

Beide Erzählstränge sind langweilig und erschreckend belanglos. Keiner der Charaktere weckt ein Interesse, bleibt stattdessen unnahbar und blass. Die Liebesgeschichte, gegen die sich beide Figuren zunächst wehren, entwickelt sich emotionslos und ohne Feuer. Dass hier schon sehr früh die berühmten drei Worte genannt werden, ist nicht nachvollziehbar. Noch enttäuschender ist, dass auch die Geschichte in der Geschichte nichts hergibt. Margaret erzählt zunächst von ihren Vorfahren und wie ihre Familie zu ihrem Reichtum gekommen ist. Es sind Dinge, die sie selbst nicht erlebt haben kann, weshalb die Art der Erzählweise nicht überzeugt. Erst nach weit über der Hälfte des Romans geht es um Margaret selbst - die Prinzessin der Boulevardpresse - aber auch hier irritiert die Nacherzählung in der dritten Person statt in ihrer Ich-Perspektive. Zudem wird überhaupt nicht deutlich, was Margaret so besonders gemacht hat und warum Alice und Hayden ein reges Interesse an dieser Frau haben. Letztlich ist Margaret nur Tochter reicher Eltern und Ehefrau eines Musikers, dem "Elvis für Arme". Sie selbst zeichnet sich durch nichts aus. Bemerkenswert ist allenfalls der Grund für den Wunsch nach einer Transkription ihres Lebens, wobei die Vorgeschichte ihrer Ahnen keine Rolle spielt.

Die Idee zu dem Roman hätte zünden können, aber die Umsetzung überzeugt aufgrund des distanzierten Aufbaus der Erzählung und den unscheinbaren Figuren leider nicht.

Freitag, 9. Mai 2025

Buchrezension: Meike Werkmeister - Über den Wolken wohnen die Träume

Inhalt:

Eine Reise ins sonnige Kalifornien! Voller Vorfreude fliegt die 17-jährige Morlen nach Cardiff-by-the-Sea, einen kleinen Küstenort südlich von Los Angeles. Hier wirkt alles irgendwie größer als zu Hause auf Norderney: die Häuser, die hoch gewachsenen Palmen, die riesigen Pazifikwellen. Heather, eine alte Freundin ihrer Mutter, empfängt sie mit offenen Armen, doch die Stimmung zwischen ihr und ihrem Ehemann Gary ist längst nicht so gut wie das kalifornische Wetter. Während Morlen versucht, ihre Gefühle für Surferboy Charlie und Gastbruder Tom zu sortieren, träumt Heather insgeheim davon, selbst noch mal ein Abenteuer zu erleben. Werden sie beide ihr Glück finden? 

Rezension: 

Die 17-jährige Morlen hat genug von der Schule, der Enge ihrer Heimat Norderney und möchte reisen. Da trifft es sich gut, dass eine Freundin ihrer Mutter, die in einer Küstenstadt in Kalifornien wohnt, Unterstützung braucht, nachdem ein Au-pair kurzfristig abgesagt hatte. Geplagt vom Jetlag und der Entfernung von zu Hause, ist Morlen zunächst verunsichert und begreift die Dynamik der Familie Johnson nicht. Während Mutter Heather Morlen herzlich aufnimmt und auch Teenagerin Ellie ihr gegenüber aufgeschlossen ist, ist die kleine Hazel, um die sie sich aufgrund ihrer Diabetes kümmern soll, distanziert, der älteste Tom verhält sich ebenso zurückhaltend und Vater Gary glänzt überwiegend durch Abwesenheit.
Heather ist ausgebrannt, sorgt sich um ihre Kinder, die bis auf Ellie ihre Unterstützung verlangen, spürt, wie ihre Ehe kriselt und hat das Gefühl, in ihrem Leben etwas verpasst zu haben.

Der Roman ist wechselnd aus der Ich-Perspektive von Morlen und Heather geschrieben. Die Kapitel sind kurz und durch den Generationenunterschied vielseitig und abwechslungsreich. Beide haben mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen, wobei erst allmählich deutlich wird, worin diese begründet sind.

Die Stimmung ist sehnsüchtig. Morlen, die Norderney zuletzt als Gefängnis empfunden hat, fühlt sich erstmals frei, genießt die Zeit am Strand, das Surfen und die kalifornische Lebensart.
Durch Ellie lernt sie andere Jugendliche kennen, die den Sommer mit Surfen und Partys genießen. Einer von ihnen ist der selbstbewusste Charlie, der den Flirt mit Morlen sucht. Morlen fühlt sich allerdings zu ihrem Gastbruder Tom hingezogen, mit dem sie mehr verbindet.
Heather wollte schon immer früh Mutter sein und liebt ihr Familienleben. Sie fühlt sich allerdings von ihrem Mann alleingelassen und hat sich von ihm distanziert. Sie muss lernen, mehr auf sich zu achten und Aufgaben delegieren zu können.
Mit ihren Freundinnen trifft sie sich regelmäßig zum Surfen, wobei ihr Jackson begegnet, der ihr gerne mehr als nur Tipps beim Wellenreiten geben würde.

Mit dem Setting in Kalifornien ist "Über den Wolken wohnen die Träume" die perfekte Sommerlektüre, wobei die Geschichte nicht ganz unbeschwert ist. Er handelt von mental Health, Vertrauensverlust, Muttergefühlen und den damit verbundenen Ängsten, vom Erwachsenwerden und der ersten Liebe, von Selfcare und der Suche nach Glück.
Die Geschichte ist lebendig und lebensnah. 
Es fällt leicht, sich in die Figuren hineinzuversetzen und ihre Probleme nachzuvollziehen. Dabei zeigt sich, wie die Generationen von einander lernen und sich gegenseitig helfen können. Unabhängig vom Alter sind sie auf der Suche nach Liebe, Glück und Zufriedenheit, wobei der Wunsch nach einem Ausbruch aus dem Status quo laut wird. Der Roman ist nicht nur eine Reise zu einem Sehnsuchtsort, sondern auch eine Reise zu sich selbst.

Schon fast typisch für Meike Werkmeister gibt es Querverbindungen in frühere Romane. So sind Morlen bzw. ihre Mutter Maria aus "Sterne sieht man nur im Dunkeln" und "Über dem Meer tanzt das Licht" bekannt. Ihre Leben werden in "Über den Wolken wohnen die Träume" fortgesetzt, die Vorgeschichte ist zum Verständnis jedoch nicht notwendig.


Mittwoch, 7. Mai 2025

Buchrezension: Hannah Deitch - Killer Potential

Inhalt:

Evie Gordon gibt der Tochter einer reichen Familie in Beverly Hills Nachhilfestunden. Bis sie eines Tages die Eltern tot im Garten findet: Mr Victor ertränkt im Pool, seine Ehefrau mit einem Stein erschlagen. Als Evie die Polizei alarmieren will, ruft eine Stimme aus dem Haus um Hilfe. In einer Kammer unter der Treppe findet Evie eine Frau – gefesselt, verletzt und dehydriert. Sie befreit die Unbekannte, doch als die Tochter der Victors hinzukommt, schlägt Evie sie in Notwehr und Panik nieder.
Evie und die Fremde sind nicht mehr Zeugin und Opfer, sondern mutmaßliche Mörderinnen auf der Flucht.
In der Presse wird Evie als brutale Killerin verurteilt, im Netz als Klassenkämpferin gefeiert. Um ihre Unschuld zu beweisen, muss sie den wahren Täter finden. Doch wer ist die Fremde, die kein Wort spricht und ab sofort Evies einzige Verbündete ist? 

Rezension: 

Evie Gordon ist eine 29-jährige SAT-Tutorin, die Schülern Nachhilfeunterricht gibt, um das Darlehen ihres Studiums zurückzuzahlen. Jeden Sonntag unterrichtet sie Serena Victor im Anwesen der Familie in Beverly Hills und stößt dort eines Tages auf die Leichen von Serenas Eltern. Diese wurden offenbar ermordet. Panisch möchte Evie das Haus verlassen, hört jedoch eine Stimme aus einem Wandschrank, wo eine junge Frau gefesselt ist. Als sie die Unbekannte befreit hat, steht plötzlich Serena vor ihr uns hält die beiden für die Mörder ihrer Eltern. Im Affekt schlägt Evie Serena nieder und flüchtet zusammen mit der namenlosen Frau. Evie weiß, dass die Polizei ihnen auf den Fersen ist, hofft jedoch, vorher herauszufinden, wer der wahre Täter ist.

Es folgt ein Roadtrip von zwei Frauen, die von den Medien und den Behörden als skrupellose Killer gesucht werden.

"Fesselnd, unheimlich und cool", "Messerscharf und jede Menge Twists (...)", "Heftig, unterhaltsam, wild (...)" - so wird das Buch euphorisch beworben und ist nichts davon.
Der Roman ist so unfassbar langweilig, dass er die Einordnung als Thriller nicht verdient hat.
Nach einem noch spannenden Beginn am Tatort, folgt eine vierwöchige Flucht zweier Frauen, die zumindest dann notgedrungen zu Täterinnen werden. 
Die Erzählung ist eintönig und repetitiv. Natürlich werden Evie und die Frau, die sich später als Jae vorstellt, aufgrund der groß angelegten Fahndung immer wieder erkannt, stehlen Autos, fahren weiter, brechen in Häuser ein und bedrohen andere.

Währenddessen gibt es ein paar innere Monologe von Evie, die ein wenig von ihrer Biographie offenbaren, was jedoch nicht weiter von Relevanz ist.
Halbherzig wird über den wahren Täter spekuliert, eine Suche erfolgt jedoch nicht. Stattdessen nähern sich Evie und Jae als Partner in Crime an und beschäftigen sich mit sich selbst.

Beide werden als hochintelligent beschrieben, verhalten sich jedoch unglaublich stupide und treffen falsche Entscheidungen. Jaes Vorgeschichte, die am Ende erzählt wird, ist genauso hanebüchen wie die Details, die über den Vater von Serena offenbart werden.

Der Roadtrip ist weder temporeich noch gibt es auch nur irgendeinen Plottwist. Die Geschichte ist langweilig belanglos. Auch die Jahre, die kurz zusammengefasst die Folgen beschreiben, sind wenig aufschlussreich, noch öder erzählt und lassen zudem weitere Fragen offen - insbesondere weil die ganze Story völlig aus der Luft gegriffen erscheint. 

Montag, 5. Mai 2025

Buchrezension: Lorraine Kelly - Die Inselschwimmerin

Inhalt:

Als ihr Vater schwer erkrankt, kehrt Evie in ihre Heimat auf den schottischen Orkneyinseln zurück. Nicht alle sind glücklich über ihr Auftauchen, vor allem ihre Schwester Liv nicht, denn nach einem traumatischen Vorfall in der Kindheit ist die Beziehung der Schwestern zerrüttet. Während Evie das Haus ihres Vaters für den Verkauf entrümpelt, fühlt sie sich zu einer Gruppe von Kaltwasserschwimmerinnen hingezogen, die in den rauen Wellen innere Ruhe finden. Gemeinsam helfen sie Evie, sich ihrer Vergangenheit zu stellen. Dabei drängen nach und nach Wahrheiten ans Licht, die folgenreich für die Dorfgemeinschaft sind und Evies Familie tief erschüttern. 

Rezension: 

Vor zwanzig Jahren verließ die 18-jährige Evie abrupt die schottische Insel Orkney nach einem traumatischen Erlebnis. Geplagt von Schuldgefühlen versuchte sie sich in London ein neues Leben aufzubauen und ließ die Vergangenheit und ihre Familie hinter sich. Als ihr Vater im Sterben liegt, kehrt sie zurück und muss sich ihren Dämonen stellen, insbesondere ihrer älteren Schwester Liv, die schon immer eifersüchtig auf sie war und sie ablehnt. Auch fällt es Evie schwer, sich ihren alten Freunden anzunähern, da sie mit sich selbst nicht im Reinen ist und die Gründe für ihre Flucht verschweigt. 
Einzig die ältere Freya scheint sich über Evies Rückkehr zu freuen und versucht sie zum Bleiben zu überreden. Evie merkt, wie sehr sie ihre Heimat vermisst hat und weiß, dass sie ihr Geheimnis lüften muss, um endlich frei zu sein. 
 
Die Geschichte handelt auf mehreren Zeitebenen und erzählt sowohl Evies Geschichte, beginnend im Jahr 2004, als auch die Geschichte ihrer Eltern ab den 1960er-Jahren. Der Wechseln zwischen der Gegenwart im Jahr 2024 und den vergangenen Ereignissen zeigt die Hintergründe, die Evies Leben geprägt haben. 
Es ist die Geschichte über ein Trauma und die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und einer Familientragödie. 

Die Geschichte entwickelt sich zunächst spannend, da man trotz wechselnder Zeitebenen nicht weiß, was Evie getan hat. Das Geheimnis überschattet alles und wirkt sich auf Evies Selbstbewusstsein auf. Sie bestraft sich selbst und gibt findet sich mit einer toxischen Beziehung mit einem Mann ab, der sie ausnutzt und herablassend behandelt. 

Nach zwei Dritteln erfolgt endlich Evies Lebensbeichte und die Schilderung eines erschütternden Vorfalls. Sodann verpufft jedoch auch jegliche Spannung und der Roman nimmt einen Fokus auf das Glück von Nebencharakteren und wird zunehmend einfallslos und seicht. Dazu kommt, dass die handelnden Figuren eindimensional gezeichnet sind und sich simpel in Gut und Böse einteilen lassen. 

Der Roman enthält viele ernste Themen wie Fehlgeburten, Kinderwunsch, Alkohol- und Drogensucht, Tod, Krebserkrankung, Alzheimer, Depression, Transgender, Erpressung, Gaslighting, Manipulation, Eifersucht, wird aber aufgrund der Vielzahl keinem wirklich gerecht. 

Unabhängig davon ist der Titel des Buchs irreführend und der Klappentext am Inhalt vorbei formuliert. Das Schwimmen und der Club der "Selkies" wird gerade zweimal erwähnt. 

Der Schreibstil ist altbacken und sehr simpel. Die Dialoge sind weder zeit- noch altersgemäß, was stellenweise unfreiwillig komisch wirkt. 

Die Idee vom Verlassen der Heimat und der Aufarbeitung einer Schuld hatte viel Potential und gerade der Vergangenheitsstrang mit der bedrückenden Familiengeschichte wusste zu fesseln, aber die Umsetzung ist durch die Überfrachtung mit zu vielen Problemstellungen und dem altmodischen Erzählstil nicht optimal gelungen. 

Freitag, 2. Mai 2025

Buchrezension: Liane Moriarty - Vorsehung

Inhalt:

Es ist ein ganz gewöhnlicher Flug nach Sydney – bis kurz vor der Landung eine alte Lady von ihrem Platz aufsteht. Langsam geht sie durch die Reihen, bleibt bei jedem einzelnen Passagier stehen und sagt schreckliche Dinge wie: "Dich erwartet einen tödlichen Arbeitsunfall mit 43", "Dich erwartet Pankreaskrebs mit 66" oder "Dich erwartet Tod durch Ertrinken mit 7". 
Ist sie eine Hellseherin? Oder eine Verrückte? Was, wenn ihre Prophezeiungen tatsächlich eintreffen? Für alle Fluggäste stellen sich ab diesem Moment dieselben existentiellen Fragen: Gibt es ein Schicksal, und was wäre, wenn wir es verändern könnten? Was würde geschehen, wenn wir anfangen würden, unsere Träume tatsächlich zu verwirklichen? 

Rezension:

Auf einem australischen Inlandsflug ist eine ältere Dame an Bord, die bevor eine der Flugbegleiter sie aufhalten kann, durch die Reihen geht und die Passagiere mit ihrem Sterbealter und ihrer Todesursache konfrontiert. Die einen halten die Lady für verrückt, die anderen für eine Hellseherin.
Nach der Landung kehren die Passagiere in ihre Leben zurück, aber viele sind verunsichert, haben Angst vor einer Krankheit, befürchten einen Unfall oder sorgen sich um Angehörige.
Als die ersten Vorhersagen eintreten und Menschen genauso sterben wie die Lady es behauptet hat, ruft dies Reaktionen hervor. Kann das Unvermeidliche verhindert werden oder handelt es sich gar um sich selbst erfüllende Prophezeiungen?

Der Roman entwickelt passend zum Cover ein interessantes Szenario zum Schmetterlingseffekt, das nachdenklich stimmt.
Die Geschichte wird aus wechselnden Perspektiven erzählt, wobei gezielt einzelne Passagiere in den Vordergrund rücken, so dass sie trotz der Vielzahl an Personen nicht ausufert. Durch die Bildung von Allianzen unter den Passagieren und die Berichterstattung der Medien über vorhergesagte Todesfälle können sie die weitere Entwicklung ihrer Leidgenossen verfolgen können, was die losen Handlungsstränge miteinander verknüpft.
Jedes zweite Kapitel ist aus der Sicht der Todesdame geschildert, die ihre eigene Biographie darlegt und damit auch den Versuch einer Erklärung für ihre Prophezeiungen gibt.
 
Die Aussagen der alten Dame bleiben nicht ohne Effekt. Die einen setzen auf körperliche und mentale Gesundheit, agieren vorsichtiger oder versuchen vermeintlich gefährdete Angehörige zu schützen, um einen (zu) frühen Tod vorzubeugen. Die anderen gehen bewusst Risiken ein, in dem Bewusstsein, noch viele Jahre vor sich zu haben. Allen gleich ist das Klammern am Leben und das Setzen auf Hoffnung. Hoffen, dass die Vorhersage einer geringen Lebenserwartung nicht eintrifft und die eines langen Lebens wahr wird. 

Es sind ganz natürliche Reaktionen, die hervorgerufen werden, weshalb man sich in jede Figur gut hineinversetzen kann. Allerdings sind es zu viele, als dass man eine wirkliche emotionale Nähe aufbauen könnte. Die Geschichte ist deshalb wenig dramatisch oder emotional und macht mehr durch die existentiellen Fragestellungen neugierig, als durch einen ausgefeilten gruseligen oder mysteriösen Plot. So kann man sich stellvertretend durch die Charaktere mit der eigenen Sterblichkeit beschäftigen, ob es so etwas wie Schicksal gibt oder ob das Leben vom freien Willen gesteuert ist. 

Der Roman gibt vielseitige und interessante Einblicke in verschiedene Leben, die Angst vor Ungewissheiten und Kontrollverlust. Trotz der Beschäftigung mit dem Tod ist das Buch nicht traurig, sondern weckt ein Bewusstsein für die Sterblichkeit. Plattitüden, wie jeden Augenblick zu genießen, bis es keinen mehr gibt, bleiben dabei nicht aus.